Antiquitätenliebhaber und Sammler vermissen das reiche Angebot und die angenehme Atmosphäre im Antikzelt, das dieses Jahr auf dem Weihnachtsmarkt fehlt. Und die sechs Händler auf dem Stuttgarter Schillerplatz beklagen deutliche Umsatzeinbußen.

„Warum gibt es das Antikzelt auf dem Karlsplatz nicht mehr?“ „Sicher 30 bis 40 mal am Tag“, sagt der Antiquitätenhändler Till Polednik, höre er von Besuchern des Weihnachtsmarktes diese Frage. Mit deutlicher Enttäuschung und wortreichem Bedauern. Seinen Kollegen auf dem Schillerplatz, wo eine Stand-Reihe mit sechs Buden zur Antikmeile erklärt wurde, gehe es nicht anders. „Das hier ist doch kein Ersatz“, winkt Polednik ab, „nicht für die Kunden und erst recht nicht für uns Händler.“

 

20 Jahre lang war das Antikzelt auf dem Karlsplatz eine beliebte und gut frequentierte Adresse für Liebhaber alter Kostbarkeiten. Bis zu 26 Händler präsentierten hier die ganze Bandbreite dessen, was Sammlerherzen höher schlagen lässt: Alten Christbaumschmuck aus Gablonz und Lauscha, Schmuck, Porzellan, Gläser, Bilder, Plastiken, Spielzeug, Bücher, Textilien, Werkzeug, einfach alles. Und das in einer Atmosphäre, die auch der Kauflust förderlich war. Es war warm, es gab ein Café, man guckte, prüfte, plauderte mit den Händlern, tauschte sich aus und entschied sich dann oft zum Kauf. „Die Kunden waren glücklich und wir waren es auch“, sagt der Händler Rolf Veit.

Die Besucher suchen das Zelt vergeblich

Noch im vergangenen Jahr, als der Weihnachtsmarkt schon aufgebaut war und in letzter Minute wegen der Pandemie wieder abgebaut werden musste, stand auch das Antikzelt wie gewohnt parat. Nun kann der Weihnachtsmarkt wieder stattfinden, doch das Zelt suchen die Besucher vergeblich. Seinen Platz nimmt jetzt die Winterhütte ein, eine Gastronomie mit zwei Eisstockbahnen. Warum der Wechsel? Gerüchte, da seien gute Beziehungen im Spiel, sind zu hören. „Wir wurden buchstäblich entsorgt. Zugunsten von Fressen und Saufen“, macht Rolf Veit mit drastischen Worten seinem Ärger Luft.

„Der immense Energieverbrauch und die hohen Kosten für die warme Luft im Zelt waren nicht mehr tragbar“, begründet Thomas Lehmann, der Geschäftsführer von Märkte Stuttgart, die Entscheidung: „Der Öllieferant musste jeden zweiten Tag kommen.“ Jetzt sei man froh über den Beschluss: „Das wäre bei den aktuellen Ölpreisen eine Katastrophe geworden, das Zelt hätte in dieser Situation kalt bleiben müssen.“

Die Heizung für die Almhütte de luxe zahlt der Betreiber

„Wir hatten ein fünfstelliges Minus“, bekräftigt Marcus Christen, Abteilungsleiter von in.Stuttgart, dem Veranstalter des Weihnachtsmarktes. Laut Veit handele es sich um 14 000 Euro. Auf der Suche nach einer Alternative auf dem Karlsplatz habe sich die Mobile Almhütte Deluxe mit Gastronomie von Reinhard Lieb aus Bietigheim angeboten. „Die Hütte ist aus altem, teils über 100 Jahre altem Holz“, sagt Lehmann. Sie sei auch für größere Veranstaltungen gut geeignet. „Aber keine Partyhütte“, betont Lehmann. Lieb zahle die Heizung selbst. Dafür hat er auch großzügige Öffnungszeiten: Unter der Woche bis Mitternacht, Freitag und Samstag bis 2 Uhr früh. Bis zum 8. Januar. Und das Wort vom Alpen-Ballermann kommt trotzdem auf: „Auf die Kultur wird immer als erstes verzichtet“, hadert Hans Fritsch. Er höre kein von niemandem, dass dem Antikzelt nachgetrauert werde, versichert Reinhard Lieb. Es werde im Gegenteil sehr begrüßt, dass es endlich eine anspruchsvolle Gastronomie am Weihnachtsmarkt gebe statt wie bisher nur Imbisshütten: „Die Buchungszahlen sind gigantisch, wie haben lange Wartelisten.“

Den Antiquitätenhändlern habe man trotzdem eine Plattform bieten wollen, sagen Lehmann und Christen. Schließlich ist dieses Angebot auf einem Weihnachtsmarkt einmalig und damit ein Alleinstellungsmerkmal für Stuttgart. Den Vorschlag einer Antikmeile auf dem Schillerplatz hätten die Händler akzeptiert. Dafür habe er, so Christen, einheitliche Stände bauen lassen, ein Schild weist den Weg. Doch die Händler fühlen sich in der hintersten Reihe an den Rand gedrängt: „Wir haben hier noch zehn bis 20 Prozent der Laufkundschaft und ich stehe hier da für 80 Euro Umsatz am Tag“, beschreibt Rolf Veit die Einbuße. Für den Umsatz, den er im Zelt an einem Tag gemacht habe, brauche er jetzt eine Woche.

Am Abend sei die Gasse ausgestorben, sagen die Händler

Und in den Abendstunden, wenn sich in den vorderen Reihen die Besucher beim Glühwein drängen, sei die Gasse völlig ausgestorben. Man müsste eine Unterschriftensammlung fürs Zelt machen, denkt Udo Grewe, Spezialist für alten Weihnachtsschmuck, laut nach. Verständnis für den Verzicht auf das Zelt hat nur Helga Steinel: „Man kann nicht mehr so verschwenderisch mit Energie umgehen“, sagt sie. Einen Wunsch hat sie dennoch: Ein Schild am Karlsplatz mit dem Hinweis auf den neuen Standort. Würde ja nicht die Welt kosten.