Warum schon wieder Weihnachten feiern? Ausgerechnet in diesem Jahr! Es gibt wirklich viele Gründe, die gegen das Fest sprechen. Aber das macht nichts.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Es gibt einen Satz, der garantiert jede gute Stimmung tötet: „Was gibt’s denn da zu feiern?“ Der ultimative Killer. Gerade eben war man noch guter Dinge und machte das Licht schon mal ein bisschen schön – und dann kommt plötzlich jemand vorbei oder verkündet im Fernsehen oder twittert: „Ich weiß gar nicht, was es da zu feiern gibt. Weihnachten gehört abgeschafft.“

 

Silvester, Ostern, Fasching oder den Tag der Deutschen Einheit kann man feiern. Man kann es aber auch bleiben lassen. Diese Feste stehen jedem Einzelnen zur freien Verfügung. Sie sind auch ignorierbar. Weihnachten aber prägt Gesellschaft, Medien, Alltag und Kultur über Wochen hinweg. Selbst beim Besuch der abgewracktesten Kneipe sieht man sich beim Rutschen auf den Barhocker plötzlich am Ende der Theke einem bunt geschmückten Plastik-Tannenbaum gegenüber. Man kann sich zu Weihnachten nicht nicht verhalten. Wer Weihnachten nicht feiern will, muss es prinzipiell ablehnen. Nebst Begründung.

Das fällt ja auch gar nicht schwer. Fast nichts von dem, was wir in diesen Tagen mit all dem Glockenklingeln, den besinnlichen Ansprachen und festlichen Posaunentrötereien beschwören, nichts von all dem Eintopf aus Frieden, Versöhnung, Liebe, Besinnung, Familie und Gemeinschaft hält ja einer halbwegs ernsthaften Überprüfung auch nur Sekundenbruchteile lang stand. In der Welt (keineswegs nur in Aleppo) herrscht Krieg, während unter unserem Weihnachtsbaum die Schlacht der Geschenke tobt. Die Reichen verprassen gerade einen Saisonluxus, von dem die Armen noch nicht mal träumen können. In den Ehen und Familien drohen zur Bescherung wüste Beziehungskriege, wovon später in der Nacht die Telefonseelsorgen zu hören kriegen. Und selbst der leckere Festtagsbraten müsste uns eigentlich im Hals stecken bleiben, stammt er doch mit einiger Wahrscheinlichkeit aus tierquälerischer Massenhaltung. Ganz ehrlich, was gibt’s denn da eigentlich noch zu feiern?

Religiöses Weihnachten hat nichts mit Festgetöse und Besinnlichkeitshysterie zu tun

Leicht hat es, wem der religiöse Kern des Weihnachtsfestes etwas sagt und bedeutet. Wer glaubt, dass einst in Bethlehem Gottes Sohn als Mensch zur Welt kam, hat besten Grund, Heiligabend zu feiern und kann es von Herzen tun.

Mit Festgetöse hat dieses religiöse Weihnachten ebenso wenig zu schaffen wie mit Besinnlichkeitshysterie. Besagte Geburt ist eine ziemlich harte Sache. Das Kind, das Jesus heißen soll, kommt in prekäre Verhältnisse. Sein Lebensweg zielt auf einen frühen, schmachvollen Tod. Die Engel, die in der Heiligen Nacht Frieden auf Erden verkünden, sind nicht blind vor den Realitäten, sondern bringen eine Verheißung. Da steht etwas in Aussicht, könnte real werden – vorausgesetzt, es gibt Menschen, welche die Botschaft annehmen und in Taten umsetzen. Als Gläubiger kann und muss man all dies feiern, in Erinnerung rufen. Aus Weihnachten folgt alles Weitere.

Nun gibt es in Deutschland aber keineswegs nur religiös empfindsame Menschen. Was gäbe es also für all die am Ende dieses Jahres 2016 zu feiern?

Der einzige Sinn des Feierns ist das Feiern

Die Antwort lautet: ebendasselbe wie 2015 und 2014 und wohl auch 2017 – zu feiern gibt es ein Fest. Das Feiern braucht keinen von außen auferlegten Sinn und schon gar keine Leistungs- oder Erfolgsbilanz. Sein Sinn liegt in sich selbst. Alle Kulturen dieser Welt unterbrechen das Gewöhnliche, das Profane mit Zeiten des Feierns. Das Fest ist die Ausnahme, das Besondere. Wir tun Dinge, die wir im Alltag vernachlässigen, versäumen, uns nicht gestatten. Wir suchen Gesellschaft. Wir suchen Nähe. Wir gehen an Orte, die eine besondere Bedeutung für uns haben. Wir pflegen Rituale, nach deren Sinn wir nicht fragen müssen, weil ihr Sinn gerade ist, gepflegt zu werden und so unser Leben über größere Strecken zusammenzuhalten. Wir sind großzügig gegenüber uns selbst und anderen. Im Fest genießen wir den Augenblick. Deswegen ist es nicht nur erlaubt zu feiern. Es ist sogar sehr vernünftig.

Überall auf der Welt feiern Menschen Feste, auch unter bedrückenden Umständen. Manchmal laut, manchmal still, manchmal nach langer Zeit neu, manchmal unter völlig neuen Umständen, manchmal zaghaft. Wie man feiert, dazu gibt es keine Vorschriften. Aber dass es etwas zu feiern gibt, daran kann kein Zweifel bestehen. Es ist jetzt am Ende des Jahres schlicht die Zeit dazu. Es wird ein Fest. Richtig schön kann’s werden.