Ivan Bogdan, der Hilfsgüter aus Weil der Stadt in stark betroffene Gebiete liefert, befürchtet, dass die dramatische Lage in der Ukraine in Vergessenheit gerät.

Der Krieg entwickelt sich stufenweise, erzählt Ivan Bogdan. Die erste Rakete war ein Schock für alle. Dann kam das erste zerstörte Haus. Der erste Tote. Die erste Stadt in Schutt und Asche. Das erste Kind, das verletzt unter den Trümmern gefunden wurde. Das erste Massengrab, die ersten Bilder aus Butscha. Ivan Bogdan zählt diese Stufen in kurzen Sätzen auf, pausiert. Dann übersetzt Karolina Nourddine aus Weil der Stadt. Ein Schritt nach dem anderen in diesem Völkermord, den Ivan Bogdan seit Monaten miterlebt.

 

Eine Freundschaft über mehr als 1000 Kilometer

Bogdan, der eigentlich kaufmännischer Direktor beim ukrainischen Ableger der deutschen Firma Winkhaus ist, organisiert seit Einmarsch der russischen Armee Hilfstransporte, sammelt die Hilfsgüter und liefert sie von seinem Wohnort rund zehn Minuten außerhalb von Kiew dorthin aus, wo sie am meisten benötigt werden.

Ende Februar hatte er für einen Fernsehsender aus seinem Heimatland Polen ein Interview gebeben und um Spenden gebeten. Rund 1500 Kilometer entfernt hörte man seinen Hilferuf: Die Weiler Lehrerin Karolina Nourddine, die ursprünglich ebenfalls aus Polen kam, sah das Interview, und organisiert seitdem immer wieder Spendensammlungen. Live gesehen haben sich beide noch nie. Trotzdem sind sie inzwischen gute Freunde geworden.

Angst vor dem Alleingelassenwerden

Und während sich Nourddine und Bogdan jeden Tag über Whatsapp oder per Telefon über die Lage austauschen, sei das Thema Krieg in der Ukraine im restlichen Europa eingeschlafen. „Die Leute gewöhnen sich daran, es wird zur Routine“, sagt auch Bogdan. Er hat den Eindruck, dass die Spendenbereitschaft stark nachgelassen hat, die Menschen in ihrem Alltag seltener an die verheerende Situation in der Ukraine denken.

„Am meisten Angst habe ich vor der Phase, in der wir mit dem Krieg ganz alleine gelassen werden“, so Bogdan. Denn die Lage sei nach wie vor dramatisch. Wenige Stunden vor dem Termin zum Videocall mit unserer Zeitung zieht sich das ukrainische Militär aus der Stadt Lyssytschansk und damit komplett aus der Region Luhansk zurück. „Das ist, als würde man Bayern verlieren“, erklärt Bogdan später. Jeden Tag würden 300 ukrainische Soldaten fallen, das russische Militär Zentimeter für Zentimeter vorrücken.

Hoher Preis für Freiheit

Schockierende Berichte liefert Bogdan, erzählt etwa von einem Freund, der nun in russischer Kriegsgefangenschaft sei. Nach Butscha hätten die russischen Soldaten ihre Strategie geändert und würden nun mit mobilen Krematorien durch die besetzten Gebiete fahren, um die Gräueltaten zu vertuschen. „Das ist der Preis, den die Ukraine für die Freiheit zahlt“, sagt Bogdan. Wieso er angesichts der Lage die Hoffnung nicht verliert? „Welcher andere Weg bleibt uns?“

Wie also helfen? Diese Frage höre er häufig, so Bogdan. Seine Spendensammlungen konzentrieren sich auf zwei Bereiche. Zum einen will er Kinder unterstützen, hat etwa kürzlich 32 Familien, deren Väter im Krieg gefallen sind, mit Hilfsgütern versorgt und versucht, langfristige Betreuungsangebote für sie zu finden. Ein Großteil der Hilfstransporte in den Osten der Ukraine gehen aktuell zudem an das Militär. Denn das seien hauptsächlich normale Männer – Bauarbeiter, Manager, DJs, Lehrer – die auch Ausrüstung brauchen. Von Geldspenden besorgt Bogdan Tablets, Drohnen, Funkgeräte, Erste-Hilfe-Sets, festes Schuhwerk oder Schutzwesten.

Hilfe geht weiter

Bald geht es für Bogdan wieder los: Wahrscheinlich am Samstag will er Generatoren und Defibrillatoren in ein Krankenhaus in der stark umkämpften Stadt Slowanjsk bringen. Und auch für Karolina Nourddine geht die Arbeit weiter: Am Donnerstag, 7. Juli, ab 18 Uhr eröffnet sie eine eigene Benefizausstellung in der Wendelinskapelle, deren Einnahmen an die Ukrainehilfe von Ivan Bogdan gehen. Auch beim Stadtfest will sie mit einem Ukraine-Stand vor Ort sein.

Und auch, wenn die Hilfe der Weil der Städter manchmal angesichts der dramatischen Lage nichtig wirkt –wichtig ist sie für Bogdan trotzdem. Er zitiert ein ukrainisches Sprichwort: „Tropfen für Tropfen entsteht ein Ozean.“

Infos zu Spenden- und Hilfsmöglichkeiten gibt es per Mail unter k.nourddine@gmx.de oder auf Instagram unter @karolinanourddine.