Eine weitere „Altlast“ beschäftigt den Gemeinderat: Seit 2014 werden in der Gemeinde mehrere Kanäle saniert. Doch welche? Darüber gibt es so gut wie keine Aufzeichnungen, erst recht nicht im Rathaus.

Weissach - Die Geschichte Weissachs ist um ein Kuriosum reicher. Eine weitere der berühmten „Altlasten“ der ehemaligen Verwaltung fand am Montag ihren Weg in den Gemeinderat. Und die hat es in sich: 475 000 Euro sind seit 2014 in Kanalsanierungen geflossen. Aber in welche und warum eigentlich?

 

Darüber zerbrechen sich die Rathausmitarbeiter seit einiger Zeit den Kopf. Akten und Aufzeichnungen sucht man zum großen Teil vergeblich. Der Vertrag mit dem verantwortlichen Ingenieurbüro Pöyry wurde bereits im Vorfeld in gegenseitigem Einvernehmen aufgelöst. Einstimmig beschloss nun der Gemeinderat, auch den mit der ausführenden Firma Aarsleff Rohrsanierung geschlossenen Vertrag auf Vorschlag der Firma aufzuheben – gegen eine Ausgleichszahlung von rund 30 000 Euro. Danach soll der Zustand der Kanäle erst wieder ganz neu erfasst werden.

Die Historie der Misere liest sich wie eine klassische Gemeinderatsvorlage. Gut sortiert, nachvollziehbar, fast schon dröge. Bei einer Kanalzustandserfassung im Jahr 2006 wurde festgestellt, dass sich in der Gemeinde knapp 15 Kilometer schadhafte Kanalhaltungen befinden. Zwischen 2008 und 2014 wurden 4,5 Kilometer gerichtet. Bei den verbliebenen 10,5 Kilometern handelt es sich um Abschnitte, die auch grabenlos saniert werden können, also für die man nicht die Straße aufreißen muss. Das Ingenieurbüro Pöyry aus Mannheim wurde mit der Planung beauftragt. Nach der öffentlichen Ausschreibung erhielt im Januar 2014 die Firma Aarsleff Rohrsanierung aus Stuttgart den Zuschlag, der Gesamtpreis wurde mit rund 740 000 Euro angegeben.

Aktenbestand desolat oder nicht vorhanden

Kaum käme man auf den Gedanken, dass dabei im Folgenden irgendetwas hätte schieflaufen können. Doch die Recherchen im Bauamt zeigen etwas anderes: „Der dazugehörige Aktenbestand ist als desolat beziehungsweise nicht vorhanden zu bezeichnen“, heißt es im Bericht von Moritz Reich, Sachgebietsleiter für Tiefbau. Die Begleitung der Sanierungsarbeiten erfolgte wohl durch den damaligen stellvertretenden Ortsbaumeister. „Es gibt keine nachvollziehbare Dokumentation, wann bei der Gemeinde welche Entscheidungen getroffen wurden. Es muss deshalb angenommen werden, dass eine weitere Behandlung oder Information in den kommunalen Gremien gar nicht erfolgt ist und der verantwortliche Mitarbeiter Entscheidungen über Art und Umfang der Baumaßnahmen selbstständig traf.“

Und es wird noch absonderlicher: Nach Erkenntnissen der Verwaltung wurden zum Teil Kanäle saniert, die gar nicht sanierungsbedürftig waren, und ebenso Abschnitte, die der Gemeinderat nie beschlossen hatte. Gleichzeitig wurden extrem marode Abschnitte gar nicht angerührt. „Warum und weshalb und auf welcher Grundlage diese Entscheidungen getroffen wurden, ist nicht nachzuvollziehen.“

Vieles lässt sich nicht mehr nachvollziehen

Diese Formulierung findet sich in der Vorlage erstaunlich häufig wieder. So vieles lässt sich heute „nicht mehr nachvollziehen“. Bei den Gemeinderäten ist das Staunen groß: „Das finde ich schon einen absoluten Knaller“, wundert sich Detlef Bausch von den Freien Wählern. Auch Fraktionskollege Steffen Lautenschlager kann nur noch die Stirn runzeln: „Da wurden 475 000 Euro verbaut. Weiß denn irgendjemand, was davon saniert wurde?“

Eben nicht. Zumindest wurde so gut wie nichts schriftlich festgehalten. Zwar gibt es mündliche Aussagen, anhand derer sich vielleicht manches rekonstruieren lässt, „aber wir werden das nicht mehr aufklären können“, sagt der Bürgermeister Daniel Töpfer resigniert. „Wir schlagen deshalb eine erneute Bestandserhebung vor.“ Anhand derer könne man weitere Maßnahmen beschließen.

Der Gedanke, das Ingenieurbüro in Regress zu nehmen, liegt nahe. Steffen Lautenschlager spricht ihn schließlich aus. Doch da hätte die Gemeinde ganz schlechte Karten, bedauert Daniel Töpfer. Auch hier wieder das Problem, dass im Rathaus damals so gut wie nichts schriftlich festgehalten wurde. „Wir können heute keine schriftlichen Nachweise verlangen, wenn vorher gesagt wurde, dass das auch alles mündlich geht.“ In Gesprächen berichtete das beauftragte Büro mehrfach über mündliche Freigaben vom Bauamt. Widerlegen lasse sich das natürlich nicht mehr, so Töpfer. Und die Rechnungen wurden anscheinend immer bezahlt.

Alle Beteiligten hatten „komplett freie Hand“

Aufgefallen war die Misere bei der Prüfung einer solchen Rechnung, bei der mehr Geld überwiesen wurde, als eigentlich für diesen Zweck freigegeben war. Daraufhin ließ der Weissacher Bürgermeister die Sache genauer unter die Lupe nehmen, insbesondere die Nachtragsforderungen der Firma Aarsleff. Diese stellten sich zwar als berechtigt heraus. Die beim Ingenieurbüro angeforderten Unterlagen und Nachweise über das gesamte Projekt konnten aber „trotz mehrmaliger Fristsetzungen“ und persönlicher Gespräche mit dem Bauleiter und dem zuständigen Regionalleiter nicht vorgelegt werden, berichtet Moritz Reich. „In den geführten Gesprächen wurde das Ausmaß der bestehenden Probleme und Schwierigkeiten offenkundig.“ Zwischen Gemeinde und Ingenieurbüro gab es demnach keinerlei Abstimmungen, alle Beteiligten hatten „komplett freie Hand“.

Mit der Aufhebung der Verträge möchte und muss die Weissacher Verwaltung nun erst einmal einen Schlussstrich ziehen. Die einzige Möglichkeit, dem Projekt danach wieder Hand und Fuß zu verleihen, sieht sie in einem kompletten Neubeginn mit einer grundlegenden Bestandsaufnahme, die zeigt: Welche Kanäle wurden bereits saniert, welche müssen noch gerichtet werden? Immerhin: Die bereits bezahlten 475 000 Euro sind nicht, im wahrsten Sinne, den Bach runtergegangen. Die Baufirma hat im Auftrag des Ingenieurbüros tatsächlich Arbeiten durchgeführt. Doch an welchen Stellen und in welchem Umfang, das wird bis zu der Bestandsaufnahme vorerst ein Rätsel bleiben.