„Siegfried“, „Norma“, „La Sonnambula": Gemeinsam mit dem Intendanten Jossi Wieler hat Chefdramaturg Sergio Morabitio einige der besten Operninszenierungen jüngerer Zeit geliefert. Demnächst nun wechselt er an die Wiener Staatsoper. Alles ganz normal? Nicht ganz.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Sergio Morabito (54), Chefdramaturg der Stuttgarter Staatsoper, wechselt nach rund 25 Jahren intensiver Arbeit5 im Opernhaus am Eckensee Wohnort und Arbeitsplatz: Mit der Saison 2020/21 wird er Chefdramaturg an der Wiener Staatsoper. Die Personalie ist nicht ganz ohne Brisanz. Der künftige Hausherr in Wien, Bogdan Roscic, ist in der Fachwelt durchaus umstritten. Bisher hat der Österreicher mit serbischen Wurzeln keinerlei Theaterfahrung vorzuweisen, sondern als Programmchef der Labels Decca und Sony vor allem mit Musik viel Geld verdient und nebenbei in Jurys von Talentshows im österreichischen Fernsehen mitgewirkt („Starmania“). Netrebko, Villazon, Bartoli, Kaufmann – das war bisher Roscics Welt, und irgendwie passt das ja für das Haus am Opernring 2 in Wien, das gemeinhin eher durch Busserl-Glanz und Star-Gloria auffällt als durch wegweisendes Musiktheater.

 

Doch womöglich fehlende inhaltliche Tiefe kann Roscics künftiger leitender Mitarbeiter Morabito ganz sicher mühelos ausgleichen. Es muss einen guten Draht zwischen beiden geben, denn der Stuttgarter sagt anlässlich seiner Berufung: „Die Liebe zur und die Vision für die Wiener Staatsoper von Bogdan Roscic hat mir bereits bei unserer ersten Kontaktaufnahme außerordentlich imponiert.“ Roscic revanchiert sich: „Eine Ausnahmestellung durch herausragende szenische Leistungen ist selbstverständliches Ziel des Hauses am Ring.“

Morabito wurde von Jossi Wieler zum Ko-Regisseur befördert

Zurück zum Eckensee: Dass der künftige Stuttgarter Opernchef Viktor Schoner an seinem Haus eher ohne Morabito auszukommen gedenkt, lag nahe, insofern ist Morabitos Wechsel an sich keine Überraschung. Morabito ist in seinen Inszenierungen so eng mit dem aktuellen Opernhauschef Jossi Wieler verbunden, dass ein weiteres Wirken unter dessen Nachfolger sicher kompliziert geworden wäre. Denn dies ist ja überhaupt Morabitos Adelsschlag gewesen: Im Laufe vieler Inszenierungen wurde die hierarchisch eigentlich klar gegliederte Zusammenarbeit zwischen dem Regisseur Jossi Wieler und dem Dramaturgen Sergio Morabito nach und nach so gleichberechtigt, erreichte schließlich jene berühmte Augenhöhe, dass Wieler so großzügig, wie es im Theater eigentlich unüblich ist, seinen Kompagnon in die Regiespalte beförderte: „Wieler/Morabito“ wurde zum quasi eingetragenen Markenzeichen für einige der besten Operninszenierungen jüngerer Zeit, von „Alcina“ bis zum „Siegfried“, von „Norma“ über „La Sonnambula“ bis zu „Moses und Aron“.

Über die schier unglaublichen Werkkenntnisse Morabitos und seine Einblicke in Aufführungsgeschichten kann man bei Gesprächen, Vorträgen und Disskussionen immer nur staunen. Bewundern aber muss man, wie aus diesen zum Teil eben doch erst einmal separaten Details ein sicheres Gespür für das Wesen eines Werkes entsteht – und ein gutes Näschen, was es einem Publikum heute womöglich sagen könnte. Schlauer Bogdan Roscic: Mit dieser Personalie dürfte er einige seiner Kritiker in der Opernwelt erst einmal eine Weile ruhig stellen. Und sollte es uns nun wirklich noch wundern, wenn ab Sommer 2020 Jossi Wieler als Regisseur im Wiener Spielplan einen Platz finden wird?