In diesem Sommer startet die Weinlese für viele Winzer so früh wie noch nie. Hitze und Trockenheit ließen die Trauben schneller reifen, die Zuckerwerte schnellen nach oben. Die erwarteten Einbußen bei der Ernte stören die Weingärtner nicht.

Esslingen - Der Sommer war warm und trocken. Manche Pflanzen haben darunter gelitten, bei anderen wurden die Früchte schneller reif. Zu spüren bekommen das in diesem Jahr viele Wengerter. Deutlich früher als sonst zwingen die Trauben sie in die Steillagen. Die Esslinger Weinbauern haben jetzt die frühen Sorten geerntet – und versprechen eine hervorragende Qualität.

 

„Das ist der Wahnsinn“, sagt Hans Kusterer noch merklich aufgeregt von einem anstrengenden Arbeitseinsatz. „Mein frühester Termin war bislang der 9. September“, ergänzt er. In diesem Jahr ging es jedoch bereits Mitte der vergangenen Woche los. Seine Spätburgunder- und Chardonnay-Trauben waren bereits reif für die Lese und Kusterer mit seinem Team seit Mittwoch im Dauereinsatz auf dem steilen Schenkenberg. Als am späten Freitagnachmittag dann klar war, dass auch die Merlot-Trauben nicht mehr süßer werden sollten, telefonierte er seine Helfer zusammen. Und so ging es am Samstag noch mal hoch auf den Schenkenberg. „Für uns sind das Tage von bis zu zwölf Stunden. Da bekommt man manchmal nicht mehr als fünf Stunden Schlaf“, sagt er. Alles geht Schlag auf Schlag. Schon Ende dieser Woche könnte der Grauburgunder an der Reihe sein.

Winzer erwarten überdurchschnittlichen Jahrgang

„Wir bekommen die Klimaveränderung deutlich zu spüren“, sagt Kusterer. Er spricht von südlichen Verhältnissen, wie sie etwa in der Provence herrschen. Weil es so trocken ist, fangen die Triebe bereits an zu verholzen. „Das passiert sonst erst Ende Oktober“, erklärt der Wengerter.

Für die Qualität der Trauben sei das Wetter gut. „Das bedeutet aber auch, dass man sie eventuell schnell holen muss“, erklärt er. Denn mit jedem Tag, den er wartet, steigt der Öchslewert, also der Zuckergehalt. Wenn man zu lange wartet, hat der Wein am Ende mehr Alkohol als Weinbauern und Konsumenten lieb ist.

Die Trockenheit führt auch dazu, dass die Trauben kleiner sind als in regenreicheren Jahren. Entsprechend niedriger schätzen viele ihren Ertrag ein. „Wir werden wohl 30 Prozent weniger Ertrag haben“, sagt Adolf Bayer, der Chef des gleichnamigen Esslinger Weinguts. Für ihn ist das aber kein Grund zur Traurigkeit, denn die Qualität mache alles wieder wett. „Ich will jetzt nicht von einem Jahrhundertwein sprechen, aber es ist ein überdurchschnittlicher Jahrgang“, sagt er.

Keine Probleme mit Fäulnis oder der Kirschessigfliege

Auch bei der Esslinger Weingärtner Genossenschaft sitzt man in den Startlöchern. „Verglichen mit den letzten 15 Jahren sind wir sehr früh dran, wenn wir mit der Weinlese kommende Woche beginnen“, sagt Jochen Clauß, Vorstandsmitglied der Genossenschaft. An diesem Dienstag geht es in den Mitgliedsbetrieben zunächst an die Ernte für Traubensaft und Neuen Wein. Kommende Woche könnte die Vorlese der Sorte Müller Thurgau beginnen. „Die Zuckergrade sind auch beim Spätburgunder schon relativ hoch. Aber wir sind entspannt“, sagt Clauß. Auch er sagt einen niedrigeren Ertrag voraus.

Ein positiver Nebeneffekt des Wetters, der die Weinbauern erfreut: die Wengerter hatten weder mit Fäulnis noch mit der Kirschessigfliege zu kämpfen. „Vor allem die alten Anlagen sehen sehr schön aus“, betont Adolf Bayer. Im vergangenen Jahr hatte das kleine Insekt für enorme Einbußen bei der Ernte gesorgt. Doch die Fliege bevorzugt es feucht und warm – Lebensbedingungen, die ihr zumindest in diesem Sommer nicht geboten wurden. Eine Entwarnung gibt es aber noch nicht, denn sie hat es auch auf spätreifende rote Trauben abgesehen. Und die werden wohl, so Bayer, wie gewohnt im Oktober gelesen.