Im Wasserwerferprozess schildern die Angeklagten am Mittwoch die aus ihrer Sicht schlechte Vorbereitung jenes Einsatzes, bei dem für Stuttgart-21-Arbeiten der Schlossgarten geräumt worden war.

Stuttgart - Am zweiten Tag des Wasserwerferprozesses ist klar geworden, wie die Verhandlung in den kommenden Wochen wohl laufen wird: Minutiös gehen die Verfahrensbeteiligten das Geschehen des 30. September 2010 durch. Die Kammer will mit den angeklagten Polizisten alle Details rekonstruieren. Dabei ergibt sich bald ein erster Eindruck: Der Polizeieinsatz im Schlossgarten für den Bau des Bahnprojekts Stuttgart 21 ist offenbar mit heißer Nadel gestrickt worden. Am Mittwoch ging es in der Verhandlung um die Vorbereitung der Parkräumung, bei der viele Demonstranten verletzt wurden. Nach Ansicht der Angeklagten verursachten organisatorische Mängel die Eskalation. „Ein prägendes Moment war es, dass zwei Hundertschaften fehlten, als der Einsatz begann“, sagte der 48-jährige Angeklagte Jürgen M.

 

Für die Vorbereitung des Einsatzes hätten sie nicht einmal zwei Tage Zeit gehabt, so die Angeklagten. Ursprünglich habe man auch mehr Beamte einsetzen wollen. Die Wasserwerfer seien nie für die Räumung eingeplant gewesen. Sie sollten auf dem Baustellengelände stehen, falls Demonstranten versuchen würden, die Absperrung zu überwinden, erläuterte Jürgen M. Die Polizisten müssen sich seit Dienstag wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt vor dem Landgericht verantworten. Die Anklage geht von neun Personen aus, die durch Wasserwerfer verletzt wurden, einige von ihnen schwer. Einer von fünf Nebenklägern ist der Stuttgarter Dietrich Wagner, der von einem Wasserstrahl im Gesicht getroffen wurde und dadurch fast völlig erblindet ist.

Erst 36 Stunden zuvor vom Einsatz erfahren

Die Polizisten erklärten, dass sie erst 36 Stunden vor dem Einsatz davon erfahren hätten, dass sie am 30. September den Schlossgarten räumen und Absperrgitter aufstellen sollten. Man habe zwar geahnt, dass mit dem Ende der Vegetationsperiode bald damit zu rechnen gewesen sei, das Areal für den Bau des Grundwassermanagements und die Baumrodung zu räumen. Beide betonten, dass sie aber „überrascht“ von diesem Befehl gewesen seien.

Die Angeklagten gaben an, dass sie der Situation kaum gewachsen gewesen seien. Der 48-Jährige erklärte, dass er als damaliger stellvertretender Leiter der Bereitschaftspolizei in Böblingen nur bei einem Einsatz Gelegenheit gehabt habe, Erfahrungen mit Wasserwerfern zu sammeln: als ein Jahr zuvor Teilnehmer einer rechtsextremen Kundgebung mit linken Demonstranten zusammenstießen. Der 41-jährige Andreas F. sagte, dass er als Leiter des Polizeireviers Wolframstraße vor dem „Schwarzen Donnerstag“ nur Einsätze bei den Montagsdemos der S-21-Gegner geleitet habe. Offenbar ließen die Erwartungen des Führungsstabs im Polizeipräsidium und eigene Ansprüche an sich selbst keinen Widerspruch laut werden:. „Wir arbeiten bei der Polizei generell lösungsorientiert“, sagte der 48-Jährige. Und der 41-Jährige erklärte: „Wenn das mein Auftrag ist, dann muss ich das so tun.“

Der Einsatzbeginn sickerte durch und musste vorverlegt werden

Wegen undichter Stellen sei der Einsatzbeginn am 30. September von 15 Uhr auf 10 Uhr vorverlegt worden, so die Angeklagten. Der Nachmittagstermin war den S-21-Gegnern bekannt. Zur Sicherheit habe man sich daher darauf geeinigt, die Parkräumung gemeinsam zu leiten. Ursprünglich sollten Andreas F. und Jürgen M. einander im Laufe des Tages ablösen. Als sie gegen 10.30 Uhr beim Hauptbahnhof waren und immer noch Kräfte fehlten, hätten sie nicht länger warten können. Vorausgeschickte zivile Kräfte, die dafür sorgen sollten, dass niemand auf Bäume klettern würde, waren enttarnt worden. Zu ihrer Unterstützung schickten die beiden Angeklagten erste Einheiten in den Schlossgarten.

Bereits beim Prozessbeginn hatten die Polizisten den Vorwurf abgestritten, dass sie für die Verletzungen durch die Wasserwerfer verantwortlich sind. Laut Anklage hat Polizeipräsident Siegfried Stumpf angesichts von Sitzblockaden der S-21-Gegner grünes Licht für den Einsatz „unmittelbaren Zwangs“ gegeben – allerdings nur für Wasserregen. Diese Anordnung hätten die Angeklagten nicht befolgt und seien nicht eingeschritten, als bis zu 16 bar starke Wasserstöße abgegeben wurden.

Nebenkläger versuchen Verbindung zur Politik aufzudecken

Am zweiten Prozesstag wurde auch klar, was die Nebenkläger, ihre Anwälte und viele Beobachter von dem Verfahren auch erwarten: Sie hoffen, doch noch aufdecken zu können, ob der Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) Einfluss auf den Einsatz nahm. Immer wieder kamen Fragen, ob der Polizeipräsident erzählt habe, mit wem er wann gesprochen habe. Mehrmals sagten die Angeklagten, dass sie diese Frage bereits mit „Nein“ beantwortet hätten.

Das Verfahren wird am Dienstag fortgesetzt. Dann geht es um die Ereignisse am Vormittag des 30. September 2010.