In Württemberg ist die Traubenernte praktisch abgeschlossen. Die Bilanz fällt wegen der Frostschäden gemischt aus. Doch es gibt Hoffnung für die Winzer.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Esslingen - Seinen Riesling lässt Moritz Haidle noch bis Ende der Woche hängen. „Das ist gut für die Aromatik“, sagt der Winzer aus Stetten im Remstal. Damit gehört er vermutlich zu den Letzten in seiner Branche, die noch Trauben lesen. Dieser Herbst war ungewöhnlich für Württemberg: „Wir haben so früh wie noch nie angefangen und waren so schnell wie noch nie fertig“, sagt Ramona Fischer, die Geschäftsführerin der Esslinger Weingärtnergenossenschaft. Das Wetter hat den Wengertern dieses Jahr besonders zu schaffen gemacht – und zwar bereits im April. Wegen der Spätfröste fällt die Erntemenge dieses Jahr um rund ein Viertel geringer aus.

 

Spät reifenden Sorten wie Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc lässt Moritz Haidle ebenfalls noch Zeit am Stock. Seit Ende August holt er Trauben aus seinen Weinbergen, angefangen hat es mit den Früchten für den Sektgrundwein des Prädikatsweinguts. „Qualitativ ist es gut“, lautet die Bilanz des Winzers, „und mengenmäßig sind wir mit einem blauen Auge davongekommen.“ Beim Spätburgunder hat er mit bis zu 70 Prozent Verlust zu kämpfen, beim Lemberger hätten ihn die Frostruten, die er zur Sicherheit nicht abgeschnitten hatte, gerettet. „In Stetten hatten wir viel Glück“, weiß er.

Ein Neidherbst mit stark schwankenden Erntemengen

Hermann Hohl spricht von einem Neidherbst, weil die Erntemengen in Württemberg so unterschiedlich waren. „In manchen Regionen kann man auf die Kollegen schon neidisch werden“, sagt der Präsident des württembergischen Weinbauverbands. Im Weinsberger Tal, im Taubertal und in der Hohenlohe betragen die Ausfälle wegen der Frostnächte Mitte April mit Tiefsttemperaturen von bis zu minus sieben Grad Celsius zwischen 50 und 60 Prozent. Im Schnitt rechnet er mit bis zu 30 Prozent weniger Wein als im Vorjahr, also 80 bis 90 Millionen Liter statt 115 Millionen Liter wie 2016.

„Wir müssen uns jetzt erst einmal zusammenraufen“, sagt Dirk Mosthaf. Seit 21 Jahren ist der Geschäftsführer der Genossenschaft Winzer vom Weinsberger Tal im Weinbau tätig, aber einen solchen Herbst hat er noch nicht erlebt. Rund um Löwenstein im Kreis Heilbronn war die Lese bereits nach drei Wochen beendet, einfach weil kaum Trauben am Stock hingen. „Für unsere Wengerter war es sehr frustrierend“, sagt er. Ernteeinbußen von bis zu 50 Prozent bedeuteten für sie eben auch nur die Hälfte ihres üblichen Jahresgehalts. Er denkt deshalb bereits an den nächsten Jahrgang, der möglichst schnell nach dem Herbst 2018 auf die Flasche gebracht werden muss, wenn der 2017er leer getrunken sein wird. Finanziell trifft die Genossenschaft der Ausfall weniger. „Wir konnten in den letzten Jahren Fett ansetzen“, erklärt Dirk Mosthaf. Er geht jedoch davon aus, dass einige der Genossen, vor allem Feierabendwengerter, ihren Betrieb nun aufgeben.

Der Klimawandel beschleunigt den Strukturwandel

„Der Strukturwandel wird sich kräftig beschleunigen“, ist sich Hermann Hohl sicher. Frost, Hagel, Starkniederschläge und Sturmschäden oder extreme Trockenheit hätten aufgrund der Klimaveränderungen in den vergangenen fünf bis sechs Jahren extrem zugenommen. „Neue Schädlinge wie die Kirschessigfliege haben wir früher nicht gekannt“, sagt der Verbandspräsident. Die Zahl der Betriebsaufgaben wird seiner Meinung nach deshalb weiter steigen. „Während der Lese war das Wetter immerhin überwiegend optimal“, findet Hermann Hohl.

Abgesehen vom Frost bezeichnet Ramona Fischer die Reifebedingungen in diesem Jahr sogar als bestens. Mit rund 30 Prozent weniger Lesegut rechnet auch sie. Weil weniger Trauben am Stock waren, haben sie ihre Zuckerreife schneller als sonst erreicht. Bienen und Wespen trieben die Esslinger Genossen dann schon am 5. September zur Lese. „Wir wollten den Bestand sicher“, erklärt Ramona Fischer. Die folgenden Regentage hielten die Genossenschaft auf Trab. Dabei können die Trauben aufplatzen und sich Krankheiten bilden. Verfaulte Beeren müssen aufwendig aussortiert werden. Die Pause, die normalerweise zwischen den Früh- und den Spätsorten eingelegt wird, sparten sie sich wie alle anderen in diesem Herbst.

Der am vergangenen Freitag gelesene Merlot hatte ein Mostgewicht von 97 Grad Öchsle. „Wirklich top“, freut sich Ramona Fischer. In der Esslinger Kelter werden die Beeren abgepresst, die Maischevergärung machen die Genossen selbst. Zur Weiterverarbeitung kommt der Wein zur Weingärtner Zentralgenossenschaft in Möglingen. Vom Zweigelt holt sich die Geschäftsführerin eine Probe aus dem Tank: „Man muss immer abwarten, wie es sich im Keller entwickelt, aber es schickt sich super an“, sagt sie. Die größere Herausforderung ist für die Geschäftsführerin jetzt eine betriebswirtschaftliche: Wie man die Preise stabil hält bei gleichbleibenden Fixkosten aber weniger Wein.