Außer dem Teehaus und dem Marmorsaal stand im Weissenburgpark in Stuttgart einst die stattliche Villa des Seifenfabrikanten Ernst von Sieglin. Wir haben einige historische Aufnahmen in einer Bildergalerie zusammengefasst.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Man hätte Kind sein mögen im Hause Sieglin. Nicht nur wegen der Hausmädchen, Hausdamen, Köchinnen und Gärtner, die sich um das Wohlergehen der Familie kümmerten. War es heiß, sprang man in das großzügige Schwimmbecken. Zum Toben gab es ein luxuriöses Spielhäuschen. Mochten die Kinder nicht laufen, spannten sie den Hund vor den Bollerwagen und ließen sich kutschieren. Und falls man je seine Ruhe wollte, zog man sich an einen der stillen Plätze im Park zurück, die nach den Kindern benannt waren: Erichshöhe, Martha-Hütte, Olga-Blick und Ernst-Ruhe.

 

Die Sieglins führte ein feudales Leben auf der Weissenburg. Alte Fotografien lassen vermuten, dass die Familie viele lauschige Plätze hatte und mal im Verlobungspavillon, mal vor dem Teehaus wohlig in die Sonne blinzelte. Klaus Steinke hat Archive durchstöbert, alte Zeitungen studiert und in Familienalben geblättert, er ist aber auch durchs Unterholz gekrochen und hat Steinmauern, Wege und Bäume inspiziert. In diesen Tagen kommt das Ergebnis heraus: das Buch „Teehaus, Tanz und Berg der Wahrheit“, das der Geschichte des Stuttgarter Weissenburg nachspürt. Der Bogen spannt sich von den Kelten, die hier die Sterne beobachteten, bis in die Gegenwart, wo gelungen ist, wovon man vor 170 Jahren träumte: die Weissenburg zu einem beliebten Ausflugsziel zu machen.

Denn 1843/1844, lange bevor die Familie Sieglin den Hügel bezog, wurde im Weissenburgpark bereits die Fellgersburg errichtet, mit der die Familie Fellger der erfolgreichen Silberburg Konkurrenz machen wollte. Auf dem Paulinenbuckel bei der heutigen Karlshöhe betrieb der Cafetier Lorenz Silber ein florierendes Ausflugslokal. Fellger war überzeugt, dass sich die „gebildeten Stände und höheren Herrschaften“ auch gern im Weissenburgpark „mit Kaffee, Limonade, Chocolade und sonstigen feinen Getränken“ würden versorgen lassen. Aber obwohl Molkenkuranstalt, Konditorei und Schokoladenfabrik eröffnet wurden, blieb der Erfolg aus.

Miterfinder von „Dr. Thompson’s Seifenpulver Marke Schwan“

Heute behauptet das „Teehaus“, mit dem schönsten, denkmalgeschützten Gastronomie-Jugendstil-Pavillon aufzuwarten. Aber wie aufregend wäre es wohl, wenn man auch noch auf dem großen Balkon der alten Villa einen Drink nehmen oder in den kunstvoll holzgetäfelten Zimmern im Erdgeschoss speisen könnte? Während das Teehaus und der Marmorsaal bis heute existieren, erging es der Villa nicht besser als anderen markanten Stuttgarter Bauten: Sie wurde 1964 abgerissen. Die „pseudoklassizistische Villa“ sei architektonisch und historisch ohne jeden Wert, beschied man. Die Stuttgarter Bevölkerung hätte sie dennoch gern erhalten, auch Helmut Dölker, der damalige Leiter des Denkmalamts, setzte sich für das Gebäude ein und versuchte, das Denkmalschutzamt darin unterzubringen. Vergeblich. Klaus Steinke ist überzeugt, dass sich die Villa in einem deutlich besseren Zustand befand als behauptet. Nach seinen Recherchen hält er die Baufälligkeit schlicht für einen Vorwand. „Es war eine Ausrede“, schreibt er. „Schade.“

Immerhin wäre es auch heute noch möglich, mit einer zweispännigen Kutsche das verzierte Eingangstor zu passieren, die herrschaftliche Auffahrt zu nehmen und der Statue der Jagdgöttin Diana ein saloppes Hallo hinüberzuwerfen – wie man es schon vor hundert Jahren konnte. 1898 kaufte der Stuttgarter Unternehmer Ernst von Sieglin die Villa. 1912/1913 ließ er noch das Teehaus, den Marmorsaal und einen Tennisplatz bauen sowie den Park umgestalten – wobei man auf Fundamente der staufischen Burg Weissenburg stieß.

Ernst von Sieglin eroberte die Herzen der Frauen, weil er ein Seifenpulver erfand, das „blendend weiße Wäsche, auch ohne Bleiche“ versprach, so dass man sich fortan das strapaziöse und ungesunde Bürsten und Reiben der Wäsche in der Lauge ersparen konnte. Der 1848 geborene Stuttgarter hatte eine Weile in London gearbeitet, bevor er in Aachen Buchhalter einer Wollspinnerei wurde. Nebenher machte er Experimente und versuchte, Seife in Pulverform herzustellen. Er wurde zum Miterfinder von „Dr. Thompson’s Seifenpulver Marke Schwan“, einem der ersten Markenartikel.

Schwedisches Musikfest in der Villa

Ernst von Sieglin war nicht nur erfolgreich, sondern auch sozial. Er führte den Achtstundentag ein, gewährte den Arbeitern bezahlten Urlaub und verköstigte sie in Werkskantinen. Leicht war es wohl nicht für seine sehr viel jüngere Frau, die Berliner Geigerin Alice Borchert, an der Seite dieses viel beschäftigen Unternehmers zu leben. Zumindest ist Klaus Steinke auf einen Brief gestoßen, in dem Alice schreibt: „Ich weiß nicht einmal, ob Du dazu kommst, meinen Brief zu lesen.“

Als die Familie 1898 in die alte Heimat Stuttgart zurückkehrt, hat Ernst von Sieglin das Unternehmen bereits einem Geschäftsführer übergeben und sich ins Privatleben zurückgezogen. Er finanziert archäologische Ausgrabungen und trägt eine Sammlung ägyptischer Objekte zusammen, Teile davon befinden sich heute im Landesmuseum Württemberg. Sieglin ist großzügig, mal spendet er der Stuttgarter Badgesellschaft 300 Mark für „Bäder an Unbemittelte“, mal stiftet er zu Ehren des Geburtstags des Königs einen Brunnen in der Alexanderstraße. Es gibt ihn noch heute.

Ernst von Sieglin richtet auch gern gesellschaftliche Ereignisse aus, mehrfach ist der gesamte Festausschusses des Schwedischen Musikfestes in der Villa, sogar die Presse berichtet: „Besonders interessierte die Gäste, die schwedischen wie die deutschen, das neue Teehaus auf dem Hügel, an das die letzte Hand gelegt wird. Es ist ein Schmuckstück.“

1914 berichtet die 17-jährigen Tochter Martha in ihrem Tagebuch auch über den Besuch der „Kunstfreunde der Rheinlande“ auf der Villa Weissenburg. „Wie viele Autos und Menschen zur Einfahrt eindrangen, es war unsagbar! Damen in feinen Toiletten und Herren dito chic. Wetter einfach herrlich! Alle hatten wir uns in helle Toiletten geworfen.“

1926 stellten die kunstsinnigen Sieglins ihren Garten sogar dem modernen Ausdruckstanz zur Verfügung: Paul Isenfels fotografierte die nackt posierenden Schülerinnen und Schüler von Ida Herion, einer Pionierin des modernen Tanzes in Stuttgart.

Der See wird von den Amerikanern asphaltiert

Fast unbeschädigt übersteht die Villa Weissenburg den Zweiten Weltkrieg, sogar die Brandbombe, die auf den Balkon fällt, richtet kaum Schaden an. Bis 1955 ist in dem Gebäude das Offizierskasino der Amerikaner untergebracht, der See wird asphaltiert, und Jeeps fahren nun durch den Park. Danach steht das Gebäude leer. 1956 verkaufen die Sieglin-Erben den gesamten Besitz an die Stadt, die den Park im Zuge der Bundesgartenschau 1961 in eine öffentliche Grünanlage umwandelt und das Teehaus saniert als öffentlichen Ausschank für „Milch und ähnliche Getränke“.

Der Marmorsaal dagegen verrottete, er wurde erst Ende der achtziger Jahre renoviert, als man sich wieder zu interessieren begann für ein so exotisches Unikat wie diesen 1913 entstandenen Saal, bei dem man allein für die Böden sieben verschiedene Marmorarten verbaute. Sieglin ließ ihn mit lateinischen Zitate schmücken: „Introite nam et hic dii sunt“ – „Tretet ein, denn auch hier sind Götter.“

Einige Überreste der hellen Villa, die einst wie ein Wahrzeichen über der Stadt aufragte, schlummern noch heute in den Depots der städtischen Sammlung. Im Stadtarchiv liegen Aufnahmen, die ein Fotograf kurz vor dem Abriss noch in den Räumen machte. Sogar zur Filmkulisse hat es die Villa Weissenburg gebracht: 1960 drehten Lehrlinge der Schuler’schen Kunstanstalten den expressionistisch inspirierten Film „Poupette“ und streiften mit der Super-8-Kamera durch die geheimnisvollen Säle der verfallenden Villa.