Genuss, Freude, Harmonie – so soll ein Weihnachtsmarkt sein. Tatsächlich ist er eine brisante Angelegenheit. Ein Punktesystem macht in Ludwigsburg manchem Anbieter zu schaffen.

Region: Verena Mayer (ena)

Ludwigsburg - Noch bevor Dundu überhaupt da ist, stehen in der Eberhardstraße große und kleine Menschen, die ihn erwarten. Und als Dundu, diese filigrane Riesenpuppe, dann da ist und seine vielen bezaubernden Lichtlein anknipst, kommen noch mehr Menschen und immer noch mehr. Alle rufen „oh“ und „ah“ oder „sagenhaft“ und „gigantisch“, machen Fotos, drehen Videos und laufen ihm hinterher bei seiner Tour über den Weihnachtsmarkt.

 

Dundu tanzte mit Helene Fischer, er lief für den Frieden nach Kairo, er ist für die Unesco im Einsatz und tritt bei den tollsten Theaterfestivals auf. Und nun auch in der Eberhardstraße in Ludwigsburg. Dorthin ist in diesem Jahr der Weihnachtsmarkt ausgeweitet worden, und darüber scheinen alle ganz glücklich – was bei einem Weihnachtsmarkt ja nicht immer der Fall ist. Tatsächlich ist so ein Weihnachtsmarkt eine ziemlich brisante Angelegenheit.

Die äußeren Werte zählen

Das fängt mit den Äußerlichkeiten an: Eine Hütte, die eine Chance haben will auf dem Ludwigsburger Weihnachtsmarkt, muss gut aussehen. Sie sollte aus Holz sein und über ein gemütliches Giebeldach verfügen. Die Beleuchtung hat stimmungsvoll zu sein, die Deko einen Bezug zu Weihnachten darzustellen, und die Verkäufer sollten ein einheitliches Erscheinungsbild abgeben. Auf all dies achtet die Stadt im Bewerbungsverfahren – und vergibt Punkte, oder auch nicht. Nicht so gut kommt etwa, wenn eine Hütte nicht zerlegbar ist, und darum am Stück per Kran angeliefert werden muss. Weil das die Aufbaulogistik erschwert.

Maximal 165 Punkte kann ein Beschicker erreichen. Bis die Auswahl steht, vergehen Monate. Auf die rund 180 Plätze bewerben sich in Ludwigsburg an die 800 Händler. Bis die exakten Standorte rund um den Marktplatz feststehen, dauert es noch mal eine kleine Ewigkeit. „Der Weihnachtsmarkt begleitet mich das ganze Jahr“, sagt Melanie Mitna, die seit zwei Jahren für seine Organisation verantwortlich ist. Und wenn es ungut läuft, dann hat sie nicht mal Spaß dabei.

Bio-Crêpes schlägt Bratwurst

Weil etwa einer der Innenstadthändler zetert. So wie voriges Jahr eine Modehändlerin in der Unteren Marktstraße, deren Eingang zum Geschäft durch tannenbedeckte Büdchen verdeckt wurde. Oder einer der Beschicker motzt. So wie, ebenfalls voriges Jahr, die Jugendfarm, weil sie über ihren vermeintlich abgelegenen Platz bei der katholischen Kirche unglücklich war. Wenn es ganz mies läuft, klagt ein Budenbetreiber sogar. So wie dieses Jahr Heiko Laur, weil er mit seiner Schweizer Hütte nicht zugelassen worden ist.

Dies allerdings hatte mit den inneren Werten zu tun, die bei der Bewerbung ebenfalls eine Rolle spielen. Punkte gibt es zum Beispiel für das Angebot: Handelt es sich um ein besonderes Sortiment, eines aus Eigenerzeugnissen gar? Oder handelt es sich um ein Traditionsgeschäft, das es zu erhalten gilt? Ist das Angebot neu und trägt zur Attraktivitätssteigerung bei? Ein Bewerber um einen Stand für Bratwurst und Glühwein zum Beispiel bekommt in der Kategorie „Warenangebot“ weniger Punkte als ein Anbieter von, sagen wir, gebratenen Entenbrüsten oder Bio-Crêpes. Weil es davon im begrenzten Segment Gastronomie nicht so viele gibt.

Große Märkte brauchen transparente Standards

Zum Verhängnis war Heiko Laur, der seit 2014 auf dem Weihnachtsmarkt Schweizer Spezialitäten anbot, aber die Kategorie „Zuverlässigkeit“ geworden. Einer seiner Mitarbeiter hatte letztes Jahr eine Mitarbeiterin der Stadt beleidigt. Außerdem wurde an seinem Stand mehrfach verbotenerweise nach 21 Uhr Alkohol ausgeschenkt. Minimale Punkte waren die Folge.

Bis vor zwei Jahren wäre Heiko Laur womöglich nicht so streng behandelt worden. Damals gab es die detaillierten Bewerbungskriterien noch nicht, die Plätze wurden relativ unbürokratisch vergeben. So wie es in Schorndorf im Rems-Murr-Kreis noch immer gemacht wird. Und in Göppingen und in Bietigheim-Bissingen. Das Angebot muss stimmig sein und die Atmosphäre stimmungsvoll. Das sind, ganz grob, die Auswahlkriterien dort. Allerdings sind die Märkte dort längst nicht so groß (Schorndorf: 30 Stände, Göppingen: 35, Bietigheim: 40), der Bewerberandrang in der Folge auch nicht – und ebenso wenig die Streitlust der Beschicker.

Dass ein solches Prozedere für einen begehrten Markt wie Ludwigsburg nicht reichen kann, hat die Stadt erkannt und ihren Kriterien-, Punkte- und Gewichtungskatalog entwickelt. Erstaunlich ist nur, dass sie das erst vor zwei Jahren erkannt hat. In großen Städten mit großen Märkten ist ein solches Verfahren schon lange üblich. Esslingen zum Beispiel (rund 180 Stände und doppelt so viele Bewerbungen) arbeitet seit dem Jahr 2010 mit Mindest- und Auswahlkriterien, Stuttgart seit mehr als 20 Jahren. „Das ist sehr transparent“, sagt Marcus Christen, der den Stuttgarter Weihnachtsmarkt organisiert. Wie sonst solle man aus bis zu 1000 Bewerbern nachvollziehbar die 290 passendsten auswählen?

Hundekekse hinter der Kirche

In der Ludwigsburger Eberhardstraße hinter der katholischen Kirche stehen in diesem Jahr: ein Stollenbäcker aus Dresden, ein Stand, an dem es handgefertigte Weihnachtssterne und Lichterketten zu kaufen gibt und einer, der selbst gemachte Kekse für Hunde im Angebot hat. Alle drei sind Neulinge hier, so wie auch ihre Fläche quasi ein Neuling ist. Die Idee kam von den Einzelhändlern und Gastronomen in der Eberhardstraße – obwohl dafür ein Teil der Straße für Autos gesperrt werden musste. Auch die Anwohner protestierten nicht. Womöglich, weil ein Teil der Straße gesperrt wurde. Die Jugendfarm übrigens, die wieder dort steht, wo sie voriges Jahr unglücklich war, scheint dank der neuen Gesellschaft auch zufrieden. Und in der Unteren Marktstraße stehen die Buden jetzt so, dass alle Geschäfte gut zugänglich sind.

Gezeter und Gemotze zumindest wurde noch keines vernommen, seit der Markt begonnen hat. Vielleicht wird es ja eine harmonische Vorweihnachtszeit?