Es hätte auch Datenschutzverordnung werden können, wie in Österreich. Aber das deutsche Unwort des Jahres, ausgewählt von einer Fachjury, zusammengesetzt aus Sprachwissenschaftlern, hat sich für ein Wort entschieden, das der CSU-Mann Alexander Dobrindt gerne lächelnd verwendete: Anti-Abschiebe-Industrie.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Wie hoch kompliziert es im deutschsprachigen Raum zugeht, sobald die Wahlen zum Wort respektive Unwort des Jahres stattfinden, belegt allein die Tatsache, dass für nämliches Wort die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) mit Sitz in Wiesbaden zuständig ist. Das Unwort zu küren hingegen obliegt seit 1994 einer Jury namens „Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres“, angesiedelt in Darmstadt. Obendrein haben sich 1999 Österreich und die Schweiz aus dem Restverbund gelöst, unter anderem, weil die jeweiligen Lebenswelten doch sehr unterschiedlich sind, wie die Wortwahl 2018 erneut bewiesen hat.

 

Top in Österreich: Schweigekanzler

Während die Österreicher für einen terminologischen Wiedergänger votierten (Schweigekanzler, ein Begriff, den Sebastian Kurz von einem seiner Vorgänger, Wolfgang Schüssel, geerbt hat), entschieden sich die Eidgenossen, zumindest in der Deutschschweiz, für den Ausdruck Doppeladler, was wiederum nur versteht, wer die Siegergestik der albanischstämmigen Nati-Fraktion (Granit Xhaka, Xherdan Shaquiri) bei der Fußball-WM in Russland im Gedächtnis hat – und die nachfolgenden Nationalitätsdiskussionen präsent. In Deutschland wurde Heißzeit das Wort des Jahres, obwohl man darüber im Alltag nicht unbedingt rhetorisch gestolpert war.

Geänderte Sagbarkeitsregeln?

Ähnlich verhält es sich mit dem Unwort 2018: Zum Nachfolger der alternativen Fakten wurde ein Ausspruch des beständig um Originalität bemühten CSU-Landesgruppenvorsitzenden Alexander Dobrindt bestimmt, der im Mai von der Anti-Abschiebe-Industrie geraunt hatte, worunter er Menschen verstanden haben wollte, die Rechtsmittel einlegen. Ob die Einlassung, wie die Jury zur Begründung anführt, ein Beispiel dafür ist, dass sich der politische Diskurs verschiebt und die „Sagbarkeitsregeln“ ändern, mag dahingestellt bleiben. Womöglich fühlt sich Dobrindt, dessen Hang zur Diffamierung in einem mitunter unguten Verhältnis zu seiner Differenzierungsfähigkeit steht, sogar noch gebauchpinselt. Hingegen ist das wirkliche Wort/Unwort der letzten Jahre wieder einmal leer ausgegangen. Es wird inflationär gebraucht, weil es ubiquitär verwendbar ist – und passt natürlich auch, wie man’s dreht und wendet, auf Dobrindt und sein Metaphernungetüm: Alter!