Was motiviert Menschen, eine alte Handschrift wie Sütterlin noch zu lernen? Ein Workshop-Besuch im Schnaiter Silchermuseum.

Weinstadt - Es ist so still, dass man eine Stecknadel fallen hören könnte. Tief gebeugt sitzen die Teilnehmer des Kalligrafie-Kurses im Silchermuseum in Weinstadt-Schnait über ihren Schreibpapieren. Zuvor hat ihnen die Leiterin des zweitägigen Workshops, Brigitte Lenz, erste Buchstaben in Sütterlin-Schrift gezeigt: m, n und e. Nun versuchen ihre eifrigen Schüler, diese selbst zu Papier zu bringen. Fortlaufend füllen sie damit Schreiblinien, die jenen in Erstklässlerheften gleichen. Es ist eine andächtige Ruhe, die in dem Ausstellungsraum im Obergeschoss des Museums herrscht. Ein jeder Lehrer wäre wohl neidisch, hätte er solch arbeitsame und hochkonzentrierte Schüler. Dabei wirken die zehn Teilnehmer an ihren Holztischchen wie aus der Zeit gefallen, wie sie da mit Bleistift und Papier selbstversunken vor sich hin arbeiten. Kein Abschweifen auf Smartphons, kein hektisches Checken neuster Nachrichten, keine Töne sozialer Messengerdienste – nur Stille, einzig vom leisen Kratzen von Stiften und Papierrascheln hin und wieder unterbrochen.

 

Ein Ziel: Briefe von Oma und Opa lesen

Was motiviert Menschen, in der heutigen digitalen Zeit eine solche alte Handschrift zu erlernen, die kaum jemand mehr entziffern kann? Für Martin Lassak aus Kernen-Stetten ist genau das der Grund. Er möchte gern die alten Briefe von Oma und Opa lesen können, erklärt der 65-Jährige. Während seines Erwerbslebens habe er als Verwaltungsbeamter zwar viel mit Schrift zu tun gehabt, berichtet er: „Aber kaum mehr mit Handschrift.“ Jetzt im Ruhestand hat er sich daher der Kalligrafie zugewandt. Die Kalligrafie als Hobby hat auch Claudia Bauersachs aus Stuttgart für sich entdeckt. „Das ist wie ein künstlerischer Sport“, meint die 48-jährige Logopädin, die sich, nachdem sie bereits mehrere Schriften erlernt hat, nun an das als schwierig geltende Sütterlin heranwagt. Beim Schreiben könne sie den Alltag hinter sich lassen, der vor allem von der Pflege ihrer behinderten Tochter geprägt sei, sagt sie. Für Claudia Breuch ist die Motivation „einfach der Spaß am schönen Schreiben“, wie die 59-Jährige aus Remshalden erklärt. „Und der Rhythmus dabei“, ergänzt die Musikerin, die an der Jugendmusikschule Schorndorf Geige und Gesang unterrichtet.

Schreiben als innerer Ausgleich

Rhythmus brauche es in der Tat, um schön zu schreiben, erklärt Brigitte Lenz: „Und Duktus, den Druck, den man dabei dazugibt oder wegnimmt.“ Insofern bestünden durchaus Parallelen zu ihrem Beruf, meint die Physiotherapeutin. Neben den Kursen, die sie gibt, fertigt die Hobby-Kalligrafin auch Auftragsarbeiten, beschreibt etwa Glückwunsch- und Tischkarten für Familienfeste. Einen Text schön zu gestalten sei etwas sehr Wertvolles, findet die 50-jährige Schnaiterin, die sich seit 15 Jahren mit Kalligrafie beschäftigt: „Vor allem weil die wenigsten noch von Hand schreiben, die meisten tippen und wischen nur noch.“ Sich mit Handschriften zu befassen biete einen Ausgleich. „Man kann abschalten, sich zentrieren und wunderbar zur Ruhe kommen“ – und dies noch mehr in einer so passender Umgebung, wie sie das Silchermuseum biete.

Denn mit seinen vielen Originalhandschriften, an denen das Gelernte gleich getestet werden könne, trage das Museum zur Motivation der Workshopteilnehmer bei, sagt Brigitte Lenz. Schließlich sei Sütterlinschreiben zu lernen – erst mit Bleistift, dann mit Tinte und Feder – nur ein Teil des Kurses. Der zweite sei dann die Lektüre verschiedener alter Texte.