Der Bismarckturm auf dem Gähkopf am Rande des Killesberg ist nicht nur ein Aussichtspunkt, sondern ein Bauwerk mit großer Geschichte.
S-Nord - Hans-Christian Wieder hat gekämpft für seinen Turm. „Sein“ Turm kann man ruhig sagen. Der Architekt ist im Stuttgarter Norden aufgewachsen und wohnt immer noch dort. Der Bismarckturm auf dem Gähkopf gehört zu seiner Kindheit wie Schokoladeneis. Der Bau ist nicht wegzudenken – und fast wäre er heute nur noch Erinnerung. Als der Turm in den Neunzigern anfing zu bröckeln, die Steine abbrachen, die Treppe im Innern morsch wurde, hat man ihn geschlossen. Es gab Überlegungen, das mächtige Bauwerk als Ruine stehen zu lassen. Aber nicht mit Wieder. Im Bezirksbeirat hat er kräftig dagegen gesteuert. „Ich hatte schon immer ein Herz für den Bismarckturm“, sagt er.
Auch die Stadträte fassten sich letztlich ein Herz und beschlossen eine Sanierung. In den Jahren 2001 und 2002 wurden Steine abgenommen, die noch gut erhaltenen gesammelt und nummeriert und der Turm unter Verwendung derselben denkmalgerecht wieder aufgebaut. Im September 2002 konnte die Wiedereröffnung gefeiert werden. Seitdem betreut der Bürgerverein Killesberg und Umgebung den Betrieb des Turmes. „Türmerle“ nennt Wieder die ehrenamtlichen Helfer, die morgens auf- und abends abschließen, in der Zeit dazwischen die Aufsicht übernehmen, Fragen beantworten und Führungen anbieten. Rund 5000 Besucher genießen jährlich von dort oben den Panoramablick.
Stätten des Gedenkens
Wieder nimmt seine Aufgabe als „Türmerle“ sehr ernst. Sein Büro ist nur ein Beweis dafür. Dort stapeln sich Ordner prall gefüllt mit Zeitungsausschnitten, Fotos, alten Dokumenten und allem, was er finden kann, rund um das Bauwerk. Auch Fachliteratur steht in den Regalen. Für jede Frage findet er die passende Seite, den passenden Brief, die richtigen Worte. Meistens steht er kurz darauf am Kopierer – jeder soll alles wissen über seinen Turm.Stuttgart ist nicht die einzige Stadt, die im Besitz eines derartigen Turmes ist. Weltweit gab es ursprünglich 240. Heute sind es noch 173. Erbaut wurden sie überall dort, wo es Deutsche gab, auch in einigen Kolonien wie in Papa-Neuguinea und in Ländern mit deutschen Siedlungen wie Chile. Die Türme waren Denkmäler, die zu Ehren des ehemaligen Reichskanzlers Otto von Bismarck erbaut wurden. Nachdem dieser 1898 gestorben war, gab es vor allem in der Bonner Studentenschaft den dringenden Wunsch, Stätten des Gedenkens zu errichten. Ein Großteil der Studenten verehrte Bismarck. Insbesondere nachdem dieser durch den jungen Kaiser Wilhelm II. aus dem Amt entlassen worden war, begegneten ihm die Studenten mit Solidarität. Sie bewunderten die durch ihn vorangetriebene Einheit Deutschlands, seine Außenpolitik und seine Bemühungen, die Bürger sozial abzusichern.
Aus einem Wettbewerb ging der Architekt Wilhelm Kreis mit dem Entwurf „Götterdämmerung“ als Sieger hervor. Die danach erbauten Türme orientierten sich an diesem Entwurf. Der Stuttgarter Turm, der im Jahr 1904 eingeweiht wurde, entspricht sogar ganz dem Modell von Kreis. An bestimmten Gedenktagen wie Bismarcks Geburtstag wurden in der Feuerschale des Turmes bis zu fünf Meter hohe Flammen entfacht. Mit dem Beginn des ersten Weltkrieges schließlich endete die Befeuerung, auch die Bedeutung und die Verwendung des Turmes wurden eine andere.
Beobachtungsposten der Nationalsozialisten
„Unrühmlich“ war diese während des Zweiten Weltkrieges, sagt Wieder. Der Turm sei als Beobachtungsposten von den Nationalsozialisten verwendet worden. Zu Bismarck selbst gibt es heute wie gestern nicht wenige kritische Stimmen, etwa wegen seines rüden Umgangs mit innenpolitischen Gegnern oder wegen seiner ablehnende Haltung gegenüber der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung.
Für die meisten Menschen ist der Turm heute vor allem ein Ausflugsziel mit fantastischem Blick, bei optimalem Wetter bis zum Katzenbuckel im Odenwald. Und für Wieder ist der Bismarckturm einfach „der schönste Aussichtspunkt der Stadt“.