Das Ludwigsburger Landratsamt hat vor Gericht einen Sieg errungen – und damit enorm viel Geld gespart. Die Richter haben das Konzept für die Mietobergrenze bestätigt. Für die Betroffenen ist die Lage indes dramatisch.

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Heilbronn/Kreis Ludwigsburg - Es ist ein Urteil, auf das viele Menschen im Kreis Ludwigsburg gewartet haben. Im Landratsamts wird man den Richterspruch feiern, auch wenn es die Verantwortlichen so nie ausdrücken würden, weil das Thema dafür zu heikel ist. Denn für Menschen, denen es nicht so gut geht, ist die Entscheidung ein böser Nackenschlag, der so gar nicht in die Weihnachtszeit hineinpasst. Das Heilbronner Sozialgericht hat Ende der vergangenen Woche bestätigt, dass die Mietobergrenzen im Landkreis rechtmäßig sind. Es handelte sich um ein Musterverfahren, das heißt, die Klage stand stellvertretend für zahlreiche weitere Klagen gegen die Regelungen des Landratsamts. „Da mehrere tausend Menschen im Kreis von Sozialhilfe oder Hartz IV leben, werden sehr viele von diesem Urteil betroffen sein“, sagt Joachim von Berg, der Sprecher des Gerichts.

 

Entsprechend unterschiedlich fallen die Reaktionen aus. „Die dadurch geschaffene Rechtssicherheit für die Bürger und für das Landratsamt begrüßen wir“, sagt der Behördensprecher Andreas Fritz, und vermeidet damit jeden Anschein von Siegesfreude. Von einer „mittleren Katastrophe“ spricht hingegen Tamara Palmer von der Wohnungslosenhilfe in Ludwigsburg. Die bestehende Mietobergrenze sei ein „gravierendes Problem“ und berücksichtige nicht die dramatische Situation auf dem Wohnungsmarkt.

380 Euro dürfen Hartz-IV-Empfänger für eine Wohnung ausgeben

Konkret ging es in dem Verfahren um das so genannte „schlüssige Konzept“ des Landratsamts. Auf der Basis verschiedener Berechnungen und Statistiken besagt dieses Konzept, dass die Nettokaltmiete für einen Ein-Personen-Haushalt 380 Euro nicht übersteigen darf – diesen Betrag zahlt das Jobcenter, mehr nicht. Dagegen hatte ein Hartz-IV-Empfänger geklagt, der Ende 2016 in eine 60 Quadratmeter große Wohnung in Tamm gezogen war, für die eine Kaltmiete in Höhe von 410 Euro fällig wurde. Geht nicht, urteilte nun das Sozialgericht. Das „schlüssige Konzept“ des Landkreises bilde die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Wohnungsmarktes ab, und die darauf beruhende Mietobergrenze sei demnach rechtmäßig.

Einfach haben es sich die Richter nicht gemacht, sie legten eine umfassende Begründung vor. Letztlich besagt diese, dass Sozialhilfeempfänger und Hartz-IV-Bezieher eine Wohnung mit einem „im unteren Marktsegment liegenden Standard“ beziehen müssen, und die entscheidende Aussage ist: In Tamm und vergleichbaren Kommunen im Landkreis seien ausreichend Wohnungen dieser Art vorhanden. Die Richter haben, um dies zu unterfüttern, den Wohnungsmarkt überprüft. Dabei ermittelten sie, dass von 7500 gesichteten Angeboten 287 auf Wohnungen mit rund 45 Quadratmeter Größe entfallen, deren Miete unterhalb der festgesetzten Obergrenze liege. Einfacher ausgedrückt: „Das Gericht erkennt an, dass die Obergrenze angemessen ist, weil bezahlbarer Wohnraum vorhanden ist“, erklärt von Berg.

Auch Normalverdiener leiden unter dem Status quo

Das ist der Zankapfel. Die Berechnungen des Landkreises fußen auf Statistik, nicht auf der Lebenswirklichkeit. Das zumindest sagen zahlreiche Betroffene, die ebenfalls gegen die Obergrenze geklagt haben – und nach dem Urteil überlegen müssen, ob sie künftig einen Teil ihrer Miete selbst übernehmen, was für Hartz-IV-Empfänger oder Sozialhilfeempfänger kaum zu schaffen ist. Oder ob sie bald in eine günstigere Wohnung umziehen, was ebenfalls fast aussichtslos erscheint.

Zu dieser Einschätzung jedenfalls gelangt Tamara Palmer, die bei der Wohnungslosenhilfe für Menschen zuständig ist, die von Obdachlosigkeit bedroht sind. „Klar gibt es günstige Wohnungen“, sagt sie. Aber gerade für Empfänger staatlicher Leistungen sei es äußerst schwer, solche Wohnungen zu bekommen. Nicht nur, weil die Menschen stigmatisiert seien. Sondern auch, weil der Markt derart festgefahren sei, dass sich auch Normalverdiener dafür bewerben müssten.

„Es findet kein Wechsel mehr statt“, sagt Palmer. Früher seien Menschen aus der Mittelschicht, sobald ihr Einkommen gestiegen sei, in bessere Wohnungen umgezogen, und hätten damit wieder Wohnraum für andere frei gemacht. Doch weil die Nachfrage nach Wohnungen das Angebot längst drastisch übersteige, sei dieser Prozess nahezu zum Erliegen gekommen. „Der Kreislauf ist gestoppt.“ Mit Folgen nicht nur für Hartz-IV-Empfänger. Auch Alleinerziehende, Familien mit mehreren Kindern oder Geringverdiener seien zunehmend von Wohnungslosigkeit bedroht.

Wer heute seine Wohnung verliert, findet nur schwer Ersatz

„Wenn diesen Gruppen heute, etwa wegen Eigenbedarf, die Wohnung gekündigt wird, wird es sehr schwierig, Ersatz zu finden“, sagt Palmer. Verstärkt werde der Teufelskreis dadurch, dass zu wenige Sozialwohnungen auf dem Markt seien. Allein die Ludwigsburger Wohnungsbaugesellschaft habe 1500 Menschen auf ihrer Warteliste.

Immerhin passt der Landkreis die Mietobergrenze regelmäßig an. Das Heilbronner Urteil bezieht sich noch auf einen alten Betrag, der zum Zeitpunkt der Klage galt. Kürzlich wurde das Limit auf 420 Euro angehoben – zumindest für Tamm, Ludwigsburg, Asperg oder Bietigheim-Bissingen. In kleineren Kommunen liegt der Satz nun bei 390 Euro. Dass das Landratsamt die Grenze hartnäckig verteidigt, hat einen einfachen Grund: Es geht um sehr viel Geld. In einem ähnlichen Fall hatte das Sozialgericht 2015 die in der Stadt Heilbronn geltende Mietobergrenze gekippt.

Damals entschieden die Richter, dass das dort geltende Maximum viel zu gering sei. Wäre das „schlüssige Konzept“ des Landkreises Ludwigsburg ebenfalls vor Gericht gescheitert, hätte das Landratsamt vielen tausend Menschen, die heute auf eigene Kosten die Miete aufstocken, Geld nachzahlen müssen. Welche Summe dabei zum Tragen gekommen wäre, ist unklar, die Berechnung ist äußerst kompliziert. Aber eine Zahl verdeutlich doch die Dimensionen, um die es geht: Im Jahr 2018 wird das Jobcenter des Landkreises nach eigenen Angaben Unterkunftskosten in Höhe von rund 50 Millionen Euro übernehmen.

Der Hartz-IV-Empfänger, der gegen die im Landkreis Ludwigsburg geltende Obergrenze geklagt hatte, kann nun zwar noch Berufung einlegen. Seine Chancen, in der nächsthöhren Instanz ein anderes Urteil zu erstreiten, sind allerdings erfahrungsgemäß gering.