Weihnachten hinter den Mauern der Justizvollzugsanstalt ist an sich schon eine triste Erfahrung – in Zeiten der Pandemie noch mehr als sonst.

Stammheim - Draußen hat uns Corona einmal mehr fest im Griff. Und in der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Stammheim? Hinter Gittern ist Weihnachten vor allem eine karge Angelegenheit. Drei Seelsorger erzählen vom Paralleluniversum Untersuchungshaft und von der Einsamkeit an den Feiertagen. Daneben mögen manchem die eigenen, pandemisch eingeschränkten Pläne fast schon vielversprechend erscheinen.

 

Fototermin vor der Justizvollzugsanstalt mit zwei von aktuell drei Gefängnisseelsorgern: dem evangelischen Pfarrer Dieter Kümmel und der katholischen Ordensfrau Schwester Vera Perzi. Auch Aysel Özdemir ist gekommen; die Muslima ist Krankenhausseelsorgerin, hospitiert dieser Tage in der JVA und könnte das Team bald ergänzen. Zu Weihnachten wird sie eher weniger Bezug haben, oder? „Nein, nein, auch für uns Muslime in Deutschland ist Weihnachten zu einem Familienfest geworden. Ich merke, dass ich das brauche, die Lichter, die Stimmung des Friedens – und dass dieses Jahr wieder etwas fehlt.“

„Ein Gespür entwickeln“

Ihre Kollegen haben weihnachtliche Attribute für das Foto mitgebracht, eine Trompete der eine und eine kleine Madonna aus rotem Stein die andere. Schwester Vera setzt mit der Figur kleine Trostpunkte im Alltag der JVA. „Wo es passt“, schränkt sie ein: „Man muss ein Gespür dafür entwickeln.“ Nicht, dass das christliche Symbol nicht willkommen wäre: Es könne aber auch die entgegengesetzte Wirkung haben – und statt zu trösten die Umgebung noch trostloser wirken lassen.

Die Arbeit der Gefängnisseelsorger mag räumlich begrenzt sein, setzt aber Improvisationsgabe voraus: Weil oft gerade kein Raum für Gespräche zur Verfügung steht, die Möglichkeiten zu helfen eingeschränkt sind oder sich der Ablauf kurzfristig ändert. Das ist besonders oft in der Vorweihnachtszeit der Fall, wenn die Sehnsucht nach daheim größer ist, als sonst – und mitunter die Nerven blank liegen lässt: „Zur Zeit haben wir sehr oft Alarm“, berichtet Kümmel. Die Zahl der Schlägereien sei seit Beginn der Adventszeit deutlich gestiegen und in den jüngsten Tagen noch einmal mehr: „Alles Zeichen eines erhöhten Stresslevels.“

Corona verstärkt die Tristesse

Weihnachten in Untersuchungshaft ist trist und Corona verstärkt das noch: Gerade erging deshalb ein offener Brief des Gefangenenvertreters der JVA an das Bundeskanzleramt: Es seien kaum noch Präsenzbesuche möglich, heißt es darin, und auch die Vorbereitung zu Alkohol- und Drogentherapie entfalle. An Weihnachten gelte überdies der eingeschränkte Wochenendbetrieb: Die Häftlinge bleiben dann täglich 23 Stunden in ihrer Zelle, duschen ist unmöglich und das Frühstück des nächsten Tages wird bereits mit dem vorhergehenden Abendessen nachmittags ausgegeben.

Die Teilnahme an den JVA-Weihnachtsgottesdiensten ist in der Pandemie ebenfalls begrenzt: „Wir haben Platz für 60 Personen, aber schon 80 Anmeldungen“, bringt Dieter Kümmel das Dilemma auf den Punkt: „Nach welchen Kriterien sollen wir da auswählen?“ Immerhin bekommt jeder Häftling ein kleines Extra, einen Mini-Christstollen, erzählt Schwester Vera in ihrer abgeklärten Art: „Daran erkennt man die Oldies: Wer ein Geschenk erwartet, war schon mal Gast, wer zum ersten Mal da ist, der rechnet mit nichts.“

Das höchste der Gefühle

Die beiden Andachtsräume versuche man für den Anlass etwas festlicher zu gestalten. Wer da Szenarien aus Schöner Wohnen vor Augen hat: Eine Lichterkette ist da mit das höchste der Gefühle. „Weihnachten im Knast“, betont Schwester Vera, sei eher der Versuch, aus wenig so viel wie möglich zu machen. Die Franziskanerin hat erfahren, dass der Gang zu den Gottesdiensten bisweilen für Übergriffe oder andere Verstöße genutzt werde. Bei aller Unschuldsvermutung warten eben auch durchaus schwere Jungs in Stammheim auf ihren Prozess. Andererseits suche man so eine konzentrierte Stille bei normalen Gemeindegottesdiensten vergeblich, berichtet Kümmel: „Da wird jedes Wort begierig aufgenommen.“

„Im Knast ist der Jahreswechsel ein schwieriger Termin“, fasst Schwester Vera die Lage zusammen, die sich mit Silvester und Dreikönig bis in den Januar hinein ziehen wird. Dieter Kümmel ergänzt, dass Weihnachten aber auch ein Glanzpunkt sein kann, „der dem Herz helfen soll, zur Ruhe zu finden“. Und Aysel Özdemir vollendet: „Wichtig ist, dass die Menschen sehen, da hat sich jemand Mühe gemacht.“