Ägypten ist innerlich zerrissen. Nun droht dem nordafrikanischen Land auch Ungemach von außen: Äthiopien will den Nil blockieren. Für ägyptische Wasserexperten ist das eine Katastrophe – und für die Bevölkerung womöglich auch.

Kairo - Ägypten ist ein Geschenk des Nils, wusste bereits im 5. Jahrhundert vor Christus der griechische Historiker Herodot. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Im Land der Pharaonen regnet es praktisch nie. Leben und Wohlstand der 85 Millionen Einwohner hängen ab von den Fluten, die der längste Strom der Welt auf dem letzten Viertel seiner 6800 Kilometer langen Strecke mitführt. 95 Prozent der Bevölkerung drängeln sich im Niltal und im Delta, auch wenn beide nur fünf Prozent der Staatsfläche ausmachen. Der Rest ist wüst und unbewohnbar.

 

Überrascht musste Kairo nun mitansehen, wie Äthiopien am Mittwoch in einer Nacht-und-Nebel-Aktion begann, den blauen Nil am Oberlauf umzuleiten. Seitdem gehen die Aktienkurse auf Talfahrt, Premierminister Hisham Qandil versammelte das Kabinett zu einer Krisensitzung. Ägyptens Opposition ruft nach dem UN-Sicherheitsrat. Einzig Präsident Mohammed Mursi hüllt sich in Schweigen.

Ein Staudamm gräbt das Wasser ab

Denn noch greift die Umleitung des berühmten Stromes nicht in das Fließgeschehen ein, sie ist aber der erste Schritt für das gigantische „Renaissance“-Staudammprojekt, mit dem Äthiopien dem Sudan und Ägypten einen empfindlichen Teil ihres Wassers abgraben könnte. Der brisante Konflikt begann bereits vor drei Jahren, als Addis Abeba zusammen mit anderen Anrainerstaaten das aus Kolonialzeiten stammende Abkommen über die Verteilung des Nilwassers einseitig aufkündigte. Schon damals kochten in Kairo die Emotionen hoch. Man werde nicht auf seine „historischen Rechte“ verzichten, polterte im Parlament ein Kabinettsmitglied und nannte den heraufziehenden Konflikt eine „Frage von Leben und Tod“.

Einige besonders eifrige Abgeordnete drohten Äthiopien gar mit Krieg. Nach den alten Verträgen von 1929 und 1959 stehen den beiden Unterlaufstaaten mit 87 Prozent der Löwenanteil des Flusses zu – Ägypten 55 Milliarden und dem Sudan 18 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Zudem hatte die britische Kolonialmacht ihnen ein Vetorecht gegen alle Bewässerungs- und Energieprojekte am Oberlauf zugesprochen – eine Regelung, die Äthiopien als Quellland des Blauen Nils nie anerkannte. Der Blaue Nil steuert 80 bis 90 Prozent des gesamten Flusses bei, der Rest stammt aus dem Weißen Nil, an dem sämtliche anderen Anrainer liegen.

Addis Adeba schafft Fakten

Und so ist die heutige Krise vor allem ein Konflikt zwischen Äthiopien und Ägypten. Denn ausgerechnet während der Revolution am Nil schuf Addis Abeba einseitig Fakten. Bereits im März 2011, vier Wochen nach dem Sturz von Hosni Mubarak, wurde der Grundstein für den neuen Superdamm nahe der sudanesischen Grenze gelegt, der Auftrag ohne Ausschreibung an ein italienisches Konsortium vergeben. Die 16 Turbinen zur Stromerzeugung finanziert China. Den Rest der 3,6 Milliarden Euro Bausumme will Äthiopien aus eigenen Mitteln zusammenkratzen, um mögliche Auflagen internationaler Geldgeber wie der Weltbank für Umwelt und Kooperation mit den übrigen Nilanrainern zu umgehen. In vier Jahren soll der Megadamm den ersten Strom liefern.

Für ägyptische Wasserexperten geht das an Ägyptens Existenz, denn um das gigantische Becken zu füllen, muss der Blaue Nil theoretisch drei bis vier Jahre komplett blockiert werden. Jahrelang würden Sudan und Ägypten mindestens 25 Milliarden Kubikmeter fehlen. Für Kairo wäre das ein Drittel seiner heutigen Nilwassermenge – eine nicht ausdenkbare Katastrophe, denn bereits jetzt gilt Ägypten nach internationalen Standards als wasserarm. Und bis 2050 braucht das Land mindestens weitere 21 Milliarden Kubikmeter pro Jahr für seine dann 150 Millionen Menschen.