Die Arbeit in den Steilhängen ist risikoreicher geworden. Im vergangenen Jahr ist der Esslinger Wengerter Wilfried Rapp auf seinem Schmalspurschlepper fast verunglückt, als der Schlepper den Hang hinunterrutschte. „So oft wie im vergangenen Jahr habe ich noch nie die Notbremse gebraucht“, sagt der 60-Jährige und zeigt vom Staffelsteiger Plätzle über die terrassierten Hänge zum Neckar hinab. Am Horizont hat der Wind über der Esslinger Altstadt die Wolken zusammengeschoben, von hier oben wirkt alles idyllisch.
Doch die Idylle gibt es vor allem in den Mittagspausen oder für Ausflügler und Erholungssuchende. Für Rapp und die anderen Esslinger Weingärtner bedeuten die Steilhänge neben der Gefahr vor allem wenig Ertrag und viel Arbeit, oft mit der Hand.
Die Steillagen prägen nicht nur das Landschaftsbild in Esslingen und an anderen Orten am Neckar – sie stehen auch für den Strukturwandel bei den Winzern, den Klimakrise, technologische Aufrüstung und die sinkende Nachfrage beschleunigen. In Esslingen wird ein Drittel der Rebfläche in Steillage bewirtschaftet. Die meisten der Esslinger Wengerter haben sich in der Genossenschaft Teamwerk zusammengeschlossen, um die Weine gemeinsam zu keltern und zu vermarkten.
Vollerwerbsbetriebe sind im Weinbau selten geworden
Auch Rapp bewirtschaftet einen Großteil seiner sieben Hektar Rebfläche in Steillage, teils im Terrassenanbau. Die Arbeit ist körperlich fordernd, immer wieder fängt der Tag früh an und endet erst spät. In den Wintermonaten geht es um den Rebschnitt und die Biegearbeiten, zurzeit steht die Pflanzenpflege an. Dazu kommt der Gemüseanbau, ohne den hier die wenigsten Wengerter über die Runden kommen würden. Fünf Hektar Gemüse, davon zwei Hektar Kartoffeln, hat Rapp gepflanzt. Damit zählt Rapp zu den wenigen Vollerwerbsbetrieben in Esslingen, deren Zahl binnen einer Generation von einst mehr als 30 auf weniger als zehn geschrumpft ist.
Rapp stemmt seinen Betrieb mit seiner Lebensgefährtin, seiner Schwester, Schwägerin und einem langjährigen Mitarbeiter. In der Hauptsaison kommen zwei Arbeiter aus Rumänien hinzu. Knapp tausend Arbeitsstunden pro Hektar erfordere die Arbeit in den Hängen, sagt Rapp – rund 700 Stunden, wo Maschinen eingesetzt werden können. Sollte der gesetzliche Mindestlohn wie von der künftigen Bundesregierung geplant auf 15 Euro die Stunde steigen, wird es für Rapp eng.
„Betriebswirtschaftlich müsste eine Flasche Wein rund 20 Euro kosten“
Am meisten zu schaffen macht Rapp und den anderen das Einkaufsverhalten der Verbraucher. „Die Verbraucher sind nicht bereit, für Nahrungsmittel einen angemessenen Obulus zu geben.“ In den Discountern kosteten neun von zehn Flaschen Wein zwischen zwei und fünf Euro. Ein Trollinger aus den Esslinger Steillagen verkauft das Teamwerk für 9,50 Euro. „Betriebswirtschaftlich müsste der Flaschenpreis rund 20 Euro betragen.“
Rapp war noch nie in einem Aldi oder Lidl, er wolle die Marktmacht der Discounter nicht unterstützen. Bei den Verbrauchern müsse endlich mal ankommen, wie viel Arbeit hinter den Nahrungsmitteln stecke, welchen Wert sie haben, meint Rapp. „Ich wünschte mir, dass die Verbraucher mehr aus der Region einkaufen. Jede Flasche Wein von hier sollte in Stück Heimat sein.“
Rapp und die anderen Wengerter leiden unter dem seit Jahren rückläufigen Weinkonsum. Neben den Älteren trinken auch die Jüngeren weniger Alkohol, dazu kommt die schlechte Konsumstimmung – auch der durchschnittliche Preis einer Flasche sinkt. Die Weingärtner versuchen, mehr alkoholfreie und alkoholreduzierte Weine und Sekte anzubieten. „Man muss mit dem Markt gehen und versuchen, aus den Trauben etwas anderes zu machen“, sagt Rapp.
Auch Rapps Cousin Andreas Rapp hat hier schon vieles versucht. Die Lese beginne nicht nur aufgrund des Klimawandels und der hohen Temperaturen früher, sondern auch um den Zuckergehalt in den Beeren und damit den Alkoholgehalt zu reduzieren. „Der Trend geht zu leichteren Weinen.“ Der 50-Jährige ist im Vorstand des Teamwerks und hat mit der Genossenschaft auch Weinschorle und alkoholfreien Sekt im Angebot. „Das läuft gut. Bei unseren Weincocktails mit verschiedenen Geschmacksrichtungen sind wir noch am Ausprobieren.“
Weinwanderungen sind populär – weil sie Events sind
Die Weinwanderungen und Verkostungen in Esslingen und der Region Stuttgart haben sich dagegen längst etabliert. „Das ist Partygesellschaft pur, da spielt der Preis kaum eine Rolle“, sagt Wilfried Rapp. Schon lange wünscht er sich einen gemeinsamen Weinwanderweg, der sich von Esslingen bis Stuttgart erstreckt.
Auch der Weinbauverband Württemberg, der 6500 Betriebe vertritt, will die Bemühungen der Winzer bündeln, die Weinwanderwege landesweit zusammenführen und auch Wein-Radwege zertifizieren. So könne man die Trauben- und Weinerzeuger sichtbarer und bekannter machen, meint Geschäftsführer Hermann Morast. Man müsse sich bewusst sein, dass sonst Winzer aufgeben und die Hänge in den Steillagen veröden könnten. „Wir werden in erheblichem Maß an Rebflächen verlieren. Wir motivieren unsere Mitglieder, auch den Weintourismus mit einzubeziehen oder Wohnmobilstellplätze anzubieten.“
Rapp rüstet sich ständig für die Zukunft. Er hat neues Gerät zum Pflanzen angeschafft und neue Rebsorten angepflanzt. Und er hat die Steillagenschutzgemeinschaft gegründet – inzwischen wird eine gemeinschaftliche Drohne zum Spritzen eingesetzt. „Wir kämpfen gerade, der nächsten Generation die Möglichkeiten zu schaffen, dass sie den Beruf ausüben kann.“
„Manche meinen, sie könnten hier Oliven pflanzen“
Rapp führt das Familienunternehmen in zehnter Generation. Die 22-jährige Tochter macht gerade eine Weinbaulehre. Falls sie Interesse am Betrieb hätte, würden die Vermarktung und der Tourismus für sie eine noch größere Rolle spielen.
Er selbst bereue es nicht, Winzer geworden zu sein – so hart es auch gerade sei. Rapp spricht vom „Kulturerbe Weinbau“, von einem „Beruf mit Berufung“. Er liebe es, bei jedem Wetter in der Natur zu sein und im Mai die treibenden Reben sehen. „Manche meinen, sie könnten hier Oliven pflanzen, aber damit wird man doch nicht glücklich.“
Weinbau in der Region Stuttgart
Kleinbetriebe
Die Region Stuttgart ist wie andere Regionen im Südwesten großteils ein Land der Hobbywinzer. Dreiviertel der 6500 Betriebe in Württemberg bewirtschaftet laut dem Weinbauernverband eine Fläche, die pro Betrieb maximal eineinhalb Fußballfeldern entspricht und insgesamt nur rund 15 Prozent der gesamten Rebfläche Württembergs. Der Großteil dieser Nebenerwerbsbetriebe liefert die Ernte an die nächste Weingärtnergenossenschaft, gut 50 gibt es in Württemberg.
Weingüter
Nur jeder fünfte Weinberg wird durch den Betrieb selbstvermarktet. „Um im Haupterwerb reinen Weinbau zu betreiben, brauchen sie heute mindestens zehn Hektar – eher mehr“, sagt der Geschäftsführer des Verbands, Hermann Morast. Oft seien dies Zwei-Generationen-Familienbetriebe mit einer Handvoll Beschäftigten, die auch in Teilzeit oder als Minijobber arbeiteten.
Verkauf
Die meisten Weine aus der Region Stuttgart werden in einem Umkreis von zehn Kilometern der Betriebe vermarktet, zum Beispiel von Fellbach, Untertürkheim oder Esslingen. Der Stuttgarter Markt ist umkämpft. Weiter liefern nur die großen Betriebe, etwa aus den Felsengärten, aus Lauffen und Heilbronn. Weniger als ein Prozent der Weine Württembergs gehen in den Export.
Anbau
Unter Deutschlands großen Weinbaugebieten belegt Württemberg laut dem Deutschen Weininstitut mit 11 392 Hektar Platz vier. Die Rebflächen erstrecken sich entlang des Neckars, aber auch in den geschätzten Flusstälern der Neckar-Nebenflüsse Rems, Enz, Kocher, Jagst und Tauber sowie am Bodensee. Angebaut werden vor allem Rotweine wie Trollinger und Spätburgunder, aber auch Spätburgunder und Schwarzriesling. Über die Hälfte des Weißweins wird aus Rieslingtrauben gekeltert.