Thailändische Kokossuppe, elsässischer Flammkuchen und syrische Süßspeisen: Ein Stuttgarter Paar lädt Flüchtlinge zu einem Welcome Dinner in seine Wohnung ein. Wie schmeckt es den syrischen Gästen?

Stuttgart - Fünfzehn Minuten bevor die Gäste eintreffen, denkt Julius Raether laut darüber nach, noch schnell eine Pizza zu bestellen. Der erste Gang verdampft gerade auf dem Herd. Die thailändische Suppe mit Kokosmilch ist übergekocht. Reste davon wischt seine Freundin Inaam El-Rajab mit Küchenpapier vom Boden auf. „Der Topf ist zu klein“, schimpft Julius. In der Wohnung im Stuttgarter Heusteigviertel fehlen an diesem Abend mindestens zwei weitere Hände. Der Salat ist nicht fertig geschnippelt, der Flammkuchen nicht im Ofen. Wäre dies eine Fernsehshow, dann kein „Perfektes Dinner“ bei Vox, sondern eher ein Fall für „Die Kochprofis“ von RTL II. „Wir sind nicht mal sicher, ob unsere Gäste das mögen, heute ist alles ein wenig experimentell“, sagt Julius und rührt vorsichtig in der Kokossuppe. Ist sie jetzt auch noch angebrannt?

 

Ein Klingeln schreckt das Paar auf. „Oh, die sind immer so pünktlich“, sagt Inaam und eilt zur Tür. Die 26-Jährige hat ihr braunes Haar zum Kochen nach oben geknotet. Sie lauscht auf die gedämpften Schritte auf der Treppe. Zwei junge Männer erscheinen auf der Schwelle, schlüpfen vor dem Eintreten aus den Schuhen. Sie drücken Inaam einen Teller in die Hand. Darauf befindet sich der Nachtisch.

Anfang November spielte sich eine ganz ähnliche Szene ab. Damals klingelten Mohammad Ghayad und Alaa Eddin Aboa Alhawa, zwei Syrer, zum ersten Mal an der Tür. Es gab Pizza.

Die Geschichte beginnt aber eigentlich schon früher. An einem von vielen Kneipenabenden, bei dem man mal wieder mit Freunden bei einem Bier gegen die AfD wetterte. Inaam war das nicht genug. Sie wollte etwas zur oft beschworenen Willkommenskultur beitragen. Aber was? „Man kann ja nicht einfach in eine Flüchtlingsunterkunft marschieren.“ Sie entdeckte das Welcome Dinner. Dabei laden Stuttgarter Gastgeber Flüchtlinge zu sich zum Essen ein. Es braucht etwas Mut und auch Vertrauen, wenn wildfremde Menschen plötzlich den geschützten Raum des eigenen Heims betreten. Die Veranstalter wurden schon gefragt, wie sie denn sicherstellen könnten, dass kein Terrorist vor der Tür steht.

Weihnachten in Franken

Kann aus einer Einladung zum Essen wirklich mehr werden als eine flüchtige Begegnung? Lernt man mehr als nur, woher man in Stuttgart eigentlich Halal-Fleisch bekommt?

Keine Woche nach dem Pizzaessen luden die Syrer ihre neuen Bekannten in ihre Unterkunft ein. Mohammad servierte gefüllte Weinblätter und andere Spezialitäten aus der Heimat. Ein paar Wochen darauf verabredeten sie sich zu einem Actionfilm ins Kino. Inaam nahm Mohammad über Weihnachten mit zu ihrer Großmutter ins Fränkische. „Er hat sicher nicht immer alles verstanden, meine Oma spricht ziemlichen Dialekt“, erinnert sie sich. Mohammad störte das nicht: „Ihre Familie ist sehr nett.“

Nun sind die Männer zum zweiten Mal zu Gast, aber kaum weniger nervös. Sie wollen vor ihren neuen deutschen Freunden nichts falsch machen. Während Julius das Chaos in der Küche bändigt, führt Inaam sie in ihr Zimmer. Eine lange schwarze Tafel, rosa Servietten neben weißem Geschirr. In der Mitte steht eine Vase mit bunten Ranunkeln. Mohammad, 21, wird den ganzen Abend seine dünne Daunenjacke anbehalten. Sein Freund Alaa setzt sich neben ihn. Er ist 27, über ein kariertes Hemd hat er eine Wollweste gezogen.

Julius trägt den Salat auf. „Fangt schon mal an“, sagt er und verschwindet Richtung Küche. Inaam reicht die Schüssel Alaa, doch der lehnt ab. „Wir warten auf Julius“, erklärt er in klarem Deutsch. Die Syrer bestehen darauf, sich in der Sprache der Gastgeber zu unterhalten. Schließlich wollen sie ihr Deutsch verbessern.

Ein erster Schritt hin zur Integration?

Mohammad und Alaa leben in einer Flüchtlingsunterkunft in Birkach. Sie teilen sich ihre Zimmer mit je zwei anderen Männern und die Küche mit einem ganzen Stock. Vor eineinhalb Jahren sind sie nach Deutschland gekommen. Ihre Asylanträge sind durch. Was ihnen fehlte, waren Kontakte zu Deutschen. Dann hörten sie vom Welcome Dinner. „Musst du mal googeln“, hatte ein Freund Alaa geraten. Dem gefiel die Idee vom gemeinsamen Essen. Mohammad füllte die Bewerbung für sie aus: Alter, Adresse, Herkunft, die Gerichte halal oder vegetarisch.

Aus diesen Angaben versuchen die Veranstalter, möglichst harmonische Konstellationen herzustellen. Familien zu Familien, junge Leute zu jungen Leuten. Seit dem Start im August 2015 fanden rund hundert Dinner statt. Es könnten mehr sein. Doch mal fehlen ehrenamtliche Helfer, die das Kennenlernen organisieren, mal schlicht die Gäste. Eine der größten Herausforderungen ist es, Flüchtlinge auf das Projekt aufmerksam zu machen. Und am Ende ist es wie bei jedem Blind Date: Ob die Chemie stimmt, stellt sich erst beim Treffen heraus.

Julius schöpft dampfende Thai-Suppe in die Teller. „Könnte scharf sein“, warnt er. Inaam reicht dazu Reis herum. Während sie essen, diskutieren die vier über Alaa Eddins Namen. Wählt man die vertrautere Schreibweise „Aladdin“, sieht man sofort den Jungen mit der Wunderlampe vor sich. Alaa ist Schreiner und wenn ein Dschinn ihm einen Wunsch erfüllen könnte, dann den, dass er in Deutschland Arbeit findet. „Das Leben ist nicht gut ohne Arbeit.“

Bevor er flüchtete, lebte Alaa einige Zeit in Jordanien. Er zückt sein Handy und wischt zu einem Foto, das die Küche im Haus seiner Eltern zeigt. Selbst gebaut. In Jordanien, sagt er, durfte er als Syrer offiziell nicht arbeiten. Die Menschen machten ihnen das Leben schwer. Irgendwann reichte es. Die ganze Familie packte ihre Sachen, brach über die Türkei und Griechenland nach Deutschland auf.

Die Wohnungssuche ist fast aussichtslos

Auch Mohammad zieht sein Handy aus der Tasche. Er sucht ein Video. Schwermütige Musik beginnt zu spielen. Er reicht das Gerät weiter. Man sieht, wie Menschen Falafel zubereiten. Mohammad ist gelernter Koch. „Das ist das Restaurant in meiner Nachbarschaft“, erklärt er. Seine Mutter und seinen Vater hat er seit sechs Jahren nicht mehr gesehen. Damals war ein Polizist bei der Familie aufgetaucht. Mohammad sollte Soldat werden. Er floh in den Libanon, blieb dort fünf Jahre. „Es gibt keine Schulen, keine Arbeit, alle Wohnungen sind kaputt“, sagt er über Syrien. „Ich möchte in Deutschland bleiben, hier ist Freiheit.“

Die beiden Männer werden an diesem Abend nur gut über Deutschland sprechen. Selbst die langwierige Suche nach einer eigenen Wohnung quittieren sie bloß mit einem Schulterzucken. Im Flüchtlingsheim gibt es oft Streit, laute Musik stört Alaa beim Lernen. Doch laut ihrem Ausweis dürfen sie nur in den ersten beiden Zonen eine Bleibe mieten. Dabei ist es fast aussichtslos, derzeit etwas Bezahlbares im Innenstadtbereich zu finden. Vor allem, wenn man den falschen Namen hat.

Inaam kennt das Problem. Obwohl die 26-Jährige ihr ganzes Leben in Deutschland verbracht hat, perfekt Deutsch spricht, war ein Termin für eine Wohnungsbesichtigung schwer zu bekommen. Ihren Namen hat sie vom Vater. Er stammt aus dem Libanon, die Mutter aus Franken. Vielleicht steht sie auch deshalb Fremden aufgeschlossener gegenüber.

Vor dem ersten Treffen war sie aufgeregt. Sie wusste von Besuchen in der Heimat ihres Vaters, dass Männer keinen Frauen die Hand geben, die sie nicht kennen. Mohammad und Alaa ergriffen die ihre sofort. Es machte ihnen auch nichts aus, dass Julius sich ein Bier aufmachte.

Beim nächsten Treffen gibt es Falafel

Das Welcome Dinner, das Einlassen auf eine fremde Kultur, kann helfen, Berührungsängste abzubauen. Für die Gäste ist es ein erster Schritt hin zur Integration. Ein Besucher eines anderen Dinners trainiert jetzt im örtlichen Ruderverein mit. Mohammad sagt: „Inaam und Julius sind sehr gute Menschen, sie fragen immer, wo sie helfen können.“ Und auch die Gastgeber profitieren. Inaam, die die Sprache ihres Vaters nie gelernt hat, meldete sich zu einem Volkshochschulkurs in Arabisch an. „Ich habe einfach eine Motivation gebraucht.“

Alle haben inzwischen die Löffel beiseitegelegt. Alaa hat die Suppe nur zur Hälfte gegessen, auch Mohammad war es zu viel. Julius murmelt: „Wir hätten vielleicht doch Pizza bestellen sollen.“ Doch die Syrer sind höfliche Menschen. „Es schmeckt super, nur etwas zu scharf“, meint Alaa.

Den Flammkuchen schafft keiner mehr. Dafür greifen alle zum Nachtisch. Haselnusseis und Mangosorbet mit Heidelbeeren, dazu die süßen Teilchen der Syrer, die von der Form her an Gnocchi erinnern. Alaa zählt auf, woraus sie bestehen: Grieß, Mehl, Wasser, Eier, Zucker und was von Orangen. Es fällt ihm nicht ein. „Schalen“, vermutet Inaam. „Orangenschalen.“ Alaa tippt das Wort gleich in sein Handy. Er hat extra eine Liste für neue Begriffe und Sätzen angelegt. „Unterlagen“ steht darauf, aber auch „Das Essen ist sehr köstlich“ und „Stuttgart gefällt mir sehr“. Erst seit einem Monat darf er einen Deutschkurs besuchen. Fast alles, was er kann, hat er sich selbst über Youtube-Videos beigebracht. „Ich habe viele Wörter gelernt, hier kann ich sie auch mal anwenden.“

Gegen zehn ist das Eis gegessen, er und Mohammad brechen auf. Es ist eine weite Fahrt von der Innenstadt bis zur Unterkunft in Birkach. Bevor sie im Treppenhaus verschwinden, sagt Mohammad: „Ihr müsst zum Falafel-Essen kommen. Habt ihr nächste Woche Zeit?“