Freizügigkeit und Feminismus sind keine Gegensätze. Leider ist der Blick auf das, was als aufreizend und sexy gilt, nach wie vor ein männlicher. Das bekommen selbstbestimmte Frauen zu spüren.

Stuttgart - Die deutsche Ausgabe des Modemagazins „Vogue“ setzt zum Weltfrauentag ein wichtiges Zeichen: eine der provokantesten und erfolgreichsten Frauen der Musikgeschichte ziert das Cover und die 18-seitige Modestrecke der April-Ausgabe: Madonna. Die 58-Jährige ist die Galionsfigur der weiblichen Selbstbestimmung und ein Seismograf für die Stimmung in der Gesellschaft wenn es um die Themen Freizügigkeit, Sexualität, Feminismus und Gleichberechtigung geht. Die Tatsache, dass sie auch im reiferen Alter genau das macht, was sie immer gemacht hat, nämlich zu provozieren – gerne mit freizügigen Outfits – stößt vielen auf. Nach dem Motto: in dem Alter sollte man sich doch endlich zu benehmen wissen. Hier kommen zwei Dinge zusammen: der verstellte Blick auf die Selbstbestimmung der Frauen sowie Altersdiskriminierung.

 

Ein verstellter Blick auf die Selbstbestimmung der Frauen

Dass man sich an Madonnas Erscheinungsbild stoßen kann, sei dahin gestellt. Dass ein harmloses Foto der Schauspielerin Emma Watson, auf dem sie ein kurzes Jäckchen und nichts drunter trägt (damit aber so gut wie nichts entblößt) die Gemüter in den sozialen Medien am Wochenende so derart erregt hat, ist allerdings besorgniserregend. Auch hier kommen zwei Dinge zusammen: der verstellte Blick auf die Selbstbestimmung der Frauen sowie ein falsch verstandener Feminismus. Emma Watson ist bekennende Feministin, als UN-Botschafterin möchte sie mit der Kampagne „He for She“ Männer ins Boot im Kampf für die Gleichstellung von Männern und Frauen holen. Sie steht für eine neue, moderne Form des Feminismus, die selbstverständlich davon ausgeht, dass Frauen eine Wahl haben und sich nicht an vorgefertigten Geschlechterrollen orientieren. Dass ausgerechnet aus den Reihen von Feministinnen Kritik an Emma Watsons Foto kommt, ist bezeichnend.

Noch mehr Frauen, die für die Rechte von Frauen kämpfen sehen Sie in diesem Video.

Der alte Konflikt des Feminismus offenbart sich aufs Neue

Bezeichnend dafür, dass es uns nach wie vor nicht gelingt, den Blick auf Freizügigkeit, Sexualität und Geschlechterrollen neutral zu betrachten. Der alte Konflikt des Feminismus offenbart sich hier aufs Neue: der weibliche Körper zwischen der Selbstbestimmung des Subjekts und der öffentlichen Zurschaustellung als Objekt. Der Blick auf das, was als aufreizend und sexy gilt, ist nach wie vor ein männlicher. Die Versuche, medial präsentierte Sexualität zu „verweiblichen“, sind ein Tropfen auf dem heißen Stein. Sich von diesem Blick frei zu machen, ist schwierig. Aber es muss sein, wenn wir nicht ewig in rückwärtsgewandten Debatten über Rocklängen, freigelegte Brüste und zu kurze Jäckchen mit nichts unten drunter stecken bleiben wollen.

Eine Frau darf sich aufreizend anziehen, wann immer sie das möchte

Ja, eine Frau darf sich aufreizend anziehen, wann immer sie das möchte. Dass es als aufreizend angesehen wird, ist nicht ihr Problem. Und schon gar nicht sollte es Anlass für reaktionäre Moralisten sein, sich darüber zu echauffieren, dass man damit den Feminismus konterkarieren würde. Gerade in Zeiten von Trump und einem neu erwachten Chauvinismus, von dem man glaubte, er gehöre auf den Dachboden für Reaktionäres und Anti-Modernes, ist das angezeigter denn je. Laurie Penny, die britische Vorzeige-Feministin und Autorin des Buchs „Fleischmarkt. Weiblicher Körper im Kapitalismus“ warnt in diesem Zusammenhang vor einer neuen „Toxic Masculinity“, einem Verständnis von Männlichkeit, das wie Gift innerhalb von Familien, in Staaten, auf der Welt wirke.

Es geht um den Blickwinkel

Soweit muss man gar nicht gehen, um zu erkennen, dass es nicht darum geht, wie und was sich eine Frau anzieht. Es geht um den Zusammenhang und um den Blickwinkel. Es gibt einschlägige Hip-Hop-Videos, in denen Frauen nichts anderes darstellen als Sexualobjekte. Das ist verstörend und man fragt sich, warum sich diese Frauen dafür hergeben. In einem anderen Zusammenhang – wenn sich Madonna beispielsweise lasziv und aufreizend gibt – hat es eine ganz andere Konnotation, nämlich eine selbstbestimmte. Und verstört allenfalls diejenigen, die ihre männliche Perspektive – egal ob Mann, Frau, Moralist oder Feministin – nicht ablegen können oder wollen.

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