In Stuttgart beginnt der Prozess gegen den harten Einsatz von Wasserwerfern am schwarzen Donnerstag. Beim Prozessauftakt gegen zwei Polizisten am Dienstag überwiegen jedoch eher die ruhigen Töne.

Stuttgart - Ein Wachtmeister sitzt hinter der Richterbank, vor dem Regal mit den 118 Ordnern, in denen die Prozessakten abgeheftet sind. Das ist der Stoff, um den es in den kommenden Monaten gehen wird, in dem Verfahren, das „der Wasserwerferprozess“ genannt wird. Zwei Polizeibeamte sitzen auf der Anklagebank.

 

Der Vorsitzenden Richterin Manuela Haußmann ist angesichts des heiklen Falls viel an Ordnung und Ruhe gelegen. „Ich weiß, Sie sind alle sehr engagiert und aufmerksam dabei“, sagt sie zu den fast 100 Zuhörern. „Manchmal drängt es Sie, Emotionen rauszulassen. Aber ich bitte Sie um Ruhe“, sagt die Richterin, die weiß, welche Wunden der sogenannte schwarze Donnerstag bei den Stuttgartern hinterlassen hat. Es geht um viel: Die Polizisten sollen für einen Teil dessen verantwortlich sein, was beim Einsatz gegen Stuttgart-21-Gegner am 30. September 2010 im Schlossgarten so sehr aus dem Ruder lief, dass es viele Verletzte gab. Manuela Haußmann weiß, dass bei dem Thema die Nerven blank liegen, dass es in zahlreichen Verhandlungen gegen S-21-Gegner vor dem Amtsgericht im Zuhörerraum oft unruhig zuging.

Die Besucher halten sich an ihren Appell. Sie hören still zu, als der Staatsanwalt Stefan Biehl 20 Minuten lang die Anklage vorliest. Ruhig lauschen auch die beiden angeklagten Polizeibeamten, der 41-jährige Polizeioberrat Andreas F. und der 48-jährige Polizeidirektor Jürgen W. Sie sind der fahrlässigen Körperverletzung im Amt beschuldigt. Als Einsatzabschnittsleiter, so führt der Staatsanwalt aus, sollen sie mit „mangelnder Sorgfaltspflicht“ gehandelt haben. Ihnen wird vorgeworfen, nicht eingegriffen zu haben, als der Strahl der Wasserwerfer Demonstranten am Kopf traf und viele von ihnen verletzte, einige sehr schwer. Das sei „vermeidbar und vorhersehbar“ gewesen, so Biehl.

Nach der Verhandlung brodelt es

Mehrere Male können die Zuhörer dann doch nicht an sich halten. Die Polizei sei im Schlossgarten, wo die Bahn damals Bäume fällen wollte, um die Baustelle für das Grundwassermanagement einzurichten, auf „erheblich stärkeren Widerstand als erwartet“ gestoßen. Da lachen zwei Zuhörer entsetzt auf. Als Biehl zur Szene kommt, bei der Dietrich Wagner sein Augenlicht verlor, kann auch der Rentner sich nicht mehr zurückhalten. Er sei von der Polizei weggeführt worden und dann wieder zurück in den Zielbereich des Wasserwerfers gegangen, trägt der Staatsanwalt vor. „Falsch!“, ruft Wagner entrüstet.

Sonst bleibt es ruhig, doch nach der Verhandlung brodelt es. „Unverschämt!“ „Unerhört!“, poltern die eben noch so stillen Zuhörer und finden derbe Schimpfwörter für die Angeklagten. Was sie so aufregt: die beiden Polizeibeamten haben ihre Anwälte eine Erklärung verlesen lassen. „Unsere Mandanten weisen die gegen sie erhobenen Anklagevorwürfe entschieden zurück“, heißt es darin und: Die Beweisaufnahme werde nicht dazu führen, den beiden eine Schuld nachzuweisen. Sie hätten während des Einsatzes nicht mitbekommen, dass Menschen vom Wasserwerfer verletzt wurden. Unter anderem habe das daran gelegen, dass man ihnen keinen funktionsfähigen Funkkanal zur Verfügung gestellt habe. Nur über Handy und Boten hätten sie mit dem Führungsstab des Polizeipräsidiums kommunizieren können. Die Verteidiger gehen aber auch noch einen Schritt weiter: Der Prozess sei nicht der Ort, den Tag in all seinen Facetten aufzuarbeiten, sagt der Anwalt Olaf Hohmann. Genau das hatten sich viele Beobachter aber von dem Verfahren erhofft.

Doch die Erklärung ruft nicht nur negative Reaktionen hervor. Neben Wagner sitzen vier weitere Nebenkläger im Saal. Die Anwältin einer von ihnen ist versöhnlich gestimmt: „Es kamen von den Polizisten auch Worte des Bedauerns“, sagt die Juristin Simone Eberle. Wie alle Vertreter der Nebenkläger hat auch sie schon etliche S-21-Gegner vor Gericht vertreten – und solche Töne aus den Reihen der Polizei noch nicht gehört. Das Bedauern kommt gut an. „Darauf hat meine Mandantin nun fast vier Jahre lang gewartet.“

Prozessbesucher müssen sich durchsuchen lassen

Trotz der hohen Erwartungen geht es vor Verhandlungsbeginn bemerkenswert ruhig vor dem Landgerichtsgebäude zu: Gut ein Dutzend Demonstranten fordert auf Transparenten, dass Innenminister Reinhold Gall (SPD) die offizielle Zahl der verletzten Gegner des Bahnprojekts am „schwarzen Donnerstag“ korrigieren solle. Das Land geht von 130 Personen aus. Die Parkschützer verweisen indes auf Sanitäter, die 400 Menschen versorgt hätten.

Während die wenigen Demonstranten draußen ihrem Unmut Luft machen, bildet sich im Untergeschoss des Gebäudes eine Schlange: Der Verhandlungssaal wird erst unmittelbar vor Prozessbeginn geöffnet. Eine Sicherheitsschleuse ist eingerichtet. Ähnlich wie am Flughafen müssen die Besucher sich durchsuchen lassen. Plakate, Handys, Feuerzeuge und Trillerpfeifen müssen draußen bleiben. Die meisten lassen die Prozedur gelassen über sich ergehen. Ein S-21-Gegner fährt aber kurz aus der Haut: „Das habe ich das letze Mal erlebt, als ich in die DDR eingereist bin!“ Doch das Wachpersonal beruhigt ihn: „Es ist zu Ihrer eigenen Sicherheit.“

Kritik entzündet sich am Rand der Verhandlung auch daran, dass der Einsatz strafrechtlich nur für eine Handvoll Beamte Konsequenzen hat: Im Fall der Wasserwerfer wurden die Verfahren gegen sechs Polizisten eingestellt. Vier Beamte akzeptierten Strafbefehle. Ein weiterer Polizist, der einer Demonstrantin grundlos aus nächster Nähe Pfefferspray ins Gesicht gesprüht hatte, zahlte eine Strafe von 6000 Euro. Ein Beamter, der einen Mann mit einem Schlagstock attackiert hatte, wurde zu 6400 Euro Geldstrafe verurteilt.

Richterin beendet Prozesstag nach anderthalb Stunden

Als Richterin Haußmann nach anderthalb Stunden den Prozesstag für beendet erklärt, dauert es, bis sich der Saal leert. Der Sprecher der Parkschützer, Matthias von Herrmann, ist „verwundert darüber, dass die beiden Angeklagten nicht mitbekommen haben wollen, in welcher Form die Wasserwerfer eingesetzt worden sind“. Das Opfer Wagner spricht von einer „Schutzbehauptung“ der Polizisten. Insgesamt seien die beiden Männer „eh Bauernopfer“. „Die wirklich Verantwortlichen sitzen nicht auf der Anklagebank“, sagt Wagner. Sein Rechtsanwalt Frank-Ulrich Mann hat dabei vor allem eine Person im Visier: Er möchte auch den Ex-Ministerpräsidenten Stefan Mappus (CDU) als Zeugen vernehmen, der beim Einsatz seine Hände mit im Spiel gehabt haben soll. Wann Mann den Antrag stellt – noch ist Mappus nicht geladen – ist offen.

Vor dem Gerichtsgebäude stehen die Menschen noch ein wenig zusammen. Während die Angeklagten und deren vier Verteidiger sich ums Eck in einem Café treffen, rollen die S-21-Gegner vor dem Gerichtsgebäude bald die Transparente zusammen. Die meisten wollen am Mittwoch zum zweiten Prozesstag wiederkommen: Man ist gespannt, wie die Polizisten auf die Fragen der Prozessbeteiligten antworten. Sie hatten angekündigt, persönlich Stellung nehmen zu wollen.