Jahr für Jahr werden in Deutschland zwei Millionen Tonnen Brot weggeworfen. Ein Biobäcker aus Radolfzell macht da nicht mehr mit.

Radolfzell - Der Mann im grauen Kittel will nichts sagen oder erklären. Keine Zeit für so was. Dann packt er unwirsch einen Plastikkorb voll mit Brot, Brötchen, Brezeln aus dem Transporter und schüttet das Ganze in ein stinkendes Loch. Weißbrot, Graubrot, Vollkornbrot, Zöpfe, Quarktaschen, Apfeltaschen, Nusskipferl und belegte Wecken platschen in die schwarze Brühe der Jauchegrube. Dort schwimmen bereits unzählige Brezeln, Hörnchen, Baguettes und Mohnstangen.

 

Der Mann ist Fahrer einer Bäckerei. Er tut sein Bestes und schmeißt weg, was er kann. Der Inhalt von gut 30 Körben fliegt in die Güllegrube. Das gehe niemanden etwas an, knurrt er. Warum auch? Das machen doch alle. Weiß man doch. Sein Chef sagt das auch, später am Telefon. Er meint, das sei die beste Lösung, die Produktion des Vortags loszuwerden. Besser, als sie auf eine Müllkippe zu fahren oder zu verbrennen. Ganz bestimmt ist es die billigere. Beim Landratsamt müsste er für die Entsorgung bezahlen. Dass sich jemand für seine Art der Überschussbeseitigung interessiert, findet der Demeter-Bauer beunruhigend. Er will nicht genannt werden. Fotografieren darf man schon gar nicht.

Landratsamt soll besser nichts wissen

Der Fahrer kommt jeden Tag, immer gegen neun. Und er ist nicht der einzige. Die Szene spielt auf einem Bauernhof irgendwo in Südbaden. Der Hof ist ein Biohof mit Laden und allem drumherum. Nach dem biologisch-dynamischen Gütesiegel von Demeter zertifiziert. Bei dem Ökoverband werden Biobauern die schärfsten Auflagen gemacht. Auch der Bauer, dem die Güllesenke mit den Bäckereiabfällen und den Fäkalien von mehr als hundert Rindviechern darin gehört, will anonym bleiben. Die Jauche treibt eine Biogasanlage an. Außerdem würden die Felder mit seiner Spezialgülle viel besser gedüngt, da durch das Brot der Phosphatgehalt in der Brühe steigt. "Ich nehme nur Bioware, in der unser eigenes Mehl drin ist", sagt der Mann. Vier Bäckereien liefern ihre Überschüsse bei ihm ab. Das Landratsamt soll davon besser nichts mitbekommen. "Dann wollen die sicher, dass ich eine großtechnische Abfallentsorgungsanlage für hunderttausend Euro baue." So hat er eben ohne behördliche Genehmigung seinen eigenen kleinen Biokreislauf entworfen.

"Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen, bis dass du wieder zur Erde kehrst, von der du genommen bist; denn du bist Staub und kehrst wieder zum Staub zurück." ( Genesis 3,19)

Von den sieben Millionen Tonnen Brot, die jedes Jahr in Deutschland gebacken werden, landen zwei Millionen im Müll. Szenen wie die auf dem Biohof am Bodensee sind die Regel, nicht die Ausnahme. Jede Bäckerei schmeißt zehn Prozent ihrer Produktion weg. Bei Großbäckereien landet sogar die doppelte Menge im Müll oder in einer Verbrennungs- oder Biogasanlage. Ein kleiner Teil wird an Tafeln für Bedürftige gespendet. Beim Endverbraucher wandern noch einmal 15 Prozent der gekauften Ware in die Biotonne. Insgesamt wird fast ein Drittel der jährlichen Brotproduktion weggeschmissen. Dabei wäre vieles davon auch noch am Tag danach gut zu verzehren. Doch der moderne Mensch will nur topfrische Ware - in Deutschland und in den anderen Wohlstandsgesellschaften. Laut der Welternährungsorganisation FAO wird ein Viertel aller gekauften Lebensmittel weggeworfen. Zugleich hungern eine Milliarde Menschen. Es läuft etwas schief.


Volker Antelmann hat sein Brot auch schon in Güllegruben verschwinden sehen. Furchtbar sei das für ihn gewesen, sagt Cornelia, seine Frau. Sie spricht jetzt oft für ihn, vor zwei Jahren hatte er einen Herzinfarkt, der ihn fast das Leben kostete. Ein Leben, in dem er stets Vollgas gegeben hat. Seit dem Schicksalsschlag ist er nicht mehr der gleiche. Inzwischen hat der 52-Jährige die schwarz-weiß-karierte Bäckerskluft gegen Jeans und Freizeithemd eingetauscht. Er backt nicht mehr. Er, der Brotrebell.

Aber er hat dafür gesorgt, dass alles so weitergeht, wie er es aufgebaut hat. Die Geschäfte führt jetzt seine ein Jahr jüngere Frau. Sie macht das gut, sagt er. Die Sache mit dem Abfall hat er auch in Ordnung gebracht. Mit seiner Knödelidee. Sie kam ihm, als sie beim gemeinsamen Wandern im Allgäu auf einer Berghütte Semmelklöße aus altem Brot genossen haben.

Alles wird verarbeitet

Statt Brot, Brezeln, Wecken und süße Teilchen wegzuschmeißen, verarbeitet er sie jetzt auch zu Knödeln. Das erledigen psychisch Kranke. Eine Idee, typisch Antelmann. Früher hat er zusammen mit der Caritas versucht, arbeitslose Jugendliche wieder an einen Beruf heran zu führen. Bis zu acht Schützlinge hatte der Bäckermeister damals beschäftigt. In der Knödelfabrik sind es jetzt drei. Es ist eine Arbeit ohne Druck und mit genügend Pausen. Darauf achtet Ulrich Martin, 54, früherer Anlagentechniker und selbst manisch-depressiv. Er leitet den kleinen Betrieb, wo jeden Vormittag mehr als tausend Bällchen von Hand geformt werden. Und erst mit den Knödeln fühlt sich Volker Antelmann, der größte Biobäcker des westlichen Bodensees mit 38 Angestellten, drei Verkaufsstellen und 40 Lieferadressen, als echter "Vollöko".


"Der Geruch des Brotes ist der Duft aller Düfte. Es ist der Urduft unseres irdischen Lebens, der Duft der Harmonie, des Friedens und der Heimat." (Jaroslav Seifert, tschechischer Schriftsteller, 1901-1986)

Antelmann ist Pionier der Biobäcker-Bewegung. Nach einer Ausbildung auf dem Forstamt wurde er mit 23 noch einmal Lehrling in einer Backstube. Mit 26 war er Jahrgangsbester seiner Innung, bald bei der Bundesforschungsanstalt für Backtechnologie in Detmold und danach in einer großen Backmittelfabrik. Als er vor 20 Jahren mit seiner Bäckerei auf der Bodenseehalbinsel Höri begann, kam er frisch vom Feind. Vier Jahre war er für einen Backmittelkonzern unterwegs gewesen, erst in Deutschland, dann in halb Europa. Dutzende Bäckereien beriet er, welche und wie viel Backtriebmittel sie nehmen sollten. Dabei hatte er längst begriffen: zum Backen braucht man die alle nicht. Es geht noch viel besser, wenn man nur natürliche Zutaten verwendet. Ferment aus Bienenhonig statt Hefe zum Beispiel.

Er wollte keine Gärunterbrecher verwenden, die den natürlichen Prozess der Teigentwicklung stoppen. Er wollte keine gefrorenen Teiglinge aus Tschechien importieren. Er wollte es besser machen, seine eigene Bäckerei sollte eine der ersten ökologischen weit und breit sein. Alle Rezepturen hat Antelmann selbst entwickelt. Doch auf dem Dorf war das nicht ganz einfach. So machten sie zwar alles, vom Weizenbrötchen bis zur Schwarzwälder Kirschtorte. Aber auf die natürliche Weise. Das war 1989. Zu einer Zeit, als Bio vor allem als Abkürzung für Biologieunterricht bekannt war. "Wir galten als verrückt, als Spinner, und vielleicht auch ein bisschen als Revoluzzer", sagt Cornelia Antelmann. Aber die Sachen schmeckten den Leuten.

Das Geschäft begann zu gedeihen

Der Laden und das Liefergeschäft wuchsen und gediehen. Vor acht Jahren bauten die Antelmanns auf dem Gelände einer alten Ziegelei bei Radolfzell eine neue Biobäckerei nach ihren Vorstellungen. Ökologisch und aus Holz natürlich. Es wurde ein Niedrig- oder noch mehr ein Nullenergiegebäude. Ihr Wohnhaus, das sie "Auszeithaus" tauften, haben sie direkt angebaut. Am 600 Quadratmeter großen Garten fließt die Aach vorbei. Die großen Backöfen heizen einen 10.000 Liter fassenden Wasserspeicher, der liefert das warme Wasser und füllt die Fußbodenheizung im Wohnhaus.

"Unser tägliches Brot gib uns heute." (aus dem Vaterunser-Gebet)

Heute ist der Betrieb biozertifiziert und Antelmann vielfach ausgezeichnet, etwa von der Zeitschrift "Feinschmecker", zudem Träger des Landesumweltpreises. Er hat mit dem Global Nature Fund, dem Naturschutzbund und der Bodenseestiftung zusammengearbeitet und einen wöchentlichen Biomarkt gegründet. Doch geht es nach ihm, ist sein Weg noch lange nicht zu Ende. Sein nächster Plan: ein Café gleich gegenüber der Bäckerei. Oder am besten eine Gastwirtschaft mit Biobiergarten.

Kinofilm zu Wegwerfmentalität

Inmitten einer verschwendungssüchtigen Welt schaffen sich die Antelmanns ihr Bioparadies. Es soll beweisen, dass es anders geht, während die Wegwerfmentalität voranschreitet und die Müllberge wachsen. Der Film "Taste the Waste" und das Buch "Die Essensvernichter" des Dokumentarfilmers Valentin Thurn weisen darauf hin. Der Film läuft in 300 Kinos in Deutschland, 40.000 Menschen haben ihn schon gesehen. Das Buch kam in die "Spiegel"- Bestsellerliste. Vor zwei Wochen flog er zum Filmfestival nach Abu Dhabi. Der gebürtige Waiblinger ist ein gefragter Mann. Mit einem Thema, das offenbar viele berührt.

Am Sonntag stellt Valentin Thurn das Werk im Überlinger Kurhaus vor. Es wird die größte Vorführung im südwestdeutschen Raum. Dazu zählt eine Kochaktion mit Lebensmitteln, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist, die aber bedenkenlos verzehrt werden können. Es gibt Gemüselasagne, serviert mit Volker Antelmanns "Toskana"-Knödel. Danach wird man den Biobäcker persönlich auf die Bühne bitten und ihm den Preis "Teller statt Tonne" von der Aktion gegen Lebensmittelvernichtung überreichen. Eine Auszeichnung ganz nach seinem Geschmack.