Unterhalb der Grabkapelle kann von Ruhe keine Rede sein, die Winzer sind in ihrem Element. Der Ertrag beim Lemberger kann sich sehen lassen, der Trollinger darf noch ein wenig reifen.

Stuttgart - Um 9.40 Uhr blinzelt zum ersten Mal die Sonne durch die Wolken. Das satte Dunkelrot der Lemberger-Trauben und das Grün der Blätter kommen jetzt noch besser zur Geltung. Weingärtner Heinz Munder und seine Helfer sind schon seit einer Stunde fleißig. Am Kelterweinberg, direkt am Fuße der Kelter Rotenberg gelegen, arbeiten sie sich flott bergab, schneiden die reifen Trauben ab und werfen sie in einen grünen Bottich. Die Qualität kann sich sehen lassen: nur ganz selten muss Munder ein paar schrumpelige Beeren abtrennen und auf den Boden werfen, ein paar „Lommelige“, wie der erfahrene Winzer und zweite Vorsitzende des Collegium Wirtemberg sie nennt.

 

Helfer schätzen die Arbeit im Weinberg

An wenigen anderen haben sich Kirschessigfliegen zu schaffen gemacht: „Das sieht man daran, dass der Saft austritt“, so Munder, für den es bereits die 58. Weinlese ist. Sein Team besteht heute aus acht Leuten, Frauen und Männern. Zu den zwei festangestellten Mitarbeitern aus Polen kommen viele Bekannte. Der Rentner Georg Klöble und seine Frau Marion zum Beispiel. Seit 2013 ist Klöble Frührentner. Vorher war er bei der Deutschen Bank. Seit 2015 ist er regelmäßig bei der Weinlese – mit großer Freude. „Das ist eine viel bessere Tätigkeit, als Leuten Bankprodukte zu verkaufen“, sagt er. Man sei produktiv, man sehe – buchstäblich – die Früchte seiner Arbeit.

Auch Reinhild Kramer ist seit 2015 mit dabei und zieht viel aus der Tätigkeit. „Man schätzt die Arbeit mehr, weil man weiß, was dahintersteckt“, sagt Kramer, „den Wein trinkt man dann auch ganz anders.“ Die mitunter anstrengende Arbeit im Weinberg wird natürlich belohnt. Abgesehen von der zwanglosen Atmosphäre und den guten Gesprächen an der frischen Luft gibt es mittags stets noch ein Vesper, bei dem genau jener Wein kredenzt wird, der aus den Trauben gemacht ist, die man gerade erntet. Am Donnerstag stand also eine der Lemberger-Editionen aus den Vorjahren auf dem Tisch.

Mit Menge und Qualität zufrieden

Den Großteil der Weinlese haben Munder und seine Helfer hinter sich, in der kommenden Woche stehen nur noch zwei Lesetage an. Los geht es in der Regel um 8.30 Uhr, Schluss ist spätestens eine Stunde nach Mittag. Dann werden die Kübel gereinigt und die Trauben in die Kelter gebracht.

Heinz Munder kann bereits abschätzen, wie viel Wein es geben wird. Ein Rebstock liefere etwa zweieinhalb Kilo Trauben, aus einem Kilo wiederum ließen sich 0,7 Liter Wein machen. So leicht von der Hand wie beim diesjährigen Lemberger gehe es nicht immer, oft müsse man viel wegschneiden, das sei zäh. Motivierte Helfer seien da wichtig. Aber trotz gelegentlicher Engpässe „habe ich noch nie Leute über die Arbeitsagentur suchen müssen“, so Munder.

Sorgen machen ihm die milden Temperaturen, die es den September über gab. Sie verursachten, dass die Reben wertvolle Säuren abbauen, was die Fäulnis fördere. Trotzdem habe man derzeit viel Glück, weil es morgens trocken bleibe.

Exoten sind längst Standard

Begeistern kann sich Munder, der den elterlichen Betrieb 1986 übernommen hat, insbesondere für die Abwechslung im Weinbau. Kein Jahr gleiche dem anderen, und man könne viel experimentieren. „Cabernet Sauvignon oder Syrah zum Beispiel waren hier früher Exoten. Jetzt bin ich völlig begeistert davon, diese Trauben haben sich super etabliert“, sagt er. So sieht es auch Georg Klöble, der in den vergangenen Jahren den Rotwein für sich entdeckt hat, vor allem den spanischen. „Die kriegen natürlich mehr Sonne ab. Aber die hiesigen müssen sich davor nicht mehr verstecken“, findet er.

Geht es nach Martin Kurrle, muss sich der ganze Jahrgang nicht verstecken. Der geschäftsführende Vorstand des Collegium Wirtemberg will sich zwar nicht zu früh freuen. Die Voraussetzungen für Spitzenweinbau – dichte Weine bei nicht zu hohem Alkoholgehalt – sieht er in diesem Jahr aber „komplett gegeben.“ „Das ganze Jahr war wirklich gut. Nach der Blütezeit war es relativ trocken, deshalb haben wir leichte Trauben, die relativ hoch hängen“, so Kurrle. Die Menge gehe deshalb zwar zurück, der Qualität sei das aber zuträglich, weil die Weine dichter und komplexer würden.

Hintergrund: Der richtige Reifegrad

Während der vierwöchigen Erntezeit ist Martin Kurrle vom Collegium Wirtemberg täglich mit im Weinberg dabei und probiert die Trauben. Für ihn als Önologen ist deren Aroma-Ausprägung entscheidend: weder überreif und „marmeladig“ dürften sie schmecken, aber eben auch nicht unreif. Stattdessen wolle man „auf den Punkt“ ernten. Je nach Hanglage kann dieser Punkt anders ausgeprägt sein. Dazu komme der Faktor Witterung. „Das macht die Spannung aus“, so Martin Kurrle. Mehr als 70 Prozent der Trauben sind geerntet, der ideale Lesezeitpunkt bei der bekanntesten Rebsorte Württembergs hingegen ist noch nicht erreicht: die Trollinger-Trauben hängen noch.