Bevor die weltbesten Tennisspielerinnen in Stuttgart aufschlagen, müssen in der Halle die Plätze aufgebaut werden. Wie geht das? Ein Blick hinter die Kulissen der Porsche-Arena.

Am Gründonnerstag, morgens kurz nach zehn, ist die Halle nackt. Zwei schwarze Metallrohre ragen verloren aus dem Boden. Neben einem liegen ein Handy und eine Bluetoothbox – jede Baustelle braucht Musik. Über den leeren Tribünen singt Jennifer Rush „I Come Undone“.

 

Ein Gabelstapler fährt mit Blinklicht und liefert Paletten an. Acht Männer, alle vorschriftsmäßig in neongelben Warnwesten, spannen von einem der beiden Rohre eine Schnur und vermessen zentimetergenau den Boden der Porsche-Arena. Ihre Aufgabe: Sie sollen einen Tennisplatz bauen.

Von diesem Freitag an schlagen die besten Tennisspielerinnen der Welt in Stuttgart auf. Zuerst treffen im Billie-Jean-King-Cup die Mannschaften von Deutschland und Brasilien aufeinander. Dann folgt nahtlos der Porsche Tennis Grand Prix. Das sieht man schon: An der Stirnseite der Halle sind drei Podeste aufgebaut. Auf jedem steht ein Sportwagen, der Werbung macht für den Hauptsponsor des Turniers.

Schaumstoffmatten dienen der Dämpfung

Ein drahtiger junger Mann, blondes Haar und schmales Gesicht, zeigt mit ausgestrecktem Arm in die gegenüberliegende Ecke, gibt eine Anweisung, und die Arbeiter nicken. Der Ungar Andreas Kuharszky ist Eigentümer der Firma Reboundsports aus Budapest. Sie hat sich darauf spezialisiert, Tennisplätze anzulegen. „Wir könnten hier in der Halle auch einen ganz normalen Sandplatz bauen – so, wie Sie ihn draußen in jedem Tennisclub finden“, erklärt Kuharszky. „Aber bis der gewalzt und in einem Topzustand wäre, würde das drei Wochen dauern. Diese Zeit haben wir nicht in der Halle.“

Deshalb hat Kuharsky einen transportablen Tennisplatz entwickelt, den seine Männer jetzt aufbauen. Das geht so: Zuerst legen sie Schaumstoffmatten auf den nackten Hallenboden. Diese sind 15 Millimeter dick und dienen der Dämpfung. Dann heben vier Mann eine Platte von der großen Holzkiste, die der Gabelstapler gebracht hat. Sie ist 2,14 mal 1,07 Meter groß und wiegt 90 Kilo. Als Unterseite dient eine verleimte Sperrholzplatte. Die Oberseite ist zwei Zentimeter dick und besteht aus einem tennisplatzroten Gemisch aus Ziegelmehl und Bindemittel. Der transportable Platz besteht aus 483 Platten und wiegt knapp 50 Tonnen.

Für die nächsten zwölf Stunden ist das die Aufgabe der Männer aus Ungarn: Sie spielen Puzzle. Die Puzzlestücke sind zwar alle gleich groß. Aber sie müssen fugenlos verlegt werden, sonst wäre der Tennisplatz unbespielbar. Regelmäßig hallen die Schläge eines großen Hammers durch die leere Halle. Wenn eine Platte korrekt neben der anderen liegt, werden beide mit einer Feder verspannt, damit sie nicht mehr verrutschen können. Neben dem schwarzen Rohr, in dem später der Netzpfosten verschraubt wird, steht eine Schubkarre. Gefüllt mit Wasserflaschen, Schokoriegeln und Bananen, für die kleine Stärkung zwischendurch.

Stuttgart machte aus der Not eine Tugend

Tennis ist ein Sport, bei dem es auf Feinheiten ankommt. Das gilt nicht nur für das Spiel an sich, sondern auch für seine weltweite Vermarktung. Ursprünglich wurde das Stuttgarter Damenturnier im Herbst auf Hartplätzen ausgetragen. Dann regelte der internationale Verband seinen Turnierkalender neu, und für Stuttgart blieb nur noch ein Termin im Frühjahr. Da bereiten sich die Besten auf die Sandplatzsaison vor, die an Pfingsten in Paris ihren Höhepunkt erreicht. Also machte Stuttgart aus der Not eine Tugend und legte Sandplätze an.

Die Spielerinnen lernten das schnell zu schätzen. Nach dem Winter, in dem sie auf Hartplätzen antraten, müssen sie ihr Spiel auf diesen Belag umstellen, der mehr Ausdauer und Geduld fordert. Weil es im April in Mitteleuropa oft empfindlich kühl ist und regnet, bietet die klimatisierte Halle ideale Bedingungen. Entsprechenden Zuspruch findet das Turnier in Stuttgart. Nächste Woche treten 17 der 20 besten Spielerinnen der Welt in der Porsche-Arena an.

Die deutsche Spitzenspielerin Jule Niemeier lobt den roten Platz von Stuttgart über den grünen Klee: „Der schnelle Centre-Court spielt sich sehr schön. Er hat einen harten Unterbau mit einer feinen Sandbeschichtung, man kann da sehr gut die Bälle anrutschen. Für mich ist der Porsche Tennis Grand Prix der bestmögliche Auftakt der europäischen Sandplatzsaison.“

Das beste Argument ist die Nachhaltigkeit

Wie gut das Rutschen dieses Jahr klappt, muss sich zeigen. Auch um den Aufbau der Plätze gibt es Wettbewerb. In den vergangenen Jahren lieferte die Firma Porplastic aus Rottenburg den Untergrund. Jetzt haben die Ungarn erstmals das Rennen gemacht. „Wir sind seit Jahren mit der sportlichen Leiterin Anke Huber im Gespräch“, sagt Andreas Kuharszky. Die Porsche-Arena ist für ihn das beste Schaufenster, in dem er sein Produkt präsentieren kann. Deshalb baut er die Plätze in Stuttgart zu einem günstigen Preis auf – die genaue Summe will er nicht verraten. Kuharszkys bestes Argument war die Nachhaltigkeit. Im Gegensatz zur Konkurrenz, deren Plätze nach dem Turnier geschreddert und recycelt wurden, werden seine abgebaut und wieder verwendet.

Außerdem ist es im Tennisgeschäft wie im richtigen Leben: Kontakte sind äußerst hilfreich. Andreas Kuharszkys Vater war als Tennisprofi der Doppelpartner des heutigen Stuttgarter Turnierdirektors Markus Günthardt, später trainierte er Anke Huber. Auch Krisztian Freund, der Mitinhaber von Kuharszkys Firma, hat einen familiären Bezug zu Stuttgart: Sein Vater war hier ungarischer Generalkonsul.

Für das Turnier braucht es nicht nur den Centre-Court in der Porsche-Arena. Sondern zwei weitere Plätze in der benachbarten Schleyerhalle. Diese sind bereits verlegt. Neben den Linien hantieren jetzt Messebauer mit Aluprofilen und Wandplatten. Sie gestalten die Stände der Firmen, die rund um das Turnier ihre Produkte verkaufen.

50 Mann arbeiten die Nacht durch

Am Rand der Tribüne diskutieren vier Männer eine sicherheitsrelevante Frage: Falls es brennt in der Halle – wo verläuft der Fluchtweg? Nach einigem Hin und Her entscheidet der technische Leiter Johannes Mey: „Eine Sitzreihe raus, Geländer weg, Treppe nach unten verlegen, Fluchtweg durch das VIP, und gut is’.“ Mey ist 41 Jahre alt, hat den Meister für Veranstaltungstechnik gemacht und ist seit 2020 verantwortlich für die beiden Hallen, die der Stadt Stuttgart gehören. Beim Aufbau für das Tennisturnier muss er den Überblick über 30 Gewerke behalten, doch er wirkt wie ein Mensch, der seiner Aufgabe gewachsen ist, das Planen und Organisieren macht ihm sichtlich Spaß.

Am Sonntag vor Ostern trat der Popsänger Johannes Oerding in der Schleyerhalle auf, in der Porsche-Arena spielten die Handballerinnen der Bundesliga. Sobald der letzte Besucher die Hallen verlassen hatte, mussten Bühne und Boxen, der Handballplatz und seine Tore abgebaut werden. 50 Mann arbeiteten die Nacht durch, am Montagmorgen wurden beide Hallen besenrein übergeben.

In der Porsche-Arena begann der Aufbau fürs Tennis unterm Dach. An Gitterbrücken wurden 180 Scheinwerfer befestigt. Dann hievten Gabelstapler die drei Sportwagen vorsichtig auf ihre Podeste. Anschließend machten sich die Sandmänner an die Arbeit.

Pferdeshow, Motocross und Tennis in derselben Halle

Die beiden Hallen sind wie eine große Wunderkiste. Für die verschiedensten Geschmäcker des Publikums werden Veranstaltungen auf die Bühne gezaubert. Von der klassischen Musik bis zum Sportklettern braucht jedes Format seine speziellen Aufbauten. Im März gastierte die Pferdeshow Cavalluna, da mussten Stallzelte aufgebaut werden. Fürs Motocross werden 4000 Tonnen Lehm in die Halle gekarrt, aus ihnen formen Bagger den Parcours. „Dieser Dreck ist speziell“, erklärt Hallenmeister Mey, „er enthält keine Steine und wird nach den Rennen nicht weggeschmissen, sondern fürs nächste Jahr eingelagert.“ Er ist froh, dass 2009 das Sechstagerennen aus dem Veranstaltungskalender gestrichen wurde. Jedes Mal mussten die Tribünen komplett abgebaut werden, um die Radrennbahn freizulegen. Konzerte haben ihre eigenen Herausforderungen. „Für manche internationalen Tourproduktionen sind wir zu klein“, sagt Mey, „Tina Turner konnte nicht auftreten, weil die Schleyerhalle einen halben Meter zu niedrig ist.“ Dagegen hält sich der logistische Aufwand für das Tennisturnier in Grenzen. Auch die drei teuren Sportwagen, die zweieinhalb Wochen in der Halle stehen, lassen ihm keine grauen Haare wachsen. Er grinst und sagt: „Die müsste jemand ja erst mal runterkriegen vom Podest.“

Am Gründonnerstag um halb vier machen die Sandmänner Mittagspause. Einer hat Fast Food von Kentucky Fried Chicken geholt, die Tüten stehen auf einer Palette Bodenplatten. Die rechte Seitenlinie ist schon zu erkennen. Sie ist fünf Zentimeter breit, wurde eingefräst und verklebt. Sie entscheidet im Zweifelsfall über Sieg und Niederlage. Ob ein Ball im Feld oder im Aus gelandet ist.

Die Porsche auf ihren Podesten werden täglich gewaschen

Am Abend gegen 22 Uhr sind alle 483 Puzzleteile für den Centre-Court verlegt. Am Karfreitag wird zweierlei roter Sand aufgebracht, er besteht aus gemahlenen Dachziegeln. Zuerst kommt eine Schicht, deren Körner zwei Millimeter groß sind. Zuletzt kommt das feine Korn, das nur noch einen Millimeter Durchmesser hat. Das Ziegelmehl ist chemisch bearbeitet, damit es genügend Feuchtigkeit speichert. Im Gegensatz zu den Sandplätzen im Freien muss dieser Belag während des Turniers nicht gewässert werden. Es reicht, ihn mit dem Schleppnetz abzuziehen. Doch dieser banale Vorgang wirbelt so viel Staub auf, dass die drei Sportwagen auf ihren Podesten jeden Tag gewaschen werden. „Sie sollen ja glänzen im Scheinwerferlicht“, sagt Sophia Müller von der Werbeagentur Perfect Match.

Die Turniersiegerin bekommt zusätzlich zum Preisgeld einen Porsche. Er wird nach dem Matchball vom mittleren Podest gefahren. „Das ist okay“, sagt Andreas Kuharszky, „solange das Auto geradeaus rollt und nicht driftet, hält unser Platz das aus.“ Am Tag danach bauen seine Männer die Platten wieder ab, verladen sie auf sechs Vierzigtonner und bringen sie ins Lager nach Ungarn. Der rote Sand kommt auf den siebten Lastwagen. „Auch der wird nicht weggeworfen“, verspricht Andreas Kuharszky, „den verschenken wir an Tennisclubs.“