Der Wengertschütz war gestern. Heute werden Weinberge hauptsächlich durch automatische Schussanlagen und Ultraschallgeräte vor Vogelfraß geschützt. Für letztere könnte es künftig deutlich strengere Auflagen geben – aus Rücksicht auf die Anwohner.

Besigheim - Es gibt derzeit viele Württemberger Wengerter, die gespannt nach Mannheim blicken. Eine beim dortigen Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg laufende Verhandlung dürfte viele Weinbaubetriebe zumindest mittelbar betreffen. Es geht um die Frage, ob moderne schalltechnische Vogelabwehr-Anlagen als hinnehmbare Geräuschkulisse am Rande von Weinbergen hinzunehmen sind – oder ob diese Geräte unter Umständen als unzumutbare Lärmbelästigung gelten können. Der VGH neigt offenbar zur zweiten Variante.

 

Konkret geht es um einen seit rund zehn Jahren währenden Rechtsstreit zwischen einem Ehepaar, das in Neckarwestheim (Landkreis Heilbronn) im Wohngebiet Burgweg lebt. Seit 2004 haben die Betriebe der Genossenschaft (heute: Felsengartenkellerei Besigheim) in den unweit gelegenen Weinbergen immer mehr dieser schalltechnischen Vogelabwehrgeräte aufgestellt. Den Wengertschütz und die Schreckschussanlagen habe man noch ausgehalten. Aber mit den Ultraschallgeräten, die unter anderem den Panikruf des Starenvogels nachahmen, sei die Belastung unzumutbar geworden, sagen die Kläger.

Piepser als „schädliche Umweltbeeinträchtigung“

Die Richter beim VGH haben bei der mündlichen Verhandlung am Dienstag betont, dass die Beurteilung des Starenpiepser-Lärms verwaltungsrechtliches Neuland sei. Rund eine Stunde lang stand deshalb ein eigens beauftragter Gutachter den Parteien Rede und Antwort. Der Vorsitzende Richter deutete am Ende der Verhandlung an, dass seine Kammer das Ansinnen der Kläger gut nachvollziehen kann. „Selbst wenn es keine gesundheitliche Beeinträchtigung gibt“, sagte der Richter, sei „wenigstens eine schädliche Umweltbeeinträchtigung vorhanden.“ Dass das Landratsamt Heilbronn nach der Beschwerde der Anwohner nicht tätig geworden sei, sehe die Kammer „durchaus kritisch“.

Das Leben in Nachbarschaft der Weinberge werde zusehends zur Belastung, sagte der Kläger vor Gericht. Inzwischen sei die Lärmbelastung sogar so groß, dass „während der Hochzeiten im Herbst deswegen kein Besuch mehr kommt“. Vor 20 Jahren hätten noch drei Knallgeräte und der Wengertschütz genügt. Heute seien acht Geräte im Einsatz, darunter zwei Ultraschallgeräte, die nur 100 Meter auseinander lägen. „Das ist unverhältnismäßig“, so der Kläger. Zudem sei die Starenpopulation seit Jahren rückläufig.

„Wie eine Versicherung: man weiß nie, ob man’s braucht“

Eigentlich seien die sogenannten Ultra-Son-Geräte erfunden worden, um die lauten Schussanlagen zu ersetzen „und die Belastung der Bevölkerung zu reduzieren“, sagt Lothar Neumann, einer von vier Weinbauberatern im Regierungsbezirk Stuttgart. Da er im Landratsamt Heilbronn arbeitet, will er sich zum Neckarwestheimer Rechtsstreit nicht äußern. Aus fachlicher Sicht gelte es aber zu betonen, dass die Vogelabwehr für die Wengerter elementar wichtig sei.

Die Geräte hätten durchweg präventiven Charakter: „Das ist wie eine Versicherung, man weiß nie, ob man’s braucht“, sagt Neumann. Sollte das Mannheimer Urteil wie erwartet ausfallen, dann befürchtet man auch anderswo Ungemach. Etwa im Vaihinger Weinbauort Gündelbach. Hier hat das Weingut Sonnenhof akustische Abwehrgeräte im Einsatz. Wenn die Neubaugebiete wie geplant auf 60 Meter an die Weinberge herankämen, „dann hat man hier schon Befürchtungen“, sagt Albrecht Fischer, der ehemalige Sonnenhof-Chef.

Parallelen zur beklagten Gemeinde Neckarwestheim weist auch der Weinbauort Walheim auf. Wie Neckarwestheim habe auch die Gemeinde Walheim eine Handvoll akustischer Abwehrgeräte für die Wengerter gekauft. Bislang habe es darauf aber nur positive Resonanz gegeben, sagt der Bürgermeister Albrecht Dautel: „Viele empfinden es gegenüber den Schussanlagen als angenehmer.“ Der Anwalt von Neckarwestheim hat bereits angekündigt, dass die Kommune im Falle einer Niederlage wohl keine Geräte mehr zahlen wolle.

Der Star und der Piepser

Konflikt
: Hungrige Vögel gelten als natürlicher Feind des Wengerters. Der Fraßverlust könne laut Experten immer dann verheerend sein, wenn in Schwärmen auftretende Vögel – vor allem Stare – über die Rebzeilen herfielen. „Starenschwärme können großen Schaden auf kleinem Raum ausrichten“, sagt der Weinbauberater Lothar Neumann. Attraktiv für die Vögel seien vor allem rote Rebsorten. Nur wenige Minuten genügten ihnen, um einen Großteil der Ernte zu vernichten.

Technik
: Als digitaler Nachfolger des traditionsreichen Wengertschützen gelten sogenannte Ultra-Son-Geräte. Diese haben laut den Herstellern den Vorteil, preisgünstig zu sein (Stückpreis rund 600 Euro) und zwar die Vögel, aber weniger die Anwohner zu vergrämen. Abwehrgeräte haben meist mehrere Programme und können schrille Ultraschalltöne von sich geben oder die Schreie natürlicher Feinde der Vögel imitieren.

Tradition:
Einst galt es in Württemberg als ungeschriebenes Gesetz, dass die Gemeinde für die Rebhut aufkommt – also den Wengertschütz bezahlt. In dieser Tradition gibt es auch heute noch Kommunen, die Ultra-Son-Geräte finanzieren. Die Zahl der (mit-) finanzierenden Orte ist aber rückläufig.