Die Gynäkologin Sheila de Liz aus Wiesbaden ist unter Jugendlichen auf Tiktok bekannt als „Doktorsex“. Dort erklärt sie, was junge Mädchen in der Pubertät über ihren Körper wissen müssen. Frauen ab 40 kennen sie vor allem wegen ihres Bestsellers „Woman on Fire“ – ein Sachbuch über die Wechseljahre. Der Bedarf nach Wissen und Antworten bei betroffenen Frauen ist riesig, und viele von ihnen leiden stark unter ihren Symptomen. De Liz ist der Meinung: Das ist unnötig.
Frau Dr. de Liz, Sie schreiben in ihrem Buch über die „fabelhaften Wechseljahre“. Viele Frauen sehen diese Jahre wohl eher als Qual. Was finden Sie fabelhaft daran?
Ich finde, es ist eine wunderbare Zeit! Mit Mitte vierzig hören wir auf, uns Sorgen darüber zu machen, ob uns alle mögen. Wir wollen es nicht mehr allen recht machen und fangen an, unsere eigenen Wünsche in den Vordergrund zu stellen. Wir fühlen uns frei und selbstsicher, ziehen klare Grenzen und sagen: „Das will ich. Und das will ich nicht mehr.“ Auf der anderen Seite haben wir durch das Schwanken des Testosteron-Levels häufig eine sehr gesunde und robuste Libido. Was ja auch eine gute Nachricht ist. Viele Frauen steigen in der Zeit tatsächlich aus dem jahrelangen Hamsterrad aus, in dem sie sich befunden haben, und wo es häufig eher um die Bedürfnisse von anderen ging, die sie erfüllt haben – Kinder, Ehemann oder im Job.
Vielen Frauen machen körperliche Beschwerden sehr zu schaffen. Findet heute ein anderer Umgang damit statt?
Ja, aber ich muss zunächst sagen, dass es bei den vielen körperlichen Symptomen, die die Wechseljahre mit sich bringen können, nicht nur um eine Befindlichkeitssicht geht. Ein Hormondefizit ist ungesund für den Körper. Und es kann der Grundstein für viele Erkrankungen im Alter sein. Oft ist sind es eben nicht nur ein bisschen Hitzewallungen und Schlafstörungen. Viele Symptome haben Krankheitswert! Den eigenen Beruf auszuüben muss ja immer möglich sein. Viel mehr Frauen als gedacht haben Folgen des Hormonmangels, die sie aber zunächst gar nicht mit der Hormonumstellung in Verbindung bringen wie Libidoverlust, Gelenkschmerzen, trockene Augen, depressive Verstimmungen, Tinnitus oder Blasenschwäche. Fast jedes Organ kann von dem Hormonwechsel betroffen sein – dies wissen viele Frauen aber nicht.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass irgendwelche Pillen, Tropfen oder homöopathische Kügelchen definitiv nicht gegen das hormonellen Defizit helfen, sondern lediglich Hormone. Die Hormonersatztherapie ist aber ziemlich in Verruf geraten.
In der Vergangenheit hat man Frauen künstliche Präparate mit hormonähnlicher Wirkung gegeben und dies Hormone genannt. Das war und ist bis heute falsch. Es wurde auch lange kaum in die Hormonersatztherapie investiert und kaum geforscht. Der Leitsatz war lange: lieber keine Hormone. Aber die heutigen bioidentischen Hormone sind sehr gut verträglich und haben kaum Nebenwirkungen bei der richtigen Dosierung.
Sie schreiben auch, Progesteron könne eigentlich jede Frau nehmen, es habe keine nennenswerten Nebenwirkungen. Es kann aber doch zu teils sehr starker Müdigkeit führen.
Bei extremer Müdigkeit oder Kopfschmerzen unter Progesteron ist oft die Dosis zu hoch oder das Timing falsch. Ein individueller Ansatz ist immer nötig.
Viele Frauen sind der Meinung, die Beschwerden, die sie in den Wechseljahren haben, seien eine Art natürlicher Zustand, den man so überstehen müsse und wo es keiner ärztlichen Unterstützung bedarf. Sind Frauen da zu hart zu sich?
Die Knochen werden dünner und brüchiger. Die Schleimhaut in der Harnblase baut sich ab, das bedeutet, dass man viel anfälliger für Harnwegsinfekte und Inkontinenz ist. Auch die vaginale Schleimhaut baut sich ab, das macht Geschlechtsverkehr sehr schmerzhaft bis unmöglich. Das muss man behandeln. Daher ist eine enge Zusammenarbeit mit dem Frauenarzt in der Lebensmitte wichtig.
https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.wechseljahre-im-wechselbad-der-hormone.a2fd05cb-79a1-408d-b9c9-a77eaf52f542.html
Nur gesund leben, wie es inzwischen ja häufig im Internet propagiert wird, reicht also nicht?
Der Notstand in der hormonellen Versorgung hat Türen geöffnet für paramedizinische Angebote sowie für eine Flut an Nahrungsergänzungsmittel. Es gibt Wechseljahre-Pulver und zig Ernährungsangebote. Aber das ist alles nicht sinnvoll, es lohnt sich nicht, dafür Geld auszugeben. Besser ist es, dann lieber in eine gute Frauenärztin zu investieren, auch wenn man diese manchmal privat bezahlen muss. Ich bin der Meinung, dass jede Frau auch dass machen soll, was für sie gut ist. Aber der Gedanke, Hormone sind böse, ist falsch. Viele Frauen, die sich auf die Natur verlassen, wissen oft nicht wirklich, wie folgenreich das sein kann. Frauen die Hormone nehmen, sind meiner Erfahrung nach, später im Alter viel gesünder und fitter.
Zur Person
Leben
Sheila de Liz, geboren 1969, ist Gynäkologin und betreibt in Wiesbaden eine gynäkologische Privatpraxis. Zudem hat sie eine Hormon-Onlineklinik eröffnet, um mit ihrem Team weltweit Frauen in den Wechseljahren zu beraten.
Autorin
Ihr Buch „Woman on Fire“ klärt umfangreich über die Wechseljahre auf, auch hat sie Bücher für Mädchen sowie über den weiblichen Körper allgemein geschrieben. (nay)