Lothar Sigloch verabschiedet sich in den Ruhestand. 19 Jahre war er Herr über reichlich Papier.

Weil der Stadt - Das ehemalige Augustinerkloster am Kapuzinerberg aus dem Jahr 1297 ist wohl das älteste Gebäude in Weil der Stadt und ein standesgemäßes Domizil für das umfangreiche Stadtarchiv. Das beherbergt rund 12 000 laufende Meter Akten voller Dokumente, Schriften, Urkunden, Bilder, mittelalterlicher Verordnungen und bislang verborgenen Wissens zur Stadtgeschichte. Viele Jahre war der Stadtarchivar Lothar Sigloch Herr über die Archivalien, doch Ende Mai hat er das Zepter an seinen Nachfolger Mathias Graner übergeben und ist in den Ruhestand gegangen.

 

Der gebürtige Zuffenhäuser hatte eigentlich andere Zukunftspläne, er wollte Lehrer für Deutsch und Geschichte werden. Doch es kam anders als geplant: „Mein Studienabschluss fiel in eine Zeit, in der keine Lehrer mehr eingestellt wurden“, erinnert er sich. Eher zufällig begann er daraufhin, für das Bietigheimer Stadtarchiv zu arbeiten, und wusste schnell: „Das ist es.“ Rasch arbeitete sich der Historiker in das Berufsfeld ein. Ende der 80er Jahre übernahm er die Leitung des Archivs der Stadt Korntal-Münchingen und absolvierte nebenbei einen speziellen berufsbegleitenden Archivarkurs.

Nach Weil der Stadt geschielt

Doch Weil der Stadt mit seiner faszinierenden Vergangenheit hat Siglochs Aufmerksamkeit schon während seiner Korntaler Zeit geweckt: „Ich habe immer wieder nach Weil der Stadt geschielt“, gesteht er mit einem Lachen. Die historisch bedeutsamen Archive der Keplerstadt wurden lange Zeit vom Kreisarchiv des Landratsamts betreut. Erst nachdem die Weiler Ehrenbürgerin Rose Schnaufer und andere energisch darauf gedrängt hatten, dass die historische Keplerstadt endlich einen hauptamtlichen Stadtarchivar bekommen sollte, wurde die Stelle geschaffen. Im April 2001 bezog Sigloch als erster offizieller Weiler Stadtarchivar das altehrwürdige Gemäuer am Kapuzinerberg und begann mit der Aufgabe, das vorhandene Material zu ordnen.

„Das Archiv war in keinem guten Zustand“, erinnert er sich. Nur wenig war geordnet, Sammlungen gab es gar keine. Auch die Räumlichkeiten waren beengt und mussten verändert werden. Trotzdem ist das alte Kloster ein idealer Standort, die dicken Mauern sorgen natürlicherweise für gute Temperatur- und Feuchtigkeitsverhältnisse. Auch das Kirchenarchiv und die Archive der Stadtteile lagern inzwischen hier.

Das Archiv musst erst aufgebaut werden

Der Weiler Stadtarchivar nahm seine Aufgaben ohne Umschweife in Angriff, richtete Büro- und Besucherräume ein, entwarf Strukturen für den Aufbau des Archivs und legte Verzeichnisse an: „Schließlich muss man die Dinge nicht nur sortieren und erhalten, sondern auch wiederfinden können. Stadtarchive existieren ja nicht zum Selbstzweck, sie sind kein reiner Aufbewahrungsort, sondern leben vom Interesse der Bürger“, betont er.

Deshalb freut er sich, wenn die Weiler mit privaten oder auch Vereinsnachlässen kommen. „Das Archiv ist für die komplette Stadtgeschichte, auch für die der Stadtteile, zuständig, und wir sind immer gespannt, was uns erwartet, wenn wir aus der Stadtgemeinschaft Material bekommen.“ Dann beginnt die Arbeit, die Entscheidung, was ins Archiv kommt, wird getroffen und besonders spannenden Aspekten wird nachgegangen.

So manches Mal ist der kriminalistische Spürsinn des Stadtarchivars mit eindrucksvollen Funden belohnt worden. Wie zum Beispiel den als Buchumschlag weiterverwendeten Fragmenten eines papiernen Torbogens aus dem 18. Jahrhundert, der zu Ehren des Linzer Bischofs Josef Anton Gall entworfen worden war. Gall entstammte einer einflussreichen Weiler Tuchhändlerfamilie, die Fragmente sind ein Nachweis für die enge Verbundenheit Galls, des ersten Bischofs bürgerlicher Abstammung im deutschsprachigen Raum, mit der Keplerstadt. „Wenn man sich in die alten Dokumente einliest, kommen immer überaus spannende Dinge zum Vorschein.“

Lesekurse und Buchpatenschaften

Doch um die alten Dokumente überhaupt lesen zu können, bedarf es schon etwas Übung. Damit interessierte Rechercheure die alten Dokumente ohne permanente Hilfe des Experten entschlüsseln konnten, bot Sigloch Lesekurse für Archivalien an. Gut fünf Dutzend Bürger haben bei ihm gelernt, beispielsweise die altertümliche Kurrentschrift und damit alte Dokumente zu entziffern.

Doch das ist nicht die einzige Idee gewesen, den Bürgern ihr Stadtarchiv näher zu bringen. Sigloch rief Buchpatenschaften ins Leben, um die dringend nötige Restauration alter Schriften finanziell stemmen zu können, publizierte Reihen über das Gestern und Heute, auch im Wochenblatt und in unserer Zeitung, und bereitete monatelang die Ausstellungen zum alle zwei Jahre deutschlandweit stattfindenden „Tag der Archive“ vor.

Ein weiter Blick vonnöten

„Das Leben eines Archivars besteht nicht nur im Sichten alter Schriften. Er sollte auch mit verschiedenen Aktionen die Verbundenheit der Bürger mit dem Archiv fördern“, findet Sigloch. Kurz überlegt er, dann bringt er die Faszination seines Berufs auf den Punkt: „Ein Archivar braucht einen weiten Blick, er muss herausfinden, wo was ist und wie er fündig werden kann. Und das schon für die Gegenwart, denn das Heute ist die Geschichte von morgen.“

Ob dem engagierten Geschichtskundler das nicht fehlen wird? „Nein“, sagt er und lacht, „es ist ja kein endgültiger Abschied, ich komme als Benutzer wieder. Und ich habe noch einige Projekte abzuschließen.“ Wenn die Betreuung der Enkel, die Erkundung Baden-Württembergs mit dem Fahrrad und die Musik, genauer: das Schreiben von Arrangements für den Mettinger Chor, den er seit 30 Jahren leitet, es zulassen.