Der gebürtige Belgier Pascal Miche produziert in Quebec, Kanada, einen sehr speziellen Wein: aus Tomaten. Jetzt im August beginnt die Ernte von 6200 Pflanzen. Die eigentliche Arbeit aber beginnt erst im Herbst.

Baie St-Paul/Kanada - Jeden Tag geht Pascal Miche in seine Tomatenplantage. Sorgfältig begutachtet die langsam rot werdenden Früchte. Sie haben eine schöne Größe erreicht. Nun fehlen noch ein paar Wochen Sonnenschein, die ihnen Aroma und Süße geben. „Mitte August ist es soweit“, sagt der 50-Jährige. Dann will er ernten. Die eigentliche Arbeit aber beginnt erst im Herbst. In Miches Keller, in dem sechs Stahltanks stehen, riecht es dann nach Alkohol. Im Frühjahr, hofft er, kann er sein Produkt in Flaschen abfüllen: Tomatenwein.

 

Pascal Miche ist vermutlich der einzige Tomatenweinbauer auf der Welt. Jedenfalls kennt er niemanden, der aus Tomaten Wein erzeugt. Er hat eine alte Familientradition, die ihren Ursprung vor Generationen in der belgischen Provinz Hainaut hatte, zum Geschäft ausgebaut. Schon der Urgroßvater produzierte Tomatenwein für den eigenen Gebrauch. Miche hat einen umfangreichen Kundenkreis in Quebec. Und von Herbst an wird der Wein von seiner Domaine de la Vallée du Bras am St.-Lorenz-Fluss auch außerhalb Quebecs zu kaufen sein: in Europa und Hongkong.

Malerisch liegt Miches Domaine an den Hängen, die sich vom Parc National des Grands-Jardin hinab zum St. Lorenz erstrecken. Er blickt über das Städtchen Baie St-Paul, in das im Sommer viele Touristen auf ihrem Weg zum Whale Watching in Tadoussac kommen. Im St.-Lorenz-Fluss vor Baie St-Paul liegt die Insel Ile Aux Coudres, die Haselnussinsel. Omerto heißt das Produkt, das Miche vor drei Jahren als Weltneuheit in den Variationen moelleux (mild, süß) und sec (trocken) vorgestellt hat. Der Name erinnert an Omertà, das Schweigegesetz der Mafia, hat aber nichts damit zu tun, auch wenn das Rezept seit Generation als Familiengeheimnis gehütet werde. Omerto ist eine Reverenz an Miches Urgroßvater Omer, der 1938 erstmals Wein aus Tomaten herstellte, das „to“ steuerte die Tomate bei.

Passt auch zu Käse und Meeresfrüchten

Miche schenkt ein. Leicht golden schimmert der Omerto, der beim Servieren vier Grad kalt sein sollte. Noch verrät der Blick der Kunden in der Boutique Skepsis über das, was da kommen mag. Mit 16 Prozent Alkoholgehalt verbreitet der Wein ein Bouquet, das an einen trockenen Sherry erinnert. Eine leichte Säure prägt ihn. Er bietet sich als Aperitif und Digestif, aber auch zu Käse und Meeresfrüchten an.

Der geübte Gaumen erkennt, dass es kein Wein von Weintrauben ist. Aber wer nicht weiß, dass es sich um Tomaten handelt, wird Schwierigkeiten haben, den Geschmack zu erkennen. Nicht selten hört Pascal die Frage: „Das ist wirklich Wein aus Tomaten?“ Der Preis scheint für die Kanadier kein Thema zu sein. Wegen der Steuern und Abgaben an die Alkoholbehörden sind sie die im Vergleich zu Europa hohen Weinpreise gewöhnt. Der Omerto macht keine Ausnahme: Die 375-Milliliter-Flasche kostet 24 Dollar (etwa 17 Euro), 750 Milliliter kosten 34 Dollar (etwa 24 Euro).

Von Haus aus ist Miche, im belgischen La Louvière geboren, Metzger. Pasteten und Wurst waren seine Spezialität, daneben studierte er in Brüssel Önologie, die Herstellung von Wein. Ende der Neunziger lieferte er für eine Fernsehshow in Belgien kalte Platten und lernte dabei einen Gast aus Quebec kennen: den Sänger und Komponisten Robert Charlebois. Charlebois, Mitinhaber der damals selbstständigen Quebecer Mikrobrauerei Unibroue, war von der Qualität der Wurst angetan und schlug Miche vor, nach Quebec zu kommen. 1998 wanderte Miche aus.

Gemeinsam wird am Alkoholgehalt gefeilt

In Montreal versuchte er, über die Mikrobrauerei seine Wurstwaren zu verkaufen. Mit mäßigem Erfolg. Aber da war ja noch das Rezept für Tomatenwein, das er von seinem Vater kannte. Sieben bis acht Prozent Alkohol enthielt dieser Wein, der aber nicht lange gelagert werden konnte. Vielleicht ließ sich daraus ja was machen. Mit einem Kollegen von der Brauerei arbeitete er daran, den Alkoholgehalt auf 16 bis 18 Prozent zu erhöhen.

Tomaten sind Früchte, kein Gemüse!

Drei Jahre nach seiner Ankunft in Montreal lernte Pascal seine Partnerin Lucie Hotte kennen. 2005 zogen sie ins Charlevoix, einer am St.-Lorenz-Fluss nordöstlich von Quebec gelegenen Region. Jahrelang musste Miche mit der Quebecer Alkoholbürokratie um die Produktionsgenehmigung kämpfen. Die „Regie des alcools“ stufte Tomaten als Gemüse, nicht als Frucht ein. Das Gesetz aber verbietet es, Gemüse zu Alkohol zu transformieren. Das darf man nur mit Früchten. „Pascal schrieb ein ausführliches wissenschaftliches Papier, in dem er darlegte, dass Tomaten eine Frucht sind. Schließlich konnten wir die Behörde überzeugen“, berichtet Lucie Hotte.

Inzwischen sind sie etabliert. Neben dem Paar ist John Frechette als Vizepräsident der Domaine der Dritte im Bunde. Als „producteur artisan“, als Handwerker, darf Miche maximal einen Hektar Anbaufläche haben. Will er mehr anbauen, braucht er eine Genehmigung für industrielle Weinerzeugung. Er ist auf die Verwertung seiner eigenen Tomaten beschränkt und darf nicht von anderen Bauern hinzukaufen. „Vorerst bleiben wir ein handwerklicher Betrieb“, sagt Hotte.

Anbau von alten Tomatensorten

Bald beginnt die Tomatenernte. 6200 Pflanzen wachsen auf der Domaine de la Vallée Bras, die jeweils etwa fünf Kilogramm Tomaten liefern. „Wir bauen alte Sorten an, die dem Klima angepasst sind“, erzählt Miche. Der St.-Lorenz-Fluss wirkt kühlend. Selbst im Sommer hat das Wasser nur vier Grad. Und der Sommer ist kurz, die Tomaten müssen schnell wachsen. „Unsere Tomaten sind süßer und saftiger als die heute gängigen“, ergänzt Lucie Hotte. Bis Mitte September wird geerntet. Die frühen Ernten werden zunächst eingefroren, bis die Menge ausreicht, um mit der Weinproduktion zu beginnen.

Pascal Miche pflückt eine Tomate. Er schneidet sie auf und hält seine Nase an das rote Fruchtfleisch. „Dies sollte eine gute Ernte werden“, sagt er. Der lange harte Winter weckte Befürchtungen, dass die Reifezeit zu kurz sein könnte. Aber nun ist er zuversichtlich. „Wir haben genug Zeit. Mutter Natur richtet es wieder.“ Dann geht er zurück zu seiner Omerto-Boutique. Die nächsten Kunden sind gekommen, um mit ungläubigem Staunen die Erfahrung zu machen, dass man aus Tomaten tatsächlich einen Aperitifwein erzeugen kann.

Das Rezept ist ein Gamiliengeheimnis

Wie genau der Wein aus Tomaten hergestellt wird, verrät Pascal Miche nicht – nur so viel: Die mehr als 30 000 Kilo Tomaten, geerntet zwischen Mitte August und Mitte September, werden gepresst. Dem Tomatensaft, rund 15 000 Liter, wird für die Fermentierung Hefe und Zucker zugegeben. Dann blubbert es in den Stahltanks, und Alkoholdämpfe steigen auf. Nach vier bis sechs Wochen wird der Saft gefiltert. Dann muss der angehende Wein mehrere Monate ruhen. Im Mai erst kommt er in die Flaschen. Etwa 45 000 Flaschen à 375 oder 750 Milliliter werden abgefüllt. Die verkauft Miche in einem Laden auf der Domäne, der Omerto-Boutique, auf Märkten in Montreal und in Quebec und über das Internet.