Eine neue Studie zeigt, dass die Fruchtbarkeit durch die Chemikalie Bisphenol A nicht nur im Tierversuch gestört wird.

Stuttgart - Der Streit um BisphenolA (BPA) geht in die nächste Runde. Seit Jahren steht der umstrittene Grundstoff zahlreicher Plastikprodukte nicht nur im Mittelpunkt wissenschaftlicher Diskussionen. Auch in der Öffentlichkeit wird die Debatte emotional aufgeladen verfolgt, denn das prominenteste Anwendungsbeispiel für diesen Weichmacher sind Babyflaschen.

BisphenolA ist im Polycarbonat der Plastikflaschen gespeichert, wird aber nach und nach freigesetzt. Die Substanz steht in dem Verdacht, Entwicklung und Fortpflanzung zu beeinträchtigen - nachgewiesen wurde dies hauptsächlich immer wieder in Tierversuchen. BPA ist chemisch verwandt mit dem Hormon Östrogen und wirkt im Körper daher auch vergleichbar.Doch nun konnte die schädliche Wirkung von BPA auch beim Menschen nachgewiesen werden: Eine neue Studie zeigt, die Fruchtbarkeit von Männern wird durch die Substanz geschädigt. Ein amerikanisch-chinesisches Forschungsteam stellte fest, dass Männer, in deren Urin die hormonähnliche Substanz nachgewiesen werden konnte, weniger Spermien produzierten.

Die Wissenschaftler verglichen bei 218 chinesischen Fabrikarbeitern die BPA-Werte im Harn mit der Samenqualität: Eine höhere Konzentration der Chemikalie minderte nicht nur die Produktion der Spermien, sie senkte auch die Qualität der Samenzellen, schreiben die Forscher in "Fertility and Sterility". Hohe BPA-Belastungen sollen zudem auch einen negativen Einfluss auf Libido und Potenz haben. Als Kontrollgruppe dienten die Kollegen der Fabrikarbeiter, deren Urin kein BPA aufwies.

Untersuchung an Patienten in Unfruchtbarkeitskliniken


Auch eine ältere amerikanische Untersuchung an Patienten in Unfruchtbarkeitskliniken hatte gezeigt, dass bei fast 90 Prozent der dort behandelten Männer BPA im Urin gefunden wurde. Allerdings waren die Fallzahlen in dieser Studie zu klein, so dass sie wissenschaftlich kontrovers diskutiert wurde. Zudem fehlte die Kontrollgruppe. Bisher sahen die zuständigen Aufsichtsbehörden, wie etwa die Europäische Lebensmittelbehörde (Efsa) und das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), keinen Grund zur Sorge.

Die Tierversuche, so wird argumentiert, könnten nicht direkt auf den Menschen übertragen werden, weil der Mensch die Chemikalie sehr viel schneller abbaut und ausscheidet als etwa Ratten. Daher wurde vor vier Jahren der Grenzwert für die BPA-Aufnahme geändert: Statt der bis dahin geltenden 10 Mikrogramm BisphenolA pro Kilogramm Körpergewicht am Tag, darf man nun 50 Mikrogramm aufnehmen.

Doch etliche Forscher fürchten, dass BPA auch auf andere Organe wirkt. Möglicherweise könnte die Substanz auch über die Haut in den menschlichen Organismus gelangen. So konnte man in Tierversuchen biochemische Veränderungen im zentralen Nervensystem nachweisen sowie einen Einfluss auf das Immunsystem und ein erhöhtes Risiko, an Brustkrebs zu erkranken. Auch der Zusammenhang zwischen erhöhten BPA-Werten und Diabetes sowie Krebserkrankungen wird diskutiert.

Dauerhafte Schädigung des Erbguts


Zudem kann die Substanz das Erbgut dauerhaft schädigen. "Sollten in Zukunft irgendwelche neuen relevanten Daten zur Verfügung stehen, wird das Gremium eine erneute Überprüfung des Gutachtens vornehmen", lassen die Experten der Efsa wissen. So wird der Grenzwert in absehbarer Zeit vermutlich nicht verändert werden - sehr zum Missfallen verschiedener Umweltorganisationen.

Der Streit geht weiter, weitere Studien werden folgen. Das ist notwendig, immerhin handelt es sich bei BPA um einen Stoff, der aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken ist: Seit etwa 40 Jahren wird die Chemikalie in großen Mengen produziert. Mehr als drei Millionen Tonnen im Jahr sind es in Deutschland. Polycarbonate begegnen dem Verbraucher überall: in Trinkbechern und -flaschen oder in Plastikaufbewahrungsboxen. Außerdem steckt BPA in der Beschichtung von Getränke- und Konservendosen und in Milchtüten. Auch in Epoxidharzen, die etwa in der Autoindustrie und Baubranche als Klebstoff eingesetzt werden, findet man die Substanz.