Willi Pietsch hat sich in den 1980er Jahren dafür eingesetzt, dass die Polizei sich um Jugendgruppen und Subkulturen kümmert. Nach 32 Jahren an der Spitze des dafür zuständigen Dezernats 22 geht er nun in den Ruhestand.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Mit der Soko „Punker“ hat es angefangen. Im Jahr 1982 leitete Willi Pietsch diese Sonderkommission des Dezernats für Tötungsdelikte. Jugendgruppen waren aneinandergeraten, darunter Punks und Hausbesetzer. Landfriedensbruch und Körperverletzung lauteten die Vorwürfe, die den Jugendlichen gemacht wurden. Mit Stuhlbeinen, an deren Ende Nägel eingeschlagen waren, hatten sich die Angreifer bewaffnet.

 

Bei der Arbeit an diesem Fall und bei der Erkundung des Umfelds der Jugendgruppen wurde Willi Pietsch eines klar: Die Polizei wird weder den Taten noch den jugendlichen Delinquenten gerecht, wenn sie sich bei der Ermittlung allein mit dem befasst, was vorgefallen ist. „Als jungdynamischer Oberkommissar kommt man dann so in die Subkulturen rein und merkt, dass da mehr dahintersteckt“, beschreibt der 63-Jährige, was damals geschah. Er schlug seinen Chefs vor, Delikte von Jugendgruppen zentral zu bearbeiten. Und erfand damit das Dezernat, das er nun 32 Jahre lang bis zu seinem Ruhestand geleitet hat. Anfangs hieß es Dezernat für Jugendgruppengewalt und widmete sich allen Subkulturen, die in der Großstadt aufkamen: Punks, Skins und Hooligans, die man damals noch Fußballgewalttäter nannte, zählt Pietsch ein paar Beispiele auf. „Es bringt nichts, wenn Revier A eine Körperverletzung bearbeitet, Revier B eine Sachbeschädigung und Revier C einen Raub. Jede Dienststelle arbeitet das nur auf das Delikt bezogen ab“, sagt Pietsch. Der in Stuttgart seinerzeit gewählte Ansatz, über die Gruppenzugehörigkeit zu ermitteln, sei mittlerweile deutschlandweit verbreitet. „Aber wir waren die ersten“, fügt Pietsch hinzu.

Ärger in der Partyszene

Zum Dezernat 22 gehören neben der sogenannten Jugenddelinquenz die Themen Kinder und Jugendschutz, Vermisstenfälle, jugendspezifische Banden- und Gewaltkriminalität. Es ist seit 1999 im Haus des Jugendrechts in Bad Cannstatt angesiedelt, dort arbeitet die Polizei unter einem Dach mit der Jugendgerichtshilfe, dem Amtsgericht und der Staatsanwaltschaft.

In den zurückliegenden Jahren zählten zu den außergewöhnlichen Themen vor allem die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern rivalisierender rockerähnlichen Gruppen wie den Black Jackets und der Red Legion sowie Ärger rund um die Partyszene. Um die Red Legion, die ihren Treff am Josef-Hirn-Platz hatten, sei es ruhig geworden, sagt Pietsch. Das vom Innenministerium erlassene Verbot der Gruppe bringe tatsächlich etwas. „Die Leute sind noch da, und die sind durch das Verbot nicht von heute auf morgen geläutert“, sagt er über die Bandenmitglieder. Aber es fehle ihnen nun die Identifikation mit der Gruppe, die sie stark gemacht habe, das mache sie weniger gefährlich.

Die Partymeile bleibt ein Unruheherd

Das Treiben rund um die Partymeile in der Innenstadt behält die Polizei im Blick. Jedoch sei es dort etwas ruhiger geworden und die Zahl der tätlichen Übergriffe unter Szenegängern sei zurückgegangen. „Aber es bleibt ein Unruheherd, wenn spät in der Nacht so viele Menschen alkoholisiert in der Stadt unterwegs sind“, fügt er hinzu.

Das bunte Leben in den Partynächten sei nicht das einzige, was sich im Laufe seiner Dienstzeit verändert habe. Auch die Jugend habe sich verändert. Das „Einstiegsalter in abweichende Verhaltensweisen“ sei gesunken. Früher seien Jugendliche tendenziell erst mit 14 auffällig geworden. An seinem vorletzten Arbeitstag musste sich der Erste Kriminalhauptkommissar noch mit einem Fall räuberischer Erpressung unter Elfjährigen befassen. „Sie sind nicht reifer. Es sind immer noch Elfjährige“, sagt Pietsch. Geändert habe sich aber das Umfeld. Zum einen verlocke die Beliebtheit von Smartphones und anderen technischen Geräten dazu, sich solche auch auf illegalem Weg zu beschaffen. Zum anderen riefen Erwachsene schneller als früher die Polizei zur Hilfe. „Ich bin im Stuttgarter Westen aufgewachsen. Da ging es auch ruppig zu. Wenn wir uns geprügelt haben, kam aber ein Nachbar und hat uns vom Hof gejagt.“ Heute werde in solchen Fällen oft die 110 gewählt. „Das ist ja nicht falsch. Vielleicht wäre das früher auch notwendig gewesen, als Signal, dass eine ganz klar Grenze überschritten ist.“

Pietsch ist weiterhin als Referent für Vorträge gefragt

Die weitere Entwicklung der Jugendkultur wird nun Willi Pietschs Nachfolger Stefan Hetterich beobachten. Auch er ist ein gebürtiger Stuttgarter. Das ist noch nicht die einzige Gemeinsamkeit: Als junger Polizist arbeitete Hetterich in der Soko „Punker“ mit. Polizeipräsident Franz Lutz führte ihn am Donnerstag als Dezernatsleiter ein und verabschiedete Willi Pietsch. Ganz vom Thema ablassen wird der Ruheständler aber nicht. Er werde Vorträge halten, ein paar Anfragen gebe es schon.

„Ich bin gerne Polizist gewesen. Aber langweilig wird es mir danach bestimmt nicht“, sagt Pietsch. Sport, Reisen und Lesen steht nun auf der Liste der Aktivitäten ganz oben – und auf der Leseliste hat der Kommissar viele Krimis stehen.