Verhandlung vor dem Landgericht: Ein Mann vergeht sich an mindestens zwei seiner Nichten.

Weissach - Der Angeklagte spricht stockend. Doch er scheut nicht davor zurück, seine Taten dem Richter Hans-Jürgen Wenzler auf Nachfrage zu beschreiben. Ja, er habe seine 1988 geborene Nichte im Sommer 2004 festgehalten und missbraucht – eigentlich wollte die Jugendliche nur mit ihrem Onkel einen Film anschauen. Bis zum Geschlechtsakt kam es zwar nicht, doch ist der Tatbestand einer Vergewaltigung erfüllt. Und ja, im Juli 2012 habe er seiner elf Jahre alten Großnichte im Flur des Hauses, wo er zusammen mit seinen Eltern lebte, in den Schritt gefasst. Das gilt als sexueller Missbrauch Minderjähriger.

 

Als der Richter und die Oberstaatsanwältin Marina Schmitt jedoch auf den dritten Vorwurf zu sprechen kommen, versagt dem Angeklagten die Stimme. „Sie haben ihre Großnichte damit gedroht, sie umzubringen, wenn sie ihrer Mutter etwas erzählt“, erinnert ihn Wenzler. Der Angeklagte nickt, doch mit eigenen Worten wiederholen will er die Drohung nicht. „Ich habe ihr gesagt, sie soll ruhig sein“, erklärt er. Doch mehr bringt er nicht über die Lippen.

Das Landgericht Stuttgart hat den Missbrauchs-Fall gegen den 42 Jahre alten Mann aus dem Altkreis Leonberg gestern verhandelt, der als technischer Zeichner arbeitet; das Urteil wird am Freitag erwartet. Zwar ist der Angeklagte geständig, räumt alle drei Anklagepunkte ohne Beschönigung ein. Doch das Gericht versucht während der stundenlangen Beweisaufnahme auch, die Persönlichkeit des Mannes zu ergründen – und seine Motivation.Schnell verhärtet sich der Verdacht, dass der 42-Jährige pädophile Neigungen hat. Wenzler berichtet von einem anderen Verfahren, dass gegen ihn eingeleitet wurde: Demnach fand die Polizei bei einer Untersuchung Bilder und Videos mit Kinder- und Jugendpornografie auf seinem PC. „Erregt Sie der Gedanke an junge Mädchen besonders?“, fragt Wenzler. Der Angeklagte windet sich. Doch dann bejaht er das.

„Aber wo sollte das hinführen?“, auch das will der Richter wissen, mit Blick auf die Übergriffe. „Hatten Sie keine Angst, dass alles ans Licht kommt?“ Er habe diese Angst gehabt, bestätigt der Angeklagte.

Doch innerhalb der Familie des 42-Jährigen wurde das Thema wohl lange ignoriert. „Meine Eltern haben immer zu mir gehalten“, sagt der Angeklagte. Ein Polizeibeamter der Direktion Böblingen, der an den Vernehmungen beteiligt war, übersetzt das: Die heute 24 Jahre alte Nichte habe davon berichtet, dass Mutter und Großmutter ihr nicht glaubten. „Das Thema kam nicht zur Sprache, es gab sogar Gegenreaktionen, das Mädchen wurde der Lüge bezichtigt.“ Die Oberstaatsanwältin lässt unterdessen durchblicken, dass es weitere Vorfälle in der Familie gegeben haben könnte.

Als der Angeklagte im vergangenen Sommer dann seine Großnichte betatschte, ließen sich die Vorfälle nicht mehr totschweigen. Die Elfjährige wehrte sich nicht nur, ihr Verhalten änderte sich auch deutlich. Sie wurde schlechter in der Schule, bekam Angstgefühle. Sie malte ein Bild von dem Angeklagten mit einer Schlinge um den Hals, seinem Namen, gefolgt von den Worten: „... ist tot“.

Die Mutter des Mädchen fasste sich ein Herz, suchte rechtlichen Beistand. Die Polizei begann zu ermitteln. Auch die heute erwachsene Nichte meldete sich wieder zu Wort. In einer Nebenklage vertritt die Gärtringer Rechtsanwältin Christiane Finzer nun die beiden jungen Frauen.

„Meinen Mandantinnen geht es nicht um eine möglichst harte Strafe“, sagt sie. „Es geht darum, dass weitere Vorfälle verhindert werden, dass der Angeklagte sich seinen Taten stellt und sie auch gegenüber seiner Mutter einräumt.“ Auch solle er sich künftig von den Mädchen fernhalten.Zur Sprache kommt auch, dass der 42-Jährige schon häufiger straffällig wurde, bis 2002 mehrmals im Gefängnis saß – wegen Diebstählen, Einbrüchen und Erpressung.

Positiv wird ihm das Gericht wohl anrechnen, dass er bereits Schmerzensgeld überwiesen hat: Noch während der Verhandlung schließen Finzer und der Strafverteidiger Werner Haimayer einen Vergleich über 4000 Euro für die beiden Nichten. Auch habe er gestanden und seiner Mutter einen entsprechenden Brief geschrieben, betont Haimayer.

„Er hat die Aussicht, seine Arbeitsstelle zu behalten und will sich einer Sexualtherapie unterziehen.“ Der Verteidiger plädiert für eine Strafmaß von einem Jahr und zehn Monaten. „Zur Bewährung, bei strengen Auflagen.“ Die Oberstaatsanwältin fordert dreieinhalb Jahre Haft.