Die Syrer Nidal und Shadia Haroun leben mit ihrer elfjährigen Tochter Fatima seit Januar am Schwarzwaldrand. Es ist eine kleine Erfolgsgeschichte.

Weil der Stadt - Petry? Gauland? Nein, damit kann Nidal Haroun nichts anfangen. Doch die Plattitüden von den faulen und ungebildeten Flüchtlingen, die von einem Teil der Bevölkerung bemüht werden, sind ihm bekannt. „Ich verstehe, dass es gewisse Vorbehalte gegenüber Flüchtlingen gibt“, sagt der Syrer. Klar gebe es auch Menschen, die hierher kämen und die Situation ausnutzten. „Aber die meisten haben im Krieg alles verloren und möchten sich mit aller Kraft eine neue Existenz aufbauen“, betont der 56-Jährige, dessen muslimische Familie ein gutes Beispiel dafür ist.

 

Die blau-weiße Kapitänsmütze liegt zwar noch in der Vitrine im Wohnzimmer. Aber wenn alles glatt läuft, trägt er sie demnächst wieder auf dem Kopf. Nidal Haroun hat nämlich einen Job bei der Neckarschifffahrt in Aussicht. „Der Termin für das Bewerbungsgespräch steht“, sagt der 56-Jährige und betont: „Ich liebe meinen Job und ich will schnellstmöglich auf eigenen Beinen stehen.“

Dann schwelgt er in alten Erinnerungen. „Ich bin früher mal in einem deutschen Hafen eingelaufen“, erzählt er, damals, 1984, sei er in Hamburg und Bremerhaven unterwegs gewesen. Der Seemann, auf einer Akademie in Griechenland ausgebildet, war in seiner 38-jährigen Laufbahn schon in der ganzen Welt unterwegs und brachte als Käpt’n sowohl Passagiere als auch Container sicher ans Ziel. Neben Arabisch und Englisch spricht er daher auch Französisch, Griechisch und Italienisch.

Zuerst heißt es: Deutsch büffeln

Seine Frau Shadia ist bereits als Jugendbegleiterin beim Mittagsmodul der Heinrich-Steinhöwel-Gemeinschaftsschule tätig, wo sie für eine Ehrenamtspauschale an drei Nachmittagen Kinder betreut, die zum Essen in die Mensa kommen. „Doch am liebsten würde ich in meinem alten Beruf arbeiten“, gesteht die Ingenieurin. Zuerst heißt es aber: Deutsch büffeln. Zwar verstehen die beiden viel, doch beim Sprechen hapert es noch ein wenig, was in einem Mischmasch aus Deutsch und Englisch endet. Die Eheleute haben aber eine Berechtigung für den Integrationskurs, der gerade in Weil der Stadt angefangen hat. Ansonsten liegt im Wohnzimmer ein Bildwörterbuch Arabisch/Deutsch griffbereit.

Diesen braucht Fatima, die in der Grundschule separate Deutschstunden und in der übrigen Zeit den Unterricht in den ihrem Alter entsprechenden Klassen bekommt, längst nicht mehr. Wie es bei Kindern eben so ist, saugt die Elfjährige alles wie ein Schwamm auf. Gut, mal spricht sie von einem „Haus mit Strümpfen“, wenn ihr das Wort „Treppe“ nicht einfällt, aber ansonsten hört sie gar nicht mehr auf zu erzählen und übersetzt für ihre Eltern nur allzu gerne – auch wenn vieles davon eigentlich Erwachsenen vorbehalten sein sollte. „Weißt du, was ich den Geheimdienstleuten geantwortet habe, als sie wissen wollten, was meine Mama im Fernsehen schaut?“, fragt sie und schiebt lachend hinterher: „Tom und Jerry!“

Fahrradfahren ist hier keine Schande

Seit Januar lebt die anerkannte Flüchtlingsfamilie in einer Drei-Zimmer-Wohnung – davor war sie in einer Containersiedlung in der Josef-Beyerle-Straße untergebracht. „Wir wurden gut aufgenommen, die Menschen sind sehr hilfsbereit“, sagt der 56-Jährige und reckt seinen Daumen in die Höhe. Daran hat nicht zuletzt der Arbeitskreis Asyl seinen Anteil, der bei der Jobsuche behilflich war. Auch Freundschaften sind entstanden – mit Schicksalsgefährten und Einheimischen.

In der Keplerstadt fühlt sich die Familie pudelwohl. Nicht nur, weil Shadia Haroun hier ihre Liebe zum Radfahren entdeckte. „Es wird immer besser“, bestätigt die 50-Jährige. In der arabischen Welt sei es eine Schande, wenn eine Frau mit dem Rad fahre. „Ich glaube, hier ist es fast schon eine Schande, wenn sie es nicht kann“, sagt sie und grinst. Ein Abstecher ins Grüne vor die Tore der Stadt ist für die Harouns immer wie eine Reise in die Vergangenheit.

Wenn der 56-Jährige durch den Wald schlendert, fühlt er sich unweigerlich an seine Heimat erinnert. Sogar die ein oder andere Baumart, die auch dort in die Höhe wächst, will er erspäht haben. Und dann die Apfelgärten. „Wir hatten damals auch einen großen Garten mit Äpfeln“, erzählt der Syrer, der vor dem nunmehr fünf Jahren dauernden Krieg mit seiner Familie in einem Örtchen nahe der Hafenstadt Latakia im Westen des Landes lebte.

Dort saß die Familie bereits vor den Kämpfen auf gepackten Koffern. Weil sich Nidal Haroun in Sachen Politik nicht den Mund verbieten ließ, war er ständigen Repressalien ausgesetzt und musste für ganze zwölf Jahre ins Gefängnis. „Eigentlich wollte ich Sportökonomie studieren“, erzählt er. „Doch weil ich nicht in der Baath-Partei war, durfte ich das nicht.“ Als die Revolution begann, wurde er gefragt, ob er sich nicht in den Dienst der Assad-Regierung stellen wolle.

„Das war der Punkt, an dem ich mich entschied, das Land zu verlassen“, berichtet er. Die Harouns flüchteten über den Libanon nach Ägypten, später über die Türkei auf die griechische Insel Kos. Dann ging es über die Balkan-Route weiter. Deutschland habe ganz oben auf ihrer Liste gestanden. „Wir haben viele Verwandte hier, und natürlich genießt das Land auch einen guten Ruf“, sagt der 56-Jährige.

So gut es ihnen in Weil der Stadt aber auch gefällt: Wenn in Syrien Frieden einkehrt – dieser ist Nidal Haroun zufolge nur möglich, wenn Machthaber Assad abdankt – dann möchten sie zurück und dabei helfen, das Land wieder aufzubauen. „Home is Home“, sagt der Familienvater und lächelt.