Auf seiner Reise zum Weltjugendtag in Rio trifft der Papst in ein von Protesten und sozialen Unruhen aufgewühltes Land. Viele, vor allem junge Menschen erwarten von dem Kirchenoberhaupt ein klares Signal.

Rio de Janeiro - Der Papst kommt, und darauf stellen sich sogar die Erbauer der Plastiken aus Sand ein, die am Strand von Copacabana traditionell statt Sandburgen lieber üppige Frauenleiber modellieren. Pos und Busen sind mit Rücksicht auf die Teilnehmer des anstehenden Weltjugendtreffens halbwegs züchtig verhüllt – mit Sandbikinis.

 

Der Papst und die 2,5 Millionen erwarteten Gäste – andere Schätzungen gehen sogar von fünf Millionen aus – erzeugen in Rio de Janeiro eine gewisse Nervosität. Denn nach den riesigen Demonstrationen im Juni, mit denen niemand gerechnet hatte, fragen sich die Verantwortlichen, was auf sie zukommt. Gar nichts, sagen die römischen Organisatoren der Reise. Der Papst sei, anders als brasilianische Spitzenpolitiker, keine Zielscheibe des Protestes.

Aber so sicher ist das nicht. Durch die weltweite Aufmerksamkeit könnten sich Demonstranten angezogen fühlen, egal welche Sache sie vertreten. Außerdem werden die Kosten des Besuchs, knapp 120 Millionen Euro, zu rund einem Drittel aus öffentlichen Haushalten bestritten. Das ist eine Lastenverteilung, die an die Finanzierung der heftig kritisierten Luxusstadien des Fußball-Weltverbands Fifa erinnert und ähnlichen Volkszorn heraufbeschwören könnte. In Brasilien waren im Juni Hunderttausende meist jugendliche Demonstranten gegen Korruption und die Verschwendung von Steuermitteln auf die Straße gegangen.

Franziskus will sich unter das Volk mischen

Diese Vorstellung macht die Verantwortlichen besorgter als die üblichen Anti-Papst-Aktionen wie beispielsweise das Kiss-in, das die brasilianische Schwulenbewegung geplant hat. Rios Bürgermeister Eduardo Paes hat mit dem Argument, der Papst solle nicht für die Sünden der Politiker büßen müssen, um Zurückhaltung bei Demonstrationen gebeten. Änderungen im Programm hat Rom klar zurückgewiesen. Franziskus will nicht im gepanzerten Papamobil herumfahren, sondern hat zwei offene Gefährte einfliegen lassen. Er will bei seiner Ankunft die Großkopferten wie Präsidentin Dilma Rousseff auch nicht nur am leicht zu sichernden Flughafen treffen, sondern besteht, wie von Anfang an geplant, auf den Palácio Guanabara, Sitz der Landesregierung, der den Sicherheitsexperten plötzlich als zu riskant erschienen ist. Zum Entsetzen der Polizei kam der Papst zusätzlich noch mit einem überraschenden Sonderwunsch an: Statt sich gleich nach seiner Ankunft in den Palast zu begeben, wollte er erst noch im offenen Wagen durch das Stadtzentrum von Rio fahren und die Bevölkerung begrüßen, und zwar ausdrücklich vor dem Empfang der Politiker.

Die Brasilianer haben das alles geschluckt, so sehr die Sicherheitsplaner auch die Stirn in Falten gelegt haben. Das brasilianische Volk und die Jugend der Welt würden für die Sicherheit des Pontifex Sorge tragen, sagte Präsidialminister Gilberto Carvalho diplomatisch. Zusätzlich hat die Regierung allerdings rund 14 000 Soldaten und weitere 6000 Polizisten aufgeboten. Zum Einsatz kommen auch im Irak erprobte Roboter zur Entschärfung von Sprengsätzen. Dass er von Sicherheitsleuten mit Gewehren begleitet wird, hat sich Franziskus ausdrücklich verbeten.

Das Charisma des Papstes gefällt den Latinos

Am Dienstag hat Franziskus keine öffentlichen Termine, am Mittwoch fliegt er nach Aparecida, den größten brasilianischen Wallfahrtsort, 250 Kilometer westlich von Rio de Janeiro gelegen, den auch Benedikt XVI. vor sechs Jahren besuchte. Am Donnerstag segnet er die Olympiafahnen, besucht eine Favela und spricht vor rund 1,5 Millionen Jugendlichen am Strand von Copacabana, wo tags darauf die Leidensstationen Christi dargestellt werden. Für Messen und Gebete begibt er sich am Samstag und Sonntag in ein sogenanntes Glaubenscamp in Guaratiba, einem ländlichen Vorort von Rio. Dass die erste Reise des ersten lateinamerikanischen Papstes nach Lateinamerika führt, ist Zufall. Schon Vorgänger Benedikt hatte das Jugendtreffen in Rio geplant. Der argentinische Papst hat bisher auffallend vielen lateinamerikanischen Regierungschefs Audienzen gewährt, was in der Region dem freudigen, wenn auch etwas oberflächlichen Wir-sind-Papst-Gefühl Vorschub geleistet hat. Einen ausdrücklich lateinamerikanischen Akzent hat er bisher jedoch nicht gesetzt. Freilich werden allein die Beliebtheit und das Charisma des Papstes in scharfem Gegensatz zum spröden Auftreten Benedikts 2007 in Brasilien stehen.

Die Erwartungen, die ihm bei seinem Rio-Besuch entgegenschlagen, beziehen sich vor allem auf die sozialen Unruhen. Der asketische Habitus des Papstes, seine durchaus entschiedene Kritik am Wirtschaftssystem, seine Klage über Korruption und Raffgier stehen im strikten Gegensatz zum Verhalten der politischen Klasse Brasiliens, die statt der Bergpredigt lieber der Parole „Bereichert euch!“ zu folgen scheint. Dass Franziskus die   jüngsten Demonstrationen unerwähnt lässt, gilt als ausgeschlossen. Einen ersten Akzent setzte er bereits auf dem Flug nach Rio: Er warnte vor Verelendung der Jugend. „Die globale Krise hat der Jugend nichts Gutes gebracht. Wir riskieren, eine ganze Generation zu erleben, die keine Arbeit hat. Dabei rührt die Würde der Person aus der Arbeit“, sagte Franziskus am Montag.

Sein unprätentiöser Stil entzückt die Menschen zwar auch jenseits der katholischen Kirche, aber er überdeckt auch, dass Franziskus kein fortschrittlicher Papst ist – bislang jedenfalls deutet nichts darauf hin. In den Fragen der Doktrin liegt er auf einer Linie mit seinen konservativen Vorgängern. Aber wie fast überall auf der Welt werden auch in Lateinamerika viele Positionen des Vatikans – vom Präservativverbot über das Zölibat zur Verdammung der Ehescheidung – als welt- und lebensfremd empfunden und auch von vielen Katholiken achselzuckend ignoriert.

Sollte Papst Franziskus in doktrinären Fragen jedoch andere, neue Akzente setzen wollen, dann wäre das Weltjugendtreffen die geeignete Bühne dafür.