Die Villa Merkel zeigt Werke von Meisterschülern des Weißenhof-Programms der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Ein Besuch der beeindruckenden Schau lohnt sich.

Kultur: Kathrin Waldow (kaw)

Esslingen - Seit Kurzem steht im Merkel-Park ein Lehmhaus. Die 30-jährige Havin Al-Sindy hat es zusammen mit ihrer Mutter, Architekten und freiwilligen Helfern nach dem Vorbild ihres Familienhauses im Irak als eine ihrer Abschlussarbeiten des Weißenhof-Programms der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart nachgebaut. Erde und Lehm hat Al-Sindy dafür extra aus dem Irak in Koffern nach Deutschland bringen lassen. „Am Ende ist es ein deutsch-irakischer Materialmix geworden“, sagt sie.

 

Zusammen mit sechs weiteren Meisterschülern präsentiert die junge Frau ihre Werke in der Schau „Vehement!“ in der Villa Merkel. Im ersten Stock der Galerie zeigt Al-Sindy auch Malereien. Sie hat freiliegende Körperteile ihrer Mutter gezeichnet. Mit ihren Arbeiten bietet die Künstlerin private Einblicke. „Das sind sehr persönliche Arbeiten, in denen ich meinen kulturellen Hintergrund und auch unsere Fluchtgeschichte aufarbeite.“

Katastrophen von Fukushima in japanischer Lackmaltechnik

Seit ihrer Flucht aus dem Irak vor 17 Jahren lebt Al-Sindy in Deutschland. Bei dem Lehmhaus sei es ihr um die Erinnerung gegangen. „Durch eine Flucht verdrängt man viel. An manches erinnert man sich nicht mehr richtig. Ich wollte mich aber erinnern, an mein Familienhaus in der alten Heimat.“ Ergänzt wird das Haus durch eine Videoinstallation. Das Thema Video taucht immer wieder auf. So etwa bei Claudia Gienger, die jeweils ein Video über eine junge Frau und eine an Demenz erkrankte, ältere Frau erstellt hat. Die beiden Filme stehen sich in zwei Räumen gegenüber und spiegeln die Lebensabschnitte und Emotionen der Frauen wider.

Auch der Meisterschüler Jan-Hendrik Pelz zeigt Videoarbeiten. Auffälliger sind jedoch Malereien, die er präsentiert. Sie stammen nicht von ihm, sondern von seinem Urgroßvater, der ebenfalls Künstler war. Pelz thematisiert damit seine Familiengeschichte und die eigene Identität. Mit selbst Erlebtem geht der Künstler Hiroki Tsukyama auf eindrückliche Weise um. Er bannt die drei Katastrophen Erdbeben, Tsunami und Reaktorunglück in Fukushima im Jahr 2011 zusammen mit den daraus resultierenden Börsenentwicklungen auf Wände. Dazu bediente er sich der traditionellen japanischen Lackmaltechnik. Die Ergebnisse sind verblüffend und regen zum Nachdenken an.

Ein Wandertag in Esslingen nach Vorbild des „marche populaire“

Leichtere Kost bietet Ferhat Ayne. Er ist im Elsass dem traditionellen „Marche Populaire“ – einem Volkswandertag künstlerisch nachgegangen. Ein Produkt davon ist ein öffentlicher Esslinger Wandertag, bei dem Interessierte am 25. November mitwandern können.

Performancearbeiten runden die Schau der Meisterschüler ab. „Esslingen ist ein Ort, an dem junge Kunst Platz hat. Wichtig ist, dass die Künstler eine Haltung ausbilden, das brauchen sie, um sich in der Kunstwelt einen Platz zu verschaffen“, sagt der Leiter der Villa Merkel, Andreas Baur. Die geballte Schau zeitgenössischer Kunst ist auf jeden Fall einen Besuch wert.

Vehement!
Vom 14. bis zum 25. November, Di 11-20, Mi-So 11-18 Uhr, Villa Merkel, Pulverwiesen 25, Esslingen.