Helga Rohra macht im Pflegezentrum Paulinenpark Mut zur Teilhabe am Leben trotz Demenz-Diagnose.

Stuttgart - Anfang September haben Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe und Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig den Startschuss für die deutschlandweite Initiative „Demenz-Partner“ Demenz-Partner gegeben. Ein Slogan der Kampagne lautet „Demenz braucht dich“. Ist das nur ein sprachlicher Schnitzer oder doch ein Beleg dafür, dass der Mensch in der Wahrnehmung oft hinter seiner Krankheit verschwindet?

 

Helga Rohra setzt sich vehement für eine andere Sichtweise ein. Auch bei ihrer Lesung am Mittwoch, dem Welt-Alzheimer-Tag, im Pflegezentrum Paulinenpark plädiert die 63-Jährige dafür, nicht die Defizite in den Vordergrund zu stellen. „Es ist unter der Würde, wenn man Menschen mit Demenz integriert, indem man sie zum Kartoffelschälen in die Uni-Mensa setzt“, stellt die gelernte Konferenzdolmetscherin fest. Die Frage „Was kann ich noch“? ist nicht nur für den Betroffenen zentral. Sie sollte auch für Außenstehende bestimmend sein. „Je ausgeprägter ihr Intellekt ist, desto mehr können sie im Falle einer Demenzerkrankung noch abrufen“, erklärt Rohra. „Damit das funktioniert, muss das Gehirn aber trainiert werden. Nicht nur mit Sudokus. Bleiben sie aktiv. Führen sie Gespräche, die sie fordern!“

Eine Vielzahl unterschiedlicher Erscheinungsformen

Die verzerrte Wahrnehmung von Demenz hat viel mit Unwissen zu tun. Allzu oft wird der Begriff als Synonym für Alzheimer verwendet. Dabei gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Erscheinungsformen. Während Alzheimer zumeist eine Alterserscheinung ist, können andere Ausprägungen schon im Kindesalter auftreten. Bei Helga Rohra wurde vor neun Jahren eine Lewy-Body-Demenz festgestellt. Eiweißablagerungen im Gehirn führen zu Wortfindungsstörungen oder Orientierungsschwierigkeiten, andere Symptome erinnern an Parkinson, hinzu kommen optische Halluzinationen. Die Münchnerin spricht offen über ihre Erkrankung, schonungslos, aber ohne zu lamentieren.

Selbstbewusster Umgang mit der Diagnose

„Ja zum Leben trotz Demenz!“ heißt ihr neues Buch. „Ich lebe im Jetzt“, so Rohra. „Ich lebe frei von Zwang. Ich habe für mich selbst neue Prioritäten erkannt, und es ist ein sehr wertvolles Leben.“ Dass dem selbstbewussten Umgang mit der Diagnose eine Zeit der Depression und Unsicherheit vorausging, verschweigt die Trägerin des Deutschen Engagement-Preises nicht. „Ich musste wieder einen Sinn finden“, blickt sie zurück. „Wenn man alleinstehend ist und einen niemand pampert, sucht man in so einer Situation nach einem Kraftquell. Ich habe ihn gefunden: in mir.“

Immer wieder kommt Helga Rohra auf ihr Kernthema zurück: die Begegnung auf Augenhöhe. „Hört uns zu und lernt von uns“, appelliert sie an die Gesellschaft. Ihre Energie (nicht umsonst ist ihre Stimme von den Gesprächen am Vortag in Berlin angeschlagen) und ihr Humor übertragen sich auf die Anwesenden. So ist die Stimmung am Ende der Veranstaltung trotz der Brisanz der Inhalte gelöst. An einer Auseinandersetzung mit dem Thema Demenz führt ohnehin kein Weg vorbei. Allein in Stuttgart leben derzeit etwa 7000 Betroffene.