Der Weilheimer Stadtführer Wilhelm Braun hat seine Jugenderinnerungen in einem Büchlein zusammengetragen und stärkt darin auch das „Schwäbische“.

Weilheim - Wenn Märchen und Sagen mit „Es war einmal“ beginnen, dann zählen primär Spannung oder auch erzieherischer Zweck, nach dem Wahrheitsgehalt wird da weit weniger gefragt. Und deshalb hat der 82-jährige Weilheimer Wilhelm Braun, bekannt auch als Stadtführer, dem gleichlautenden Titel seines jüngsten Büchles den Zusatz „Märchenhafte wahre Geschichten von damals“ verpasst. Schauplatz der Geschehnisse von einst ist der von Braunfirst, Zipfelbachschlucht und Albtrauf eingezwängte Flecken Hepsisau, heute ein Ortsteil der Zähringerstadt Weilheim. Dort hat der Autor zusammen mit zwei Brüdern seine Kindheit und Jugend verbracht.

 

Dass die Erinnerungen daran schon auf dem Titelblatt quasi von A bis Z, vom „Afzgabergla“ bis zum „Zwirbla“ firmieren, hat freilich einen tiefer gehenden Grund: Braun geht es nicht nur um die Schilderungen des arbeitsreichen ländlichen Lebens, sondern er möchte auch die ursprünglichen Ausdrücke retten, die damit verbunden sind. Und somit sei verraten, dass es sich beim Afzgabergla, dem Nachbergen oder der Nachlese, um jedermanns Recht handelte, ab Martini (11.November) die Restfrüchte von den Bäumen und Getreide von den Äckern (Ährenlesen) einzusammeln. Und mit Zwirbla oder Dopfa war (und ist) ein Kinderspiel gemeint, bei dem ein Kreiskegel aus Holz per Peitsche am Drehen, gleich Zwirbla, gehalten wird.

Spaziergang durch die Jahreszeiten

Wilhelm Braun verfolgt die bäuerliche Arbeit quer durch die Jahreszeiten – stets gekoppelt an die einschlägigen und ortsüblichen Begriffe. Er zeigt die dienstbaren Geister vom Backhäusle, erklärt „Loibschüssel“ und „Hudelwisch“ („no net hudla!“), auch darf auf einer schon archaisch anmutenden Fotografie der Krählesbinder fürs Bündeln des Anheizreisigs nicht fehlen. Und der Autor ist nicht faul und zerlegt den „Leitrawaga“ (Leiterwagen) in seine begrifflichen Einzelteile, von der Deichsel über die „Migge“ genannte Kurbelbremse bis zum „Wagabrittle“, das ganz hinten den Abschluss bildete – und laut Überlieferung auf blinde Passagiere stets eine große Anziehungskraft ausgeübt haben soll. Und nicht fehlen dürfen in der gebundenen Rückblende natürlich die saisonalen Glanzlichter, die Erntezeit und die alljährliche Hausschlachtung.

Der Leser erfährt weiter einiges zum häuslichen Umfeld vor 70, 80 Jahren. Das samstägliche Familienbad – in der Zinkwanne und im Einheitswasser für alle – ist ja schon oft kolportiert worden. Darüber hinaus wagt der forsche Wilhelm in seiner mundartlichen Zitatensammlung auch einen verstohlenen Blick ins Ehebett. Galt es dort von Fall zu Fall eine Verstimmung auszubügeln, dann so: „Dees fenfte Zipfele em Bett, macht älles wieder wett!“ Für pietistisch genormte Ohren im Oberen Lindachtal und seinen Ausläufern wahrlich starker Tobak!

Wilhelm Braun wollte schon immer hoch hinaus

Angehängt hat der Verseschmied Braun den Jugenderinnerungen eine Auswahl seiner Gedichte, ergänzt um stimmungsvolle Fotografien. Offenbart wird eine breite Gefühlspalette, bei der auch der Humor nicht zu kurz kommt. So lautet etwa der Einstieg zum vierstrophigen, hochprozentigen „Beruhigungswässerle“ folgendermaßen: „Bischt du wild ond grandig wia brunftiger Hirsch, no hilft bloß ois, a Hepsisauer Kirsch.“

Hoch hinaus wollte der Wilhelm Braun schon immer. So zeigt ihn im Vorgängerbändle „Autobiografie“ eine Fotografie vom August 1987 zusammen mit seiner Gertrud am Fuße des Matterhorns. Und genau ein Jahr später postiert er stolz auf dem Matterhorngipfel, gemeinsam mit seinem Bergführer Bernhard Julen.

Die Gipfelstürmerei in dieser Dimension ist zwar vorbei, aber auf seinen Hausberg Limburg zieht’s den rüstigen 82-Jährigen noch jedes Jahr zwischen 30- und 50-mal – „wegen der Natur und als Ort gedanklicher Inspiration“.