Der Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus arbeitet ab sofort bei Merck. Er soll eine "Führungsfunktion im Ausland" übernehmen, heißt es.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es war, vermutlich unbeabsichtigt, ein Satz wie eine Ohrfeige. Mitteilungen zu Mitarbeitern auf dieser Hierarchiestufe, zitierte die Deutsche Presse-Agentur einen Sprecher des Darmstädter Pharmakonzerns Merck, seien nicht üblich. Mit dieser Begründung habe er es abgelehnt, nähere Auskünfte über das Arbeitsgebiet des neuen Managers zu geben.

 

Nicht wichtig genug zu sein für die Öffentlichkeit - das ist für Stefan Mappus wohl eine neue Erfahrung. Seit Donnerstag steht der Ministerpräsident a.D. in den Diensten von Merck. Mehr, als dass er eine "Führungsfunktion im Ausland" übernehmen soll, mag der Konzern offiziell nicht verraten. Von Mappus selbst weiß man, dass er sich am Firmensitz in Darmstadt einige Monate einarbeiten lässt. Danach gehe es für einige Jahre nach Südamerika oder Südostasien; dort werde er voraussichtlich die Landesgesellschaft von Merck leiten. Sein Englisch sei "ganz passabel", falls nötig, werde er auch noch Spanisch oder Portugiesisch lernen.

"Ein tolles Unternehmen mit tollen Perspektiven"

Es sei "ein tolles Unternehmen mit tollen Perspektiven", bejubelte der gelernte Industriekaufmann und Diplomökonom seinen neuen Arbeitgeber, er erhalte dort eine "tolle Chance". Angeblich gab es noch zwei, drei andere Angebote aus der Wirtschaft, aber dazu hüllte sich der Exregierungschef in Schweigen. Von seinem Rückkehrrecht zu Siemens, wo er vor seiner Politkarriere in Teilzeit Telefonanlagen vertrieb, machte er jedenfalls keinen Gebrauch. Wichtig war ihm eine Firma außerhalb Baden-Württembergs, um jedwedes Getuschel zu vermeiden. Und als Lobbyist wie andere Ex-Politiker wollte er auch nicht tätig werden, es sollte schon "etwas im operativen Geschäft" sein.

Etwas ausführlicher begründet Merck, warum man Mappus engagiert habe. In ihm gewinne man "eine Führungskraft mit vielfältiger Expertise", sagte ein Sprecher der Stuttgarter Zeitung. "Mit seiner Erfahrung als Ministerpräsident eines großen, wirtschaftlich erfolgreichen Bundeslandes bringt er Managementqualitäten in unsere Unternehmenswelt ein, von denen wir profitieren können." Ganz generell sei es dem Unternehmen wichtig, "den Austausch zwischen Wirtschaft und Politik zu fördern". Schon Wochen vor der offiziellen Bekanntgabe war durchgesickert, dass der Konzernchef Karl-Ludwig Kley persönlich mit Mappus im Gespräch sei.

Reizfigur

So sehr der 45-Jährige als Politiker eine Reizfigur war, so wenig scheint sein Wechsel in die Wirtschaft noch die Gemüter zu erregen. Man habe auf seine Verpflichtung nur "wenige Reaktionen mit einer hohen Bandbreite an Inhalt erhalten", sagt der Unternehmenssprecher. Nur im Internet wird seine neue Karriere teilweise gallig kommentiert. Immerhin legt Merck, so wie es Mappus zumindest verbal tat, großen Wert auf Werte. "Wir streben nach Anerkennung ... in der Gesellschaft", heißt es im Unternehmenskodex. Und die Verlässlichkeit, die der Ministerpräsident immer für sich in Anspruch nahm, verspricht auch sein neuer Arbeitgeber: "Wir bei Merck tun, was wir sagen, und daran lassen wir uns messen." Die Wähler fanden die Übereinstimmung von Worten und Taten offenbar indes nicht ganz so überzeugend.

Für Mappus ist die Politik noch nicht abgeschlossen

Wie Mappus und Merck wohl zueinanderkamen, darüber wird in Kreisen der Landes-CDU bis heute gerätselt. Eingeweihte wollen wissen, dass dabei ein alter Freund und Förderer des Ex-Ministerpräsidenten eine Rolle gespielt habe: Dirk Notheis, einst Landeschef der Jungen Union und heute Deutschlandchef der US-Investmentbank Morgan Stanley. Für Notheis, sagen sie, sei Mappus' Absturz besonders schmerzlich gewesen: Mit dem von ihm eingefädelten EnBW-Rückkauf habe er dem Premier vor der Wahl zu einem politischen Coup verhelfen wollen. Tatsächlich sei das im Alleingang durchgezogene Milliardengeschäft, nach kurzem Beifall bis heute hoch umstritten, zu einem der Gründe für die Wahlniederlage geworden.

Beim CDU-Parteitag in Ludwigsburg, wo Mappus unter Tränen seinem "Traumjob" nachtrauerte und noch einmal mit den Medien haderte, verabschiedete sich übrigens auch Notheis aus der Politik: Nach vielen Jahren als Beisitzer, in denen er zuletzt allerdings kaum noch präsent war, kandidierte er nicht mehr für den Landesvorstand. Der Schlussstrich erfolgte freilich in seiner Abwesenheit, das Spießrutenlaufen ersparte er sich.

Kapitel Mappus noch nicht abgeschlossen

Wenn der Landtag zum ersten Mal nach der Sommerpause wieder tagt, wird statt dem Ex-Premier seine Zweitkandidatin Marianne Engeser im Plenarsaal sitzen. Doch das Kapitel Mappus ist für die Landespolitik noch längst nicht abgeschlossen: den EnBW-Deal will die einstige Opposition von Grünen und Roten, die ihn heute als schwere "Erblast" empfindet, auch in der Regierung weiter aufklären. Am 6. Oktober wird der Staatsgerichtshof mündlich darüber verhandeln, ob Mappus und der damalige Finanzminister Willi Stächele die Verfassung brachen, als sie die Milliarden am Landtag vorbei unter Berufung auf eine Klausel für Notlagen lockermachten. Der Anregung der Kläger, Mappus, Stächele und den früheren Landtagspräsidenten Peter Straub (alle CDU) als Zeugen zu vernehmen, wird das Gericht - zumindest vorerst - nicht nachkommen: Zeugen seien für den Sitzungstermin bisher nicht geladen, sagte ein Gerichtssprecher auf Anfrage. Im Zuge der Vorbereitung oder der Verhandlung selbst könne sich das aber noch ändern.

Auch die CDU wäre sicher dankbar, wenn ihrem einstigen Vormann ein Auftritt vor Gericht erspart bliebe. Möglichst schnell will die Partei die kurze Ära des Vorsitzenden abschließen, der sie nach fast sechzig Jahren in die Opposition führte. Nicht alle Christdemokraten halten den Machtverlust indes für ein Unglück, manche sprechen auch von einer "Befreiung"; nach der Wiederwahl, glauben sie, hätte der Machtpolitiker erst richtig losgelegt. In einem sind sich Anhänger wie Kritiker einig: mit dem Fall der CDU-Bastion Baden-Württemberg werde Mappus' Name für immer verbunden bleiben.

Die steile Karriere des Stefan Mappus

Aufstieg Mit dem Wechsel in die Wirtschaft endet für Stefan Mappus eine politische Karriere, die ihn binnen 15 Jahren vom Abgeordneten bis zum Ministerpräsidenten führte. Mit 30 Jahren wurde er in den Landtag gewählt, zwei Jahre später holte ihn Ministerpräsident Erwin Teufel als (Verkehrs-)Staatssekretär in die Regierung. 2004 beerbte er „seinen“ Minister Ulrich Mülller.

Gipfel 2005 nutzte Mappus die Chance, als Nachfolger Günther Oettingers an die Spitze der Landtags-CDU zu rücken. Damit hatte er die beste Startposition, als im Herbst 2009 überraschend Oettingers Wechsel als EU-Kommissar nach Brüssel bekannt wurde. Innerhalb weniger Tage sicherte sich Mappus das Amt – allerdings nur bis zur Landtagswahl am 27. März 2011.

Neubeginn Mappus neuer Arbeitgeber Merck ist ein weltweit tätiges Pharma- und Chemieunternehmen. Es befindet sich zu 70 Prozent in Familienbesitz, freie Aktionäre halten 30 Prozent. Die mehr als 40000 Mitarbeiter sind in 67 Ländern beschäftigt. Eine spätere Rückkehr in die Politik schloss Mappus nicht völlig aus, stellte sie aber als sehr unwahrscheinlich dar.