Wechsel bei Bosch Volkmar Denner – das Gehirn von Bosch

Volkmar Denner ist 2012 Chef des Stuttgarter Konzern Bosch. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Aus unserem Plus-Archiv: Volkmar Denner ist seit 2012 Chef des Stuttgarter Konzerns Bosch. Was treibt den Lenker des weltgrößten Automobilzulieferers an? Was ist sein Erfolgsgeheimnis, und was sagt die Branche über ihn?

Chefredaktion: Anne Guhlich (agu)

Stuttgart - Das Büro des mächtigsten Manns bei Bosch ist höchstens 20 Quadratmeter groß. Es gibt darin keine teure Kunst, keinen großen Schreibtisch, keine Statussymbole. „Ich schätze unsere neue Bürogestaltung sehr, denn sie fördert den schnellen Austausch mit meinen Kollegen in der Geschäftsführung“, sagt Volkmar Denner. Er ist seit 2012 Chef des Stuttgarter Technologiekonzerns Bosch. Nun steht der Konzern vor einem Führungswechsel. Offenbar wird Denner den Chefsessel zum Jahreswechsel räumen.

 

Wendiger Digitalkonzern

Das Unternehmen hat sich seitdem von einem behäbigen Autozulieferer zu einem wendigen Digitalkonzern entwickelt. Der Umsatz ist von 44,7 Milliarden Euro auf 77,9 Milliarden Euro im Jahr 2019 gestiegen. Aufgrund der Corona-Krise und der rückläufigen Autoproduktion sank der Umsatz 2020 – den Umständen entsprechend leicht – auf 71,6 Milliarden Euro.

Als Moonshots bezeichnet die amerikanische Tech-Branche unrealistisch hohe Ziele, die schon allein durch die Auseinandersetzung mit dem Thema einen Unternehmenserfolg darstellen und verhindern sollen, dass sich die Mitarbeiter mit zu wenig zufriedengeben.

Bosch soll klimaneutral werden

Als Moonshot bezeichnet auch Denner sein aktuelles Großprojekt: Bosch in die Klimaneutralität führen. Doch der Unterschied zwischen amerikanischen Tech-Unternehmern und Volkmar Denner ist: Er meint es wirklich ernst. „Bosch ist der erste international aufgestellte Konzern, dem das gelingt“, sagt Denner. Bosch zeigt so gut wie derzeit kaum ein anderes deutsches Unternehmen, dass grüne Themen und schwarze Zahlen kein Widerspruch sein müssen – und dass die Wirtschaft mitunter wendiger agiert als die Politik.

Auch die Corona-Pandemie hat nichts an Denners Zielen geändert. „Wenngleich andere Themen gegenwärtig im Fokus stehen, dürfen wir die Zukunft unseres Planeten nicht aus dem Blick verlieren“, sagte Denner im Sommer unserer Zeitung. „Der Klimaschutz ist nach wie vor die größte Herausforderung für die Menschheit. Eine Herausforderung, auf die wir offensiv antworten, also nicht mit weniger, sondern mit mehr und vor allem mit neuer und intelligenter Technik.“

In der Branche gilt Volkmar Denner als „Leisetreter“

Nüchtern, funktional und bescheiden – so wie sein Büro ist auch Denners Auftreten. In der Branche wird er daher gern als „Leisetreter“ bezeichnet. Seine Art zu sprechen lässt tatsächlich eher an einen faktenbesessenen Professor denken als an den Manager des größten Autozulieferers der Welt. Vielleicht würden Denners Botschaften aus dem Munde eines sendungsbewussten Alphamanagers aus der Branche großspurig klingen. Wenn aber Denner es ausspricht, hören sich auch Berichte über die Revolutionierung der Dieseltechnologie oder das Streben nach weltweiter Marktführerschaft in der Elektromobilität oder nach einem Platz an der Weltspitze bei der Künstlichen Intelligenz ganz schwäbisch bescheiden an.

Denner behauptet Erfolge allerdings auch nicht einfach, sondern geht erst aus der Deckung, wenn er sie tatsächlich mit Zahlen belegen kann. In der Firma wird er von manchen regelrecht bewundert. „Volkmar Denner ist in der Regel bei jedem Treffen der intelligenteste Mensch im Raum“, sagt eine Führungskraft „und das weiß er auch. Manche nennen ihn das Gehirn von Bosch.“ Den Austausch mit ihm schätze er nicht nur in der Sache, sondern weil es immer auch eine Art Debattiertraining sei. „Dabei toleriert Denner andere Meinungen nicht nur, sondern er fordert sie regelrecht ein.“ Was er nicht mag: „Wenn man schlecht vorbereitet ist oder nicht zum Punkt kommt.“

Liebe zur Wissenschaft

Denner hat einen großen Wissensdurst. In seiner Freizeit programmiert er neuronale Netze. Das sind vereinfacht gesagt die Gehirne von intelligenten Maschinen. Der Bosch-Chef sagt von sich, dass er schlicht neugierig sei. „Je älter ich werde, umso größer wird die Liebe zur Wissenschaft.“ Denner, der im November 1956 in Uhingen (Kreis Göppingen) geboren wurde, hat an der Universität Stuttgart bis 1981 Physik studiert. „Als ich anschließend promoviert habe, war es eigentlich mein Wunsch, Professor für theoretische Physik zu werden.“ Allerdings wollte Denner auch eine Familie gründen, und an der Uni gab es nur befristete Stellen. „Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, eine Familie zu gründen, ohne zu wissen, wie es weitergeht. Das war der Grund für mich, in die Wirtschaft zu gehen“, sagt er. Es war ein großer Schritt.

Fridays for Future lobt Bosch

1986 startete er als Fachreferent für die Entwicklung von Leistungshalbleitern seine Karriere bei Bosch und übernahm 1989 die Leitung der Abteilung. Nach vielen verschiedenen Führungspositionen rückte er 2006 in die Geschäftsführung auf und wurde 2012 als Nachfolger von Franz Fehrenbach an die Konzernspitze berufen. Schon in seiner ersten Woche als Konzernchef hat er die Forschung und Entwicklung von Bosch um ein Konzept gebeten, wie der Konzern CO2-neutral gestellt werden kann. Damals hieß es noch, das Projekt würde den Konzern fünf Milliarden Euro kosten und sei daher nicht realisierbar. „Was nicht in großen Schritten machbar war, gingen wir zunächst in kleinen an“, schreibt Denner im Sommer 2019 im „Bosch-Zünder“, dem Mitarbeitermagazin des Konzerns.

„Mich interessieren viele Themen, und Klimaschutz war schon immer eines davon“, sagt er. „Früher wurde das Thema ja viel kontroverser diskutiert als heute, und es gab damals viele Menschen, die behauptet haben, dass der Klimawandel nicht menschengemacht sei.“ Das hat sein Interesse geweckt. „Mich hat zum einen die wissenschaftliche Neugier angetrieben und zum anderen die Überzeugung, dass dieses Thema für die Menschheit sehr wichtig ist.“ Im Pariser Klimaschutzabkommen haben sich 195 Länder auf einen Aktionsplan verständigt, der zum Ziel hat, den Temperaturanstieg der Erdatmosphäre auf deutlich unter zwei Grad – möglichst 1,5 Grad – zu begrenzen. Denner befürchtet, dass den Menschen die Zeit davonläuft. „Der Klimawandel wartet nicht.“ Doch die Versuchung sei unverkennbar, die Verantwortung für die Treibhausgasemissionen wegzuschieben – sei es in die Zukunft oder auf andere, scheinbar größere Verursacher. Die Coronakrise verführt manchen Firmenvertreter dazu, sich erst mal um die Auswirkungen der Pandemie zu kümmern. Denner aber bleibt bei seinem Kurs, den Klimawandel „hier und jetzt“ zu bekämpfen.

Dies beschert dem Konzern selbst von der Klimaschutzbewegung Fridays for Future anerkennende Worte. „Ein Konzern, der zumindest sehr viel tut, um seinen CO2-Fußabdruck zu reduzieren, ist Bosch“, sagte die Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer Anfang 2020 dem „Handelsblatt“. „Ich möchte Bosch jetzt nicht heiligsprechen, aber dass der Konzern bereits ab diesem Jahr klimaneutral arbeiten will, fällt durchaus positiv auf.“

Für Baden-Württemberg steht viel auf dem Spiel

Für Bundesländer wie Baden-Württemberg steht bei dem Weg in die klimaneutrale Wirtschaft viel auf dem Spiel. Allein im Südwesten hängen 470 000 Jobs von der Autoindustrie ab, die ihr Geld bislang weitestgehend mit Fahrzeugen verdient haben, welche mit Verbrennungsmotoren betrieben werden. Wie kann die Industrie, die heute für ein Drittel der weltweiten Treibhausemissionen steht, CO2-neutral Produkte fertigen, die ihrerseits ebenfalls klimaneutral betrieben werden können? Wie können Unternehmen, deren Geschäftsmodelle auf fossilen Verbrennungsprozessen beruhen, sich so verändern, dass sie überleben werden? Was werden die Männer und Frauen arbeiten, deren Tätigkeiten künftig wegfallen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich auch der Daimler-Chef Ola Källenius.

Für ihn ist Denner bei diesen Fragen ein Vordenker. „Volkmar Denner ist nicht nur ein außergewöhnlich smarter und sympathischer Kollege, er ist auch ein Vorreiter, was die wichtigste Aufgabe unserer Zeit angeht: den Weg zur Klimaneutralität“, sagt er. „Die ehrgeizigen Ziele, die er Bosch gesetzt hat, sind wegweisend für die gesamte Wirtschaft.“ Källenius arbeitet bei Daimler an dem gleichen Ziel: Bis 2039 – vermutlich eher früher – soll der Autokonzern sowohl im Hinblick auf die Produktion als auch die Produkte klimaneutral sein. „Klimaneutral werden wir nur gemeinsam“, sagt Källenius. „Deshalb geht Nachhaltigkeit für uns bei Daimler weit über Produkte und Produktion hinaus – wir haben die CO2-Reduktion auch zu einem zentralen Vergabekriterium für unsere Lieferanten gemacht.“ Die Zusammenarbeit mit Bosch bei vielen Zukunftsthemen sei der beste Beleg, dass Nachhaltigkeit und Hightech keine Widersprüche sind

Abgasskandal eine schwere Zäsur

Für die Autoindustrie geht es beim Thema Klimaschutz auch um Vergangenheitsbewältigung. Nicht zuletzt die Tatsache, dass die Branche keine Kaufprämie für Fahrzeuge mit modernen Verbrennungsmotoren durchsetzen konnte, zeigt, wie viel Vertrauen verspielt wurde. In all den Jahren bei Bosch hat Volkmar Denner nichts so sehr zugesetzt wie die Zeit, in der Bosch nach 2015 wegen seiner Rolle im VW-Abgasskandal in den Schlagzeilen stand. „Lieber Geld verlieren als Vertrauen“ – auf diesem Zitat von Robert Bosch fußt das Wertefundament des Konzerns.

Umso verstörender war es für die Bosch-Beschäftigten, als sie plötzlich als Software-Lieferant von VW als Mittäter am Pranger standen. „Das waren sehr schwierige Jahre, in denen mir persönlich ein reines Gewissen geholfen hat und die Erkenntnis, dass ich die Vergangenheit nicht ändern kann“, sagt Denner heute. „Ich kann sie lediglich rückhaltlos aufklären“, so der Manager. „Was ich aber beeinflussen kann, ist die Zukunft. Und das haben wir mit dem Produktentwicklungskodex getan.“

In diesem firmeneigenen Regelwerk hat Bosch Leitlinien für die Entwicklung von Produkten formuliert und präzisiert. Im Unternehmen heißt es, dass die Leitlinien zu großen Teilen von Denner höchstpersönlich aufgeschrieben worden sind. „Bei der Frage, wie wir die Zukunft beeinflussen können, hat Bosch eine Rolle eingenommen, die wir zuvor noch nie hatten“, sagt Denner. „Wenn wir heute feststellen, dass ein Produkt nicht dem Entwicklungskodex entspricht, wird es nicht ausgeliefert.“ Zumindest Bosch geht aus der Diesel-Vergangenheit mit einem gestärkten Wertefundament hervor.

Weitere Themen

Weitere Artikel zu Volkmar Denner Bosch