Ein Einwanderungsgesetz soll Fachkräfte ins Land locken. Dazu muss die große Koalition das Rad nicht neu erfinden. Reformen im Detail wären hilfreicher als eine grundstürzende Novelle.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Wer als Ausländer in Deutschland einen Job sucht, muss weniger den gestrengen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und seine Grenzkontrollen fürchten als die Stolperfallen des Aufenthaltsgesetzes, der Beschäftigungsverordnung, der EU-Hochqualifiziertenrichtlinie und anderer einschlägiger Vorschriften. Daran mangelt es nicht. Und das ist womöglich das größte Hindernis für dringend benötigte Fachkräfte. Es gibt viele Wege zu einem Arbeitsplatz in der Bundesrepublik. Man muss sie nur finden.

 

Viele Menschen, die von außerhalb Europas nach Deutschland kommen, suchen hier zunächst allerdings nicht in erster Linie Arbeit. Im ersten Halbjahr 2017 sind 560 327 ausländische Staatsangehörige zugezogen (das sind die aktuellsten Zahlen des Ausländerzentralregisters). Darunter waren 307 465 EU-Bürger – sie genießen das Privileg der Arbeitnehmerfreizügigkeit und brauchen keine Arbeitserlaubnis. Im gleichen Zeitraum wurden 101 418 Asylanträge gestellt. Von den Neuankömmlingen aus Nicht-EU-Staaten haben 64 246 einen Aufenthaltstitel erworben „zum primären Zweck der Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder zur Arbeitsplatzsuche“, wie es im Amtsjargon heißt. Unter diesen waren 49 364 Fachkräfte.Die privilegierteste Eintrittskarte zum deutschen Arbeitsmarkt ist die sogenannte Bluecard. Sie gilt maximal vier Jahre, ist jedoch an strikte Auflagen geknüpft: Bewerber brauchen ein Hochschulexamen, das sie in Deutschland erworben haben oder das zumindest deutschen Standards entspricht, außerdem die feste Zusage für einen Arbeitsvertrag, der mindestens mit 52 000 Euro Jahresgehalt vergütet wird. Wenn sie einen Beruf haben, für den es an deutschen Bewerbern mangelt (Naturwissenschaftler, Ingenieure, Ärzte), reichen auch 40 560 Euro. Familienangehörige dürfen mitkommen, auch wenn sie nicht deutsch sprechen. Inhaber der Bluecard können schon nach 21 Monaten eine Niederlassungserlaubnis erhalten, also dauerhaft in Deutschland bleiben.

Nur ein Bruchteil der Neuankömmlinge sucht Arbeit in Deutschland

Fachkräfte ohne Hochschuldiplom tun sich schwer

Schwieriger wird es für Fachkräfte ohne Unidiplom. Allerdings gibt es in der Beschäftigungsverordnung eine ganze Reihe von Sonderregeln für spezielle Berufe, zum Beispiel für Sprachlehrer, Profisportler, Spezialitätenköche, Matrosen und „artistisches Hilfspersonal“. Auch Wissenschaftler, Praktikanten und Studenten werden viele Zugänge eröffnet. Insgesamt sieht das bestehende Recht bereits 50 verschiedene Möglichkeiten vor, einen Aufenthaltstitel zum Zwecke der Arbeit in Deutschland zu erhalten.

Wozu bedarf es da noch eines Einwanderungsgesetzes? Die Union hat sich ohnehin lange dagegen gesträubt. Beim CDU-Parteitag 2015 konnten sich dann die Modernisierer durchsetzen. Sie beschlossen, die bestehenden Regeln müssten „widerspruchsfrei und besser miteinander verknüpft in einem Gesetz zusammengeführt und im Ausland besser kommuniziert werden“. Der Zuzug müsse sich aber auf alle Fälle „am Bedarf unserer Volkswirtschaft orientieren“. Deshalb hat Innenminister Seehofer in seinem Masterplan auch ein neues Etikett erfunden: Er will ein „bedarfsorientiertes Fachkräftezuwanderungsgesetz“.

SPD: Wir brauchen eine neue Logik der Zuwanderung

Die SPD hatte schon unmittelbar nach der Wahl im vergangenen Herbst einen Entwurf für ein Einwanderungsgesetz präsentiert: Abhängig von der Lage auf dem Arbeitsmarkt soll der Bundestag demnach jährlich neu festlegen, wie viele Fachkräfte aus Ländern außerhalb der EU nach Deutschland kommen können. Die Sozialdemokraten machen sich für ein Punktesystem stark, das die berufliche Qualifikation, Sprachkenntnisse, das Alter, das Arbeitsplatzangebot und andere Integrationsaspekte von Bewerbern berücksichtigt.

Im Koalitionsvertrag heißt es: „Unser Land braucht geeignete und qualifizierte Fachkräfte in großer Zahl. Kein Arbeitsplatz soll unbesetzt bleiben, weil es an Fachkräften fehlt. Den Fachkräftezuzug nach Deutschland haben wir in den vergangenen Jahren bereits erheblich verbessert und vereinfacht. Dieser Bedarf wird weiter steigen. Deshalb werden wir ein Regelwerk zur Steuerung von Zuwanderung in den Arbeitsmarkt und das damit verbundene Recht des Aufenthalts und der Rückkehr in einem Gesetzeswerk erarbeiten, das sich am Bedarf unserer Volkswirtschaft orientiert. Ein solches Gesetz wird die bereits bestehenden Regelungen zusammenfassen, transparenter machen und, wo nötig, effizienter gestalten.“ SPD-Chefin Andrea Nahles betonte unlängst im Bundestag, „dass wir jetzt endlich zu einer neuen Logik der Zuwanderung kommen müssen“. Die Kanzlerin wollte sich damit eigentlich noch zwei Jahre Zeit lassen. Jetzt soll es aber doch schneller gehen: Bis Jahresende wird ein Gesetzentwurf erwartet.Der Sachverständigenrat führender Stiftungen für Fragen der Migration und Integration hat dazu in seinem aktuellen Jahresgutachten bereits Vorschläge unterbreitet. Er sieht „durchaus noch Verbesserungsmöglichkeiten“. Ein Einwanderungsgesetz diene auch der „gesellschaftlichen Selbstverständigung“. Es müsse „Übersicht über Zuwanderungsoptionen“ schaffen und habe eine „Signalfunktion nach innen und außen“. Steuern lasse sich die Zuwanderung vor allem im Bereich der Erwerbsmigration. Für hoch qualifizierte Fachkräfte zählten die deutschen Gesetze allerdings „zu den liberalsten weltweit“. Nachbesserungsbedarf gebe es bei nicht akademischen Fachkräften. Ein Hemmnis seien da vor allem die strikten Vorgaben für die Anerkennung beruflicher Qualifikationen. „Hier steht Deutschland vor einem Dilemma“, so urteilen die Migrationsexperten. Mit Rücksicht auf die Erwartungen von Kunden und Verbrauchern sei es schwierig, auf die hohen Ausbildungsstandards zu verzichten. Andererseits ist es so kaum möglich, talentierte Bewerber aus fernen Ländern für offene Stellen zu gewinnen.

Einwanderungsgesetz hätte eine Signalfunktion