In wenigen Jahren hat sich die Zahl der Waschbären vervielfacht. Hans Ruff hat schon einige verwaiste Tiere großgezogen – obwohl die Spezies auf der Abschussliste steht.

Rems-Murr: Phillip Weingand (wei)

Weinstadt - Sie sind maskiert, kommen nachts und schleichen über Dachböden und durch Gartenhäuschen. Sie durchwühlen Mülltonnen und schieben auch mal einen Dachziegel beiseite. Die Rede ist nicht von Kriminellen, sondern von Waschbären. Die possierlichen, aber wehrhaften Tiere werden derzeit wieder häufiger im Rems-Murr-Kreis gesichtet – etwa Anfang Mai, als ein Waschbär auf der B 29 bei Remshalden überfahren und von einem Polizisten von seinem Leid erlöst wurde.

 

Solche Geschichten sind kein Einzelfall, der Schnaiter Hans Ruff weiß das. Seit 30 Jahren ist er Jagdpächter im Revier Beutelsbach. Bis zum Jahr 2010 hatte er mit Waschbären nie etwas zu tun. Das sollte sich schlagartig ändern: „Am 1. Mai rief mich damals jemand an, auf dem Schönbühl sei eine komische Katze überfahren worden“, erinnert er sich. Es war jedoch eine Waschbärmutter, sie war tot. Kinder entdeckten zudem ein wimmerndes, blindes Etwas im Straßengraben: Ein Junges, gerade einen Tag alt. Ruff päppelte den Waschbären auf, nannte ihn Joggi und zog mit ihm durch Schulen und Kindergärten, um den Kids etws über Waschbären beizubringen. Nach fast zwei Jahren gab er ihn an einen Bekannten. Joggi sollte es auf einem Grundstück mit einer Scheune mit schmackhaften Ratten und Mäusen gut haben. Doch das Glück währte nicht lange, Joggi wurde wenig später überfahren. Der Waschbär blieb nicht der einzige, den Hans Ruff großzog: Bis zum Jahr 2014 kümmerte er sich um vier weitere Jungtiere intensiv, vielen weiteren half er, wenn sie beispielsweise verletzt gefunden oder in Kellern eingesperrt gewesen waren.

Tausend erschossene Waschbären pro Jahr im Land – 200 davon im Rems-Murr-Kreis

Waschbären sind Neozoen, also keine heimische Tierart. Eigentlich kommen die maskierten Säuger aus Nordamerika, alle Tiere in Europa stammen von aus Pelztierfarmen geflohenen oder ausgesetzten Tieren am. Mitte der 30er-Jahre setzte man in Hessen zwei Pärchen aus, um die „Tierwelt zu bereichern“ und Pelze erjagen zu können. Damit begann eine tierische Erfolgsstory, denn die Tiere erwiesen sich als extrem anpassungsfähig und vermehrungsfreudig. Auch hinter der Waschbären im Rems-Murr-Kreis steckt eine Geschichte, die Hans Ruff kennt: „Ende der 50er-Jahre, als das Jugendheim auf dem Schönbühl noch existierte, betrieb ein Gärtnermeister dort einen kleinen Privatzoo. Nachdem sich einige Jugendliche einen Spaß erlaubt und Käfige geöffnet hatten, sind zwei Waschbär-Paare entkommen.“ Und die vermehrten sich rasant.

Wie viele der Tiere sich heute im Remstal und der Umgebung tummeln, lässt sich nicht beziffern. Wohl aber die Exemplare, die unter einem Auto oder durch eine Flinte ihr Leben ließen. Denn Waschbären stehen in Baden-Württemberg offiziell auf der Abschussliste, wenn auch mit Schonzeiten. Sie haben keine natürlichen Feinde. „Waschbären vermehren sich exponentiell“, erklärt Armin Liese, der Sprecher des Landesjagdverbands. Das zeigt sich auch im Rems-Murr-Kreis: Wurden hier im Jahr 1999 gerade einmal drei Stück überfahren oder erschossen, waren es in der vergangenen Saison 203 Waschbären. Auf Landesebene haben sich die putzigen Tiere ebenfalls vermehrt: Wurden in Baden-Württemberg noch Ende der 90er-Jahre nur etwa zehn Waschbären jährlich geschossen, ist die Zahl inzwischen auf 1000 gestiegen. „Sie sind Raubtiere – wenn ihre Population groß genug ist, bekommen boden- und höhlenbrütende Vogelarten keine Brut mehr durch“, rechtfertigt der Jägersprecher Liese die Jagd.

Hans Ruff schießt keinen Waschbären mehr

Besonders in der Nähe von Flüssen und Bächen sind derzeit Waschbären zu sehen. In letzter Zeit bekommt Ruff öfters Meldungen, Waschbären seien in der Nähe der Biotope bei Weinstadt-Baach oder bei Gewässern zwischen Schorndorf und Alfdorf gesichtet worden. Ruff ist Jäger – dazu gehört es, Tiere zu erschießen. Er hat sich jedoch entschieden: „Ich werde nie auf einen Waschbären schießen.“ Das Erlebnis, seinen Joggi großzuziehen, sei dafür viel zu einschneidend gelesen.

Begegnung mit Waschbären

Begegnung mit Waschbären

Untermieter:
Waschbären gehen gerne hoch hinaus und gelangen zum Beispiel über dicht am Haus stehende Bäume auf Dachböden. Sie sind nachtaktiv, ihr Getrappel lässt Hausbewohner manchmal einen Einbrecher befürchten. Katzenfutter, das im Freien bereitsteht, lockt die Raubtiere an – steht es eines Tages nicht mehr da, kann es sein, dass sie auf der Suche danach durch eine Katzenklappe in die Wohnung kommen. Hans Ruff empfiehlt, nachts grundsätzlich kein Katzenfutter nach draußen zu stellen – und in Komposttonnen keine Lebensmittelreste zu werfen.

Konfrontation
: „Waschbären sind Raubtiere“, betont Hans Ruff. So possierlich die maskierten Pelztiere sein mögen: Sie können mit ihren spitzen Zähnen beherzt zubeißen. Vor allem, wenn sie ihre Jungen verteidigen wollen. Ein Waschbär, der sich zum Beispiel in einen Keller verirrt hat, sollte daher nicht mit Händen angefasst werden. „Ich empfehle eher, ihn mit einem Besen nach draußen zu geleiten“, so Ruff. Auch ein Wasserstrahl aus dem Gartenschlauch könne dabei helfen, einen Dachboden als Unterschlupf madig zu machen.

Verletzt:
Immer wieder passiert es, dass Waschbären angefahren oder mutterlose Junge gefunden werden. Hans Ruff betont, er könne sich nur um Tiere in seinem Revier Beutelsbach kümmern. „Die Polizei oder der jeweilige Jagdpächter sind die besten Ansprechpartner“, sagt er.