Die Weinlese läuft auf Hochtouren. Auch wenn die Trauben an sich ganz ordentlich sind: Die Kirschessigfliege und das feuchte Wetter machen einigen Wengertern zu schaffen.

Stuttgart - In dieser Woche hat in der Region und im Land die Lese begonnen. Bei Traumwetter wurden zunächst frühe Sorten wie Dornfelder oder Acolon geerntet. Und trotz des verregneten Sommers hat sich in Stuttgart, im Remstal oder im Unterland gezeigt: die Mostgewichte liegen bei rund 80 Öchsle und sind gar nicht so schlecht. Der frühe Austrieb und die heißen Tage im Juni haben den miesen August offenbar ausgeglichen. Die Kommentare der Weinbauern, vom Familienbetrieb bis zur Genossenschaft, zum Lesegut reichen von „brauchbar“ bis „wunderschön“.

 

Schwabenlob verteilte Martin Schwegler vom Staatsweingut Weinsberg: „’s wird recht“, urteilte er am Montag bei der Präsentation der württembergischen Prädikatsweingüter in der Alten Reithalle. Und auch die VDP-Kollegen aus Rheinhessen gaben sich optimistisch, wie etwa Frank Schuber vom Doppelgut Battenfeld-Spanier und Kühling-Gillot in Bodenheim. „Der Burgunder schaut sehr gut aus.“

Der Jahrgang 2014 könnte auch beim Ertrag recht ordentlich werden. Könnte. Denn ein Schlagwort ist zurzeit bei den Weinmachern in aller Munde: „Kirschessigfliege“. Der aus Asien „importierte“ Schädling ist in diesem Jahr zum ersten Mal in Württemberg aktiv, und von Tag zu Tag zeigt sich mehr, wie sehr er in den Weinbergen wütet. Am Montag bei der VDP-Probe hatte Christin Wöhrwag beschwichtigt: alles halb so wild. Am Dienstag hat der Familienbetrieb mit der Ernte im Mönchberg in Untertürkheim begonnen, am Abend klang Hans-Peter Wöhrwag regelrecht schockiert: „Es ist ernst. Wir haben erstmalig ein großes Problem.“ Beim Dornfelder hat er 80 Prozent Ausschuss. „Wir haben wahnsinnig viel auf den Boden geschmissen.“

Weinbauer spricht von „Riesenzupferei“

Bislang seien nur die dünnschaligen Roten wie der Dornfelder betroffen. Die Lese müsse jetzt besonders zügig gehen, erklärt Wöhrwag. Das bestätigen alle Wengerter: Dieses Jahr muss so schnell wie möglich geerntet werden, da die Trauben sehr schnell faulen. Da ist Handarbeit gefragt und eine sehr gute Lesemannschaft: Jede einzelne angestochene Beere muss mit der Schere entfernt werden. „Wir brauchen dieses Jahr doppelt so lang“, berichtet Martin Kurrle vom Collegium Wirtemberg. Gert Aldinger aus Fellbach spricht von einer „Riesenzupferei“, Jürgen Ellwanger aus Winterbach von „Verglauberei“.

Rainer Wachtstetter aus Pfaffenhofen, einer der „Jungen Schwaben“, ist ebenfalls genervt. Er hat den Acolon bereits gelesen, dem auch die Feuchtigkeit zu schaffen gemacht hat. Wenn die Qualität nicht stimme, könne man im Keller noch so herumdoktern, sagt Wachtstetter. Das Aus für den Acolon: „Der wird abgesägt, fertig.“

Jetzt heißt es: Nerven bewahren

Der Befall könnte lokal begrenzt sein. Bislang sind Lagen betroffen, die am Waldrand liegen oder an Gärten, besonders wenn die von Brombeerranken überwuchert sind. „Unsere Risikolage ist der Zuckerele“, bestätigt Marc Nagel, der geschäftsführende Vorstand der Cannstatter Weingärtner. Das Gebüsch der Umgebung biete die „ideale Brutstätte“. Dennoch habe man keine nennenswerten Probleme mit „der Muck“.

Das bestätigt Dieter Weitmann, Erster Vorstand der Württembergischen Weingärtner-Zentralgenossenschaft in Möglingen. Wichtige Sorten wie etwa Lemberger und Kerner seien noch sehr stabil. Viel mehr mache gerade im Unterland die große Niederschlagsmenge des vergangenen Wochenendes Sorgen. Die feuchten Beeren würden dünnschalig, die Trauben platzten auf, Fäulnis drohe. „Aber man muss nicht verzweifeln.“

Wengerter haben das Laub ausgedünnt

Optimistisch ist Ulrich Maile, Vorstandsvorsitzender der Lauffener Weingärtner. Die Fliege? „Die haben wir im Griff“, sagt er selbstbewusst. Trotz Pflanzenschutzmaßnahmen glaubt er aber, dass die Wengerter in den kommenden Jahren mit dem Schädling leben müssten. Karl Saiter, Vorstand der Heilbronner Weingärtner, der größten Genossenschaft in Württemberg, stößt ins selbe Horn: „Nerven bewahren ist das Gebot der Stunde.“

Bisher haben die Wengerter das Laub der Reben ausgedünnt, da der schwirrende Schädling Schatten mag. Viele spritzten, aber bislang gibt es keinerlei Erfahrungen in der Bekämpfung. „Wir sind ziemlich ratlos“, räumt Hans-Peter Wöhrwag ein. Er hofft, das seine größte Befürchtung sich nicht bewahrheitet: „Die Kirschessigfliege könnte ein ähnlich großes Problem werden wie die Reblaus vor 200 Jahren.“

Man arbeite nun mal in der Landwirtschaft und nicht in der Industrie, meinte Michael Herzog von Württemberg bei der VDP-Weinprobe. Er sehe die Kirschessigfliege weniger als Problem denn als Herausforderung. Christin Wöhrwag erinnerte an die guten Lesen der vergangenen Jahre: „Wir hatten zehn geschenkte Herbste. In meiner Kindheit, in den 60er Jahren, sind ganze Jahrgänge ausgefallen. Da wird man demütig.“