Nicht jeder Fünftklässler findet in Stuttgart einen Platz an seiner Wunschschule: Dutzende Bewerber auf das neunjährige Gymnasium werden abgewiesen. In Bad Cannstatt versucht man sich zum neuen Schuljahr an Inklusion.

Stuttgart - Die Bildungslandschaft ist in Bewegung wie nie zuvor – und geprägt von neuen pädagogischen Ansätzen. Das zeigen die Anmeldezahlen für die fünften Klassen – zum Teil.

 

So ist das Gymnasium mit seiner stabil hohen Bewerberzahl noch immer die beliebteste Schulart. Allerdings kommen viele G9-Bewerber mangels Plätzen nicht zum Zug. Die Realschulen verlieren Schüler an die Gemeinschaftsschulen. Und die Werkrealschulen scheinen in Stuttgart sogar einen kleinen Aufschwung zu erleben – dahinter steckt jedoch eine zunehmende Zahl an Inklusionskindern. Und: erstmals startet an einem Stuttgarter Gymnasium eine Klasse 5a mit 19 G8-Gymnasiasten und sechs geistig Behinderten.

Am Leibniz-Gymnasium hat es Tränen gegeben

Spitzenreiter bei den Anmeldungen ist in diesem Jahr das Leibniz-Gymnasium in Feuerbach, das inzwischen ausschließlich G9 anbietet. Doch für 156 Fünftklässler habe er leider keinen Platz, sagt Schulleiter Otto Fischer: „Es war eine klare Ansage: Ich kann nur vier Eingangsklassen bilden. Wir kommen an die Grenzen unserer Möglichkeiten.“ 37 Bewerber habe er leider abweisen müssen. Da habe es natürlich Tränen gegeben – „das hat mir ganz arg leidgetan“, sagt Fischer. Denn auch die beiden anderen G9-Schulen – das Zeppelin-Gymnasium im Osten und das Wilhelms-Gymnasium in Degerloch – haben bereits genug Bewerber.

Wohin die 37 abgewiesenen G9-Aspiranten nun gehen werden, weiß Fischer nicht. Es steht zu vermuten, dass einige sich doch für G8 entschieden haben und auf das benachbarte Neue Gymnasium umgeschwenkt sind. Doch für manche könnte auch die Realschule eine Alternative sein. Und die Gemeinschaftsschule? „Dieses Modell muss noch überzeugen“, meint Otto Fischer, „vor allem, was die Oberstufe anbetrifft.“ Bekanntlich haben Gemeinschaftsschulen diese Option nur bei einer Mindestzahl an Oberstuflern.

Eng werde es am Leibniz-Gymnasium trotz der vielen Abweisungen. „Wir warten auf die Campusentwicklung mit den Neubauten“, sagt Fischer. „Wir haben unser pädagogisches und räumliches Rahmenkonzept verabschiedet. Die Stadt verlangt ein klares Konzept zur Inklusion.“ Baulich sei das zwar mit eingeflossen – „Aber wie sieht der Umgang mit Inklusion in der Praxis aus?“, fragt sich der Pädagoge. Unter den abgewiesenen Bewerbern sei auch ein Rollstuhlmädchen gewesen, doch dafür sei das Leibniz-Gymnasium – wie die meisten Stuttgarter Gymnasien – räumlich überhaupt nicht ausgerüstet. So habe man die Schülerin nach Korntal-Münchingen geschickt.

Das „Elly“ probiert Inklusion aus

Wie Inklusion in der Praxis aussieht, wird vom nächsten Schuljahr an das Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium in Bad Cannstatt ausprobieren. In der künftigen Klasse 5a werden neben 19 G8-Schülern auch sechs geistig behinderte Schüler sitzen. Deren Ziel ist nicht das Abitur. Offiziell handelt es sich um eine sogenannte Außenklasse der Helene-Schöttle-Schule. Das Sextett werde auch ein eigenes Klassenzimmer haben – direkt neben den G8ern. Aber, so kündigt Schulleiter Norbert Edel an: „Wir machen die Zusammenarbeit sehr eng – in allen Fächern.“

Mit diesem Vorhaben ist das Elly Pionier – nicht nur in Stuttgart, wie die Kontroversen über den Fall des Schülers Henri gezeigt haben; den Jungen mit Down-Syndrom aus Walldorf, den kein Gymnasium wollte und der nun auf einer Realschule gelandet ist. Doch Edel ist davon überzeugt: „Es geht.“ Nicht nur deshalb, weil die Elly-Schüler sich dies ausdrücklich gewünscht haben, jedenfalls die 19 in der 5a. Edel setzt auch auf „einen guten, rhythmisierten Ganztag“. Gemeint ist, dass alle Schüler in der Orientierungsstufe, also den Klassen fünf und sechs, an vier   Tagen von 7.55 bis 15.30 Uhr einen Wechsel von Unterricht und anderen pädagogischen Angeboten haben.

„Eltern, die das nicht wollen, melden ihre Kinder woanders an“, sagt Edel. „Wir sagen das ausdrücklich. Und wir nehmen auch in Kauf, dafür den einen oder anderen Schüler weniger zu haben.“ Tatsächlich ist das Elly mit 37 Anmeldungen dieses Mal das Gymnasium mit der geringsten Bewerberzahl. Über die Gründe mag Edel nicht spekulieren.

Schulleiter: auch begabte Kinder sollen profitieren

Natürlich seien viele Eltern verunsichert und hätten Sorge, dass die Förderung der begabten Kinder zu kurz komme, räumt Edel ein. Doch gerade darauf werde man besonders achten. Auch leistungsstarke Kinder sollten von dem Angebot profitieren, betont der Schulleiter. „Das ist genauso wichtig bei der Inklusion.“

Könnte auch die künftige Baustelle ein Grund für die Zurückhaltung bei der Anmeldung sein? Doch die Arbeiten für den Neubau starten erst in zwei Jahren. „Wir werden in der ganzen Bauphase ungestörten Schulbetrieb haben, allerdings etwas mehr Lärm“, sagt Edel. Dafür werde die neue Schule vierzügig ausgelegt „und dann top ausgestattet – wenn man es den Eltern erklärt, verstehen die schon, dass es eine tolle Aussicht ist“.

Neue Sporthalle am Friedrich-Eugens-Gymnasium

Das Friedrich-Eugens-Gymnasium hingegen kann schon jetzt mit neuer Sporthalle, neu gestaltetem Pausenhof und einem sogenannten Schülerhaus punkten, das eine Mensa enthält und Arbeitsräume für die Schüler.

Auch hier hat man mit Schülern unterschiedlicher Begabung zu tun: „Eine gewisse Heterogenität empfinden wir als Bereicherung“, sagt Schulleiter Martin Dupper. Er meint die Bandbreite zwischen Schülern mit Hauptschul- und Gymnasialempfehlung. Mit 123 Bewerbern ist das FEG Spitzenreiter in der Innenstadt. Dass er 35 Kinder abweisen musste, ist für Dupper „der schwierigste Job“.

Die Anziehungskraft der Schule führt er auch auf das naturwissenschaftliche Profil und die freundliche Atmosphäre zurück. Und: „Viele Leute schätzen bei uns, dass wir eine sogenannte normale Schule sind, ohne eine zu frühzeitige Spezialisierung.“ Duppers Richtschnur lautet: „So heterogen und inklusiv wie möglich, aber auch so fordernd wie nötig auf dem Weg zur Hochschulreife.“

Das Musikgymnasium wächst

Auf frühe Spezialisierung setzt man hingegen im Eberhard-Ludwigs-Gymnasium. Mit 47 Bewerbern für die beiden G8-Klassen und neun musikalisch hochbegabten Anwärtern für das Musikgymnasium ist Schulleiterin Karin Winkler „ganz zufrieden“.

Dank Aktivitäten wie den Römertagen und anderen Veranstaltungen habe man sich wieder stärker auch als humanistisches Gymnasium präsentiert. Die Kleinklasse des Musikgymnasiums fülle sich erfahrungsgemäß mit den Jahren noch. Der Grund: Tubaspielen etwa können jüngere Schüler noch nicht.