Immer weniger Mediziner wollen eine eigene Praxis eröffnen. Viel zu groß ist die Verantwortung und zu unattraktiv die Selbstständigkeit. Wie begegnet man dem Problem auf den Fildern?

Digital Desk: Katrin Maier-Sohn (kms)

Filder - In Steinenbronn war der Aufschrei groß, als Margit Kraushaar-Scheifele und ihr Ehemann Wolf verkündeten, dass sie Ende März altershalber ihre Arztpraxis an der Stuttgarter Straße schließen werden. Die Einwohner sahen ihren Ort medizinisch unterversorgt, denn ein Nachfolger für die Praxis war lange Zeit nicht in Sicht. Nun gibt es von April an zwar einen Nachfolger für die Steinenbronner Arztpraxis. Die Sorge um eine medizinische Unterversorgung wegen des Ärztemangel ist bundesweit und damit auch auf den Fildern aber nach wie vor aktuell. Bei einer Veranstaltung in Plattenhardt sprachen Experten über den Ärztemangel und mögliche neue Arbeitsmodelle.

 

Warum gibt es immer weniger Hausärzte?

Die deutsche Bevölkerung wird immer älter und so auch ihre Ärzte. Laut der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ist das Durchschnittsalter der Ärzte in den vergangenen zehn Jahren von etwa 51,6 in 2008 auf 54,2 Jahre in 2018 gestiegen. Insbesondere bei den Hausärzten ist der Anteil der mehr als 60-Jährigen mit 34,7 Prozent besonders hoch. Diese Zahlen verdeutlichen, dass in den kommenden Jahren ein entsprechender Nachbesetzungsbedarf entstehen wird. Außerdem sehen Experten den bisherigen Beruf des Hausarztes, so wie wir ihn kennen, als überholt an. „Die Medizin wird weiblich. Aktuell schließen mehr Frauen als Männer ihr Medizinstudium ab“, sagt Thomas Breitkreuz, Direktor der Filderklinik. „Diese wollen vermehrt in Teilzeit arbeiten, um Familie und Beruf besser vereinen zu können.“ Dafür brauche es neue Modelle. Ein anderes Problem sieht Georg Kenntner, Hausarzt in Plattenhardt: „Der traditionelle Hausarzt mit eigener Praxis ist eine aussterbende Spezies. Niemand möchte die Verantwortung einer eigenen Praxis mehr tragen.“

Ist die medizinische Versorgung denn noch gesichert?

In Filderstadt sind 24 Allgemeinärzte niedergelassen. Rein statistisch kämen damit auf einen Arzt rund 1930 Einwohner. Der Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Norbert Metke ist aber davon überzeugt, dass bisher jeder medizinische Notfall versorgt werden konnte und auch weiterhin kann. Trotzdem sei es an der Zeit, neuen Modellen eine Chance zu geben. So könne beispielsweise Telemedizin – etwa in Form von Videosprechstunden – ein Weg sein, um kleinere medizinische Anliegen zu klären. Diese Methode ist auch schon auf den Fildern im Einsatz. Der Telemediziner Jörg Meinshausen aus Sillenbuch berät seine Patienten im Rahmen eines Pilotprojekts auch online. Den Reiz der Telemedizin beschreibt er so: „Mit gezielten Fragen schnell herausfinden, was dem Patienten fehlt.“

Sind medizinische Versorgungszentren eine Lösung für das Problem?

Der Wunsch nach weniger Verantwortung und flexibleren Arbeitszeitmodellen lässt viele Mediziner eine Anstellung einer eigenen Praxis vorziehen. Medizinische Versorgungszentren (MVZ), bei denen Ärzte als Angestellte arbeiten, sollen gegen den Ärztemangel helfen – vor allem in ländlichen Regionen. Die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) ebnete 2004 mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz den Weg. Ein MVZ ist eine rechtlich verselbstständigte Versorgungseinrichtung, in der mehrere Ärzte unter einem Dach zusammenarbeiten. Solche Zentren können von zugelassenen Ärzten und Krankenhäusern, gemeinnützigen Trägern und anerkannten Praxisnetzen gegründet werden. Darüber hinaus besteht auch für Kommunen die Möglichkeit, ein MVZ zu gründen und damit aktiv die Versorgung in der Region zu verbessern.

Wie ist die Situation auf der Filderebene?

16 Jahre nach der Einführung der Medizinischen Versorgungszentren überwiegt immer noch die Einzelpraxis, doch auch auf den Fildern haben sich in den vergangenen Jahren bereits einige Medizinische Versorgungszentren gebildet. So zum Beispiel das Praxiszentrum Filderklinik, Dr. Seiler und Kollegen in Filderstadt oder das Synlab Medizinische Versorgungszentrum in Leinfelden-Echterdingen. Auch in Degerloch, wo die Baugenossenschaft Flüwo aus einem Bürogebäude ein sogenanntes Gesundheitshaus gemacht hat (wir berichteten), soll es bald ein Haus mit mehreren Ärzten unter einem Dach geben. Einziehen werden dort ein Zahnarzt, ein Allgemeinarzt und ein Internist sowie ein Psychotherapeut. Allerdings wird das Haus kein MVZ im Sinne des Gesetzgebers, da die Praxen nicht zusammenarbeiten, sondern autark sind.

Gibt es auch kritische Stimmen?

Die Meinungen zum MVZ gehen auseinander. Während Norbert Metke diese als „sinnvolle Ergänzung für die medizinische Versorgung“ sieht, wirft Thomas Breitkreuz die Frage auf: „Wie viel Marktwirtschaft gehört in die Medizin?“