Beim Projekt „Schule als Staat“ lernen Schüler, wie Wirtschaft und Staat funktionieren.

Weil der Stadt - Montagmorgen, 9.30 Uhr. Die Bürger von Villa City haben sich zur Vollversammlung in der Sporthalle eingefunden. Thilo Schreiber, seines Zeichens Bürgermeister der Nachbarstadt Weil der Stadt und Ehrengast, hält ein Grußwort. „Heute ist ein historischer Tag für ihre neu gegründete Stadt“, ruft der Schultes und erwähnt, dass ihm an einem guten nachbarschaftlichen Verhältnis sehr gelegen sei. Dann bittet er Leo Semmelmann, den Kanzler von Villa City, ans Rednerpult. „Im Auftrag des Landrates darf ich Sie nun auf die Verfassung vereidigen und Sie auf Ihr Amt als Kanzler von Villa City verpflichten“, sagt Schreiber. Unter tosendem Applaus winkt das frisch vereidigte Staatsoberhaupt in die Menge .

 

„Schule als Staat“ heißt das Projekt, das seit gestern am Johannes-Kepler-Gymnasium (JKG) in Weil der Stadt läuft. Fünf Tage lang verwandelt sich die Schule samt Schülern und Lehrern in einen Staat mit allem, was dazu gehört. In Villa City gibt es neben Unternehmen wie Restaurants, Massagesalons und einem Kino auch ein Steuersystem, Justizwesen, zahlreiche Ämter und ein von den Bürgern gewähltes Parlament. Während der Projekttage gelten für alle Schüler und Lehrer dieselben Rechte.

Tara Towhidi, Katharina Hofmann und Elena Augstein haben das Projekt organisiert. Ein Jahr lang haben die Schülerinnen „ihren“ Staat entwickelt. Zusammen mit ihren Mitschülern haben sie verschiedene Unternehmen und staatliche Betriebe aufgebaut und haben eine Verfassung niedergeschrieben, die auf dem deutschen Grundgesetz und der Schulordnung basiert. In einer freien und geheimen Wahl haben die Bürger von Villa City Kanzler und Parlament gewählt. „Bei uns herrscht die parlamentarische Demokratie“, erklärt die 17-jährige Katharina Hofmann. Im Parlament sitzen 41 Abgeordnete von fünf Parteien. Die stärkste Fraktion ist die Zieselpartei um Kanzler Leo Semmelmann. „Wir stehen für eine soziale und gesetzestreue Politik“, betont das Staatsoberhaupt.

Für die Bürger gelte im Übrigen dasselbe. „Es muss alles seine Ordnung haben“, sagt Semmelmann. Ohne Ausweis dürfen sich die Bürger nicht im Staat bewegen, Besucher brauchen ein Visum. „Wer kein Dokument besitzt, der muss ein Bußgeld von zehn Villys zahlen“, erklärt Manuel Scheffler, der Leiter der Polizeistation. Zehn Villys entsprechen zwei Euro. Dieser ist in Villa City jedoch nichts wert, bezahlt wird nur in Villys. Mindestens drei Stunden am Tag müssen die Bürger arbeiten, der Mindestlohn liegt bei zehn Villys pro Stunde. Jeder muss mit seinem Geld selbst klar kommen, die Betriebe müssen ebenfalls selbst wirtschaften. „Die Schüler lernen, Verantwortung zu übernehmen“, erklärt der Schulleiter Rolf Bayer. Wer falsch kalkuliere, dem drohe die Pleite. „Das Projekt zeigt den Schülern außerdem, wie ein Staat funktioniert“, so Bayer.

10.45 Uhr im festlich geschmückten Standesamt. Ein glückliches Lehrerpärchen gibt sich das Jawort – als Teil des Spiels. Ein paar Zimmer weiter, im Fairtrade-Laden, herrscht Aufregung. „Wir müssen dringend Kunden hierher locken“, sagt Julia Christoph. „Wir müssen mehr Waren kaufen, haben aber kein Geld in der Kasse“, erklärt die 16-Jährige. Ein Kredit bei der Staatsbank? Die Schülerin schüttelt den Kopf. „Wir haben schon Schulden“, sagt sie und hofft, dass der Betrieb die Woche übersteht. Sonst müssen die Mitarbeiter zum Jobcenter gehen. Denn das gibt es in Villa City auch, fast wie im wahren Leben.