Dietmar Becker und sein Team wollen lokale Händler und Sozialeinrichtungen online vernetzen, den Bürgern Dienstleistungen per Mausklick bieten. Doch bisher findet sich für das teure Vorhaben nur eine Handvoll Testpersonen.

Weil der Stadt - Dietmar Becker kennt sich aus in Sachen Marketing-Rhetorik. „Es ist einfach, schnell und sicher“, wirbt er für das Projekt „Lebensqualität Weil der Stadt“, das er leitet. Becker spricht viel davon „Netzwerke zu knüpfen“ und den „Sozialraum zu stärken“. Er kennt auch Beispiele dafür: „Deine Mutter ist krank, und Du hast keine Zeit“, beschreibt er eine fiktive, aber typische Situation. „Also kontaktierst Du uns.“ In 15 Minuten sei das Problem gelöst, die Mutter werde zum Arzt gebracht. „Und Du denkst Dir: Es ist gut, dass es Lebensqualität Weil der Stadt gibt.“

 

Seit Oktober ist er mit seinem Team aktiv. „Es ist ein Pilotprojekt“, wie Becker sagt, „einzigartig im deutschsprachigen Raum.“ Im Hintergrund wirkt das wirtschaftsnahe „Competence Center Independent Living“ der Universität St. Gallen mit Geld, Technik und Ratschlägen.

Im Kern geht es bei dem Vorhaben um zwei Punkte. Einerseits sollen verschiedene lokale Händler und Dienstleister ins Boot geholt werden. Gleichzeitig will man Plattformen schaffen, damit Kunden besonders bequem und schnell auf die Angebote zugreifen können; per Handy, Internetseite und natürlich per Telefon. Im Idealfall reichen ein paar Mausklicks, um den Partyservice vom Metzger vorzubestellen. Medikamente kommen auf Tastendruck, ebenso der Einkaufsservice vom Supermarkt.

Die bisherige Probephase lief allerdings schleppend an, wie auch Becker einräumt. Gerade einmal zehn Testpersonen meldeten sich bis Mitte dieser Woche – und das, obwohl Becker und sein Team Mobiltelefone samt der nötigen Software sogar kostenlos verteilen. Dass das nicht ideal ist, räumt Becker im Gespräch mit unserer Zeitung ein. „Wir müssen die Leute begeistern“, sagt er. „Aber unsere Ziele sind nicht jedem leicht zu vermitteln.“

Kritische Stimmen gibt es auch aus dem Gemeinderat. Als Becker den Stand des Projekts am Dienstag dem Gremium vorstellte, erntete er zwar fraktionsübergreifen Lob für die „gute Idee“. Der Bürgermeister Thilo Schreiber beeilte sich allerdings schon, gleich klarzustellen, dass Weil der Stadt „nur ideell“ helfe und keinerlei Geld in den Service investiere.

Aus kommunalpolitischen Kreisen der Keplerstadt heißt es, dass vielen Bürgern der Mehrwert des Projekts gar nicht klar sei. Oder schlimmer noch: dass sie gar nicht so genau verstehen, was unter dem Slogan „Lebensqualität Weil der Stadt“ zu verstehen ist, und wie es funktioniert. Auch bei den Händlern, Institutionen und Dienstleistern – unverzichtbar für den Erfolg – gibt es zwiespältige Meinungen. Einige sind vor allem deshalb dabei, weil das Ganze sie nichts kostet.

„Wie das umgesetzt werden soll, weiß ich nicht“, sagt etwa Angelika Brombacher von der Volkshochschule, auch wenn sie neugierig und aufgeschlossen sei. An den schnellen Erfolg glaubt auch Friedemann Binder von der Stadtapotheke nicht. „Bis sich das etabliert, wird es eine Weile dauern“, sagt er. „Es ist natürlich eine Chance für uns, neue Kunden zu gewinnen, ein Service.“ Lobend äußert sich Jürgen Schirott, der Vorsitzende des Weiler Gewerbevereins. „Gerade kleinere Betriebe können sich dort präsentieren.“

Er habe noch keine abschließende Meinung, sagt Markus Kling, der Chef der Freien Wähler-Fraktion. „Allerdings habe ich mich zunächst spontan gefragt, was daran neu ist“, ergänzt er. „Solche Online-Netzwerke gibt es doch schon, oder?“ Kurz geschluckt habe er allerdings, als er von den Kosten des Projektes erfahren habe.

Denn auch wenn die Stadt, die Gewerbebetriebe und im Großen und Ganzen auch die Kunden zunächst nichts zahlen: 700 000 Euro haben Dietmar Becker und seine Mitstreiter für die Testphase in den kommenden drei Jahren zur Verfügung. Die Hälfte der Mittel kommt aus verschiedenen Quellen wie der Auerbach-Stiftung, der Kepplerstiftung und dem Caritasverband Stuttgart. Den Rest steuert die Uni St. Gallen bei. Das Geld fließt in die Entwicklung der Programme, aber auch in Honorare und Gehälter. Fünf mal fünf Stunden die Wochen steht etwa Janine Gartner als telefonischer und persönlicher Ansprechpartner im Spital bereit.

Warum ein Schweizer Institut Geld in eine Pilotprojekt im Nachbarland steckt? „Wir sind im gesamten deutschsprachigen Raum aktiv“, sagt Philipp Osl vom Competence Center Independent Living. Weil der Stadt habe die richtige Struktur. „Wir wollen hier testen, ob sich das Projekt wirtschaftlich trägt.“ Wenn ja, würde es anderswo ausprobiert – zukünftige Lebensqualität-Kommunen müssten die Technik und die Beraterkosten allerdings selbst bezahlen. Und wenn das Projekt in die Hose geht? „Das Risiko können wir nicht ausschließen“, sagt Dietmar Becker. Man müsse dann wieder vorne bei der Projektentwicklung ansetzen. Zunächst einmal will er von nun an intensiv Kunden werben, bis April soll die Internetseite aktualisiert sein.