Am Donnerstag übernimmt Kronprinz Felipe von seinem Vater Juan Carlos den spanischen Thron. Er könnte der Monarchie ihr verlorenes Prestige zurückgeben. Doch die Spanier sind in der Frage, ob sie überhaupt noch einen König wollen, gespalten.

Korrespondenten: Martin Dahms (mda)

Madrid - Felipe de Borbón y Grecia, Kronprinz und ab diesem Donnerstag König der Spanier, bekommt normalerweise nur Komplimente zu hören. Wenn er sich in der Öffentlichkeit zeigt, rufen ihm die Frauen „Guapo!“ zu: Schöner! Der groß gewachsene Sohn von König Juan Carlos und Königin Sofía nimmt die Rufe mit bescheidenem Lächeln entgegen. Als er sich am 31. Mai 2011 nach einer Preisverleihung in Pamplona im Nordosten Spaniens einer jungen Frau näherte, die hinter einem Absperrgitter um seine Aufmerksamkeit warb, hatte er allen Grund, wie immer mit ein paar freundlichen Worten zu rechnen. Doch die Frau sagte: „Mit all meinem Respekt: Wenn Sie König sind, werden Sie den genügenden Anstand besitzen, aus demokratischen Erwägungen ein Referendum über Monarchie oder Republik vorzuschlagen?“  

 

Laura Pérez Ruano erinnert sich noch sehr gut an jenen Tag vor drei Jahren, als sie den Prinzen mit ihrer Frage überrumpelte. „Alles geschah eher zufällig“, erzählt die 33-jährige Anwältin und Baskischlehrerin aus Pamplona. „Felipe hatte nicht den geringsten Verdacht, was ich ihm sagen würde.“ Spanien erlebte in jenen Tagen das erste Aufbegehren der Empörten. Am 15. Mai waren, aufgerufen über die sozialen Netzwerke, Zehntausende auf die Straße gegangen, um „Wahre Demokratie jetzt“ zu fordern – es war die Geburtsstunde der bis heute wichtigen Bewegung 15-M. Zu deren Aktivistinnen gehört Pérez Ruano.

Felipe mit seinen beiden Kindern Leonor und Sofie Foto: EFE / SPANISH ROYAL HOUSE

„Der 15-M bedeutete, über alles zu reden und alles infrage zu stellen“, erklärt sie. „Und die Monarchie war in Spanien jahrzehntelang ein Tabuthema. Das empörte mich: dass man eine Monarchie nicht infrage stellen konnte, die uns von einem Diktator auferlegt worden ist.“ Deshalb nutzte sie die Gelegenheit des Prinzenbesuches in Pamplona, um mit Felipe ins Gespräch zu kommen. „Ich wollte, vielleicht naiverweise, an seine persönliche Verantwortung appellieren.“ Der Versuch misslang. „Wie du wissen wirst, liegt es nicht an mir, ein Referendum einzuberufen“, antwortete der Kronprinz, der es gewohnt ist, seine Mitbürger zu duzen. Nach einem kurzen Hin und Her verabschiedete sich Felipe mit den Worten: „Auf alle Fälle hast du eine Minute des Ruhms gehabt.“

Laura Pérez Ruano nimmt dem Prinzen diese Taktlosigkeit nicht persönlich übel. Er sei während des kurzen Gespräches „höflich und korrekt“ gewesen. „Sein letzter Satz überraschte mich.“ Sie ahnte nicht, dass sie mit diesem Wortwechsel tatsächlich eine gewisse Berühmtheit erlangen würde: als mutige Streiterin für die Republik. Das Video der Begegnung zwischen der Monarchiekritikerin und dem künftigen Monarchen ist einer kleiner Youtube-Hit mit mehr als 100 000 Klicks. Zu sehen ist ein gewöhnlich beherrschter Prinz in einem schwachen Moment. Pérez Ruano findet das nicht so wichtig: „Es geht mir nicht darum, wie Felipe ist oder nicht ist, es geht mir nicht um die Person. Es geht um die Institution der Monarchie. Es geht um die Forderung nach mehr Demokratie.“

Als König Juan Carlos, seit gut 38 Jahren Inhaber des spanischen Thrones, am 2. Juni überraschend seine Abdankung erklärte, versammelten sich am selben Abend Zehntausende Menschen auf Spaniens Straßen und Plätzen, um – so wie Pérez Ruano – ein Referendum über den Fortbestand der Monarchie zu fordern. Nach einer Umfrage der Tageszeitung „El País“ unterstützen rund zwei Drittel der Spanier diese Forderung. Die meisten wollen am Königtum festhalten – aber sie wollen gefragt werden. „Wir haben ein Demokratiedefizit“, findet Pérez Ruano. Dieses Gefühl teilen viele.

Kronprinzessin Laetizia ist nicht unumstritten. Foto: epa efe

Spanien erlebt seit sechs Jahren nicht nur die schwerste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten, sondern auch einen rasanten Vertrauensverlust in alle Institutionen. Kein Tag vergeht ohne Meldungen über mutmaßliche neue Korruptionsfälle, in der regierenden Volkspartei, bei den Sozialisten, in der Justiz und selbst im nationalen Rechnungshof. „Die Leute fangen an, es sattzuhaben“, sagt Pérez Ruano. „Ist in Deutschland nicht ein Minister zurückgetreten, weil er seine Doktorarbeit abgeschrieben hatte? Hier tritt niemand zurück. Hier sind alle unberührbar.“

  Dass Felipe am Donnerstag ungefragt seinem Vater auf dem Thron nachfolgen wird, ist den Kritikern ein weiterer Beleg dafür, dass die Mächtigen ihre Angelegenheiten unter sich ausmachen. „Unglücklicherweise ist die Krone eine Institution von vielen in einer im allgemeinen undurchsichtigen, verknöcherten Demokratie von minderer Qualität gewesen“, schreibt der Politologe José Ignacio Torreblanca, „und keine, die eindeutig über den anderen und ihren Lastern stünde.“ Die Schwester des künftigen Königs, die Infantin Cristina, und ihr Ehemann Iñaki Urdangarin stehen unter Verdacht, sich illegal an öffentlichen Geldern bereichert zu haben. Der scheidende König Juan Carlos verstand es in der aktuellen Krise nicht, sich zum Fürsprecher eines Volkes zu machen, das um seine Zukunft fürchtet – stattdessen ging er mit seiner „innigen Freundin“, der Deutschen Corinna zu Sayn-Wittgenstein, auf Elefantenjagd im Süden Afrikas.

So, wie Juan Carlos die spanische Monarchie seinem Nachfolger hinterlässt, hat sie den Spaniern wenig zu bieten.   „Wie trostlos“, schrieb vor Kurzem der spanische Schriftsteller Andrés Trapiello über Juan Carlos. „Nie haben wir ihn mit einem Buch in der Hand gesehen, noch haben wir erfahren, dass er auf eigene Faust dieses oder jenes Museum besucht hätte, nie hat er einen einzigen guten Film oder einen Vers von jemandem zitiert. Den ganzen Tag mit Motorrädern, Rennbooten, der Jagd, dem Fußball, wie ein gewöhnlicher Bauunternehmer.“

Felipe übernimmmt nahtlos vom Vater Juan Carlos. Foto: EFE

Sein Sohn Felipe hat alle Möglichkeiten, sich von seinem Vater abzusetzen. Das Adjektiv, mit dem Juan Carlos am häufigsten beschrieben wird, ist „campechano“ – ungezwungen. Sein Sohn gilt dagegen als „preparado“ – vorbereitet. „Außerordentlich gut vorbereitet“ auf seine künftige Stellung sei Felipe, schreibt zum Beispiel der Präsident des Energiekonzerns Iberdrola, Ignacio Sánchez-Galán. So häufig wird das Wort benutzt, dass manche Felipe nur noch „El Preparado“ nennen.   So viele Spanier es auch gibt, die von den Hymnen auf ihren nächsten König mittlerweile genug haben, umso mehr setzen Hoffnungen auf Felipe.

„Neulich sagte mir ein Taxifahrer: An dem Tag, an dem ich einen Spanier mit Universitätsabschluss finde, der Englisch und Französisch spricht, der in den USA studiert hat und einen Master in Internationalen Beziehungen besitzt, der für seine Rolle erzogen worden ist, der am Abend ein Galadiner im Königspalast präsidiert und am nächsten Morgen ein Jagdflugzeug oder einen Panzer steuert – den Tag, an dem wir einen solchen Spanier finden, können wir vielleicht von der Republik sprechen.“ Die Anekdote erzählt der 26-jährige Pharmaziestudent José Reboredo, der nach der Abdankung von Juan Carlos gemeinsam mit drei Freunden eine Facebook-Seite zur Unterstützung der Monarchie ins Leben rief, die innerhalb von zehn Tagen mehr als 20 000 Fans vereinte.

Das Land könnte auseinanderbrechen

„Wir sind diese weiße Flut von freien, glücklichen, zufriedenen Leuten, denen das Spanien gefällt, in dem wir leben – und die wir auf alle Fälle weiter innerhalb des Gesetzes und der Verfassung leben wollen“, sagt Reboredo. „Und dazu gehört es, sich für die Monarchie und den König und die Demokratie starkzumachen.“   Die Menschen, die in den vergangenen Wochen für die Republik demonstrierten, hält der fröhliche Reboredo in ihrer Mehrheit für „linke Systemgegner“. Auch er sieht, dass Spanien in der Krise steckt. Doch um aus dieser Krise herauszufinden, brauche das Land keinen Systemwechsel, sondern eine Erneuerung der Institutionen.

„Wir wollen ein vertrauenswürdiges Land sein, das nicht dauernd hin und her schlingert“, sagt er. „Wir können nicht alle 40 Jahre das System ändern.“ Für ihn ist die Monarchie nicht Symbol eines möglichen Demokratiedefizits, sondern Symbol der Einheit – das sich mit dem Thronwechsel gerade erneuert, so wie es andere Institutionen auch tun sollten. Nun müsse Felipe „die Spanier für sich gewinnen, wie es sein Vater gemacht hat“.

  Der 46-jährige Thronfolger steht vor großen Herausforderungen. Der Argwohn der Republikaner ist nur eine. Drängender noch ist die Sorge um die Einheit des Landes, das Felipe repräsentieren soll. Eine starke separatistische Bewegung in Katalonien will vom Rest des Landes und dessen König nichts mehr wissen. Als besondere Hypothek trägt der künftige Monarch denselben Namen wie der erste Bourbone auf Spaniens Thron, Felipe V., der zu Beginn des 18. Jahrhunderts alle regionalen Sonderrechte Kataloniens und anderer ehemaliger spanischer Teilreiche beseitigte. Felipe VI. wird schon bald nicht mehr nur Komplimente zu hören bekommen. Und er wird allen Takt der Welt brauchen, um seiner Rolle als Schlichter und Vermittler zwischen allen Fronten gerecht zu werden.