Der Tübinger Archäologe Nicholas Conard über das Glück, den Ursprung der Kunst vor der Haustür zu haben – und warum das bisher niemand so richtig interessiert.

Tübingen - Der amerikanisch-deutsche Archäologe Nicholas Conard hat mit seinen spektakulären Funden auf der Alb maßgeblich am öffentlichen Interesse an den Höhlen beigetragen.

 
Herr Conard, die Chancen stehen gut, dass die Unesco sechs Höhlen der Schwäbischen Alb auf die Welterbeliste setzt. Warum ist Ihnen das so wichtig? Die Kunstwerke, die sie darin ausgegraben haben, sprechen doch für sich selbst.
Die offizielle Anerkennung der Höhlen wäre für Deutschland und für Baden-Württemberg rundum positiv. Denn die Unesco ist in diesen Dingen die höchste Instanz. Das Welterbe-Siegel könnte dazu beitragen, dass man das Land noch stärker kulturell wahrnimmt, nicht nur wegen seiner Wirtschaft und wegen seines Wohlstands. Natürlich kennt man die Frauenfigurine vom Hohle Fels und andere Kunstwerke mittlerweile weltweit. Doch die Anerkennung durch die Unesco würde die Aufmerksamkeit noch steigern.
Sie haben in den vergangenen Jahren wiederholt angesprochen, dass das Land und seine politischen Vertreter die Eiszeitkunst nicht hinreichend würdigen. Hat sich das geändert?
Ein bisschen. Ich fände es schön, wenn man in Baden-Württemberg dieses Alleinstellungsmerkmal als Heimat der ältesten Belege für Kunst und Musik noch mehr verinnerlichen würde. Vor vier Jahren zum Beispiel war das Land Gastgeber bei den Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit. Die Bundeskanzlerin und andere Vertreter der Gesellschaft waren aus diesem Anlass in Stuttgart, und man hat ihnen viele Menschen vorgestellt. Aber man verlor kein Wort darüber, dass das Land auch die Anfänge der Kunst dokumentiert. Da dachte ich mir: Wie kann das sein? Man sitzt hier auf der besten Quelle, die es auf der Erde gibt, und niemand erwähnt das. Das war für mich das Zeichen, dass die Bedeutung der Funde nicht wirklich wahrgenommen wird. Das hat vielleicht mit schwäbischer Bescheidenheit zu tun. Mit dem Welterbestatus könnte sich das ändern.
Was machen Sie denn, wenn man irgendwo auf der Welt noch ältere Kunstwerke entdeckt?
Das ist durchaus möglich, und ich würde mich darüber freuen. Dass wir auf der Alb die einzigen Belege haben, ist nicht sehr wahrscheinlich. Natürlich wäre es schön, wenn die Gegenargumente von meinen eigenen Grabungen in Süd- oder Ostafrika, in Syrien oder im Iran kämen, aber das ist bislang nicht der Fall. Und ich versichere Ihnen: Ich arbeite in Südafrika und anderen Orten nicht schlechter, als ich auf der Schwäbischen Alb arbeite. Wenn es Kunstwerke gäbe, würden wir sie finden. Doch bislang haben wir sie nur auf der Alb. Und bemerkenswert daran ist, dass die Quellenlage immer besser wird.
Meinen Sie damit, dass Sie weitere Höhlen kennen, die Kunstwerke bergen?
Wir arbeiten jetzt auch im Laucherttal bei Veringenstadt. Wenn ich Zeit und Energie hätte, würde ich am liebsten noch an weiteren Orten graben. Ich glaube, der Welterbestatus kann dazu führen, dass wir auf der Alb noch intensiver forschen können. Ich würde den Antrag nicht unterstützen, wenn die Forschung darunter leiden würde.
Wenn man irgendwo auf der Welt tatsächlich noch ältere Kunst findet – wären die Alb-Höhlen den Welterbetitel dann wieder los, so er denn kommt?
Nein. Denn wir haben ein einmaliges Ensemble von Funden, deren Qualität man nicht infrage stellen kann. Auch wenn es 50 neue Fundstätte gäbe: Wir haben weltweit die beste Quellenlage. Aufgrund dieser Situation verdienen wir diese Anerkennung.
Die Funde selbst sind ja gar nicht Gegenstand des Antrags.
Die Funde sind mobil, das heißt sie können auch an anderen Orten ausgestellt sein. Das ändert aber nichts am Wert der Fundstätten. Diese sind untrennbar mit den mobilen Objekten verbunden, denn sie beherbergen jene ältesten Belege für Kunst und Musik. Diese Fundlandschaft ist einzigartig und dokumentiert in außergewöhnlicher Weise die Schöpferkraft der ersten modernen Menschen in Europa. Konsequenterweise sind daher die Höhlen mit den darin konservierten Funden sowie die Landschaft Gegenstand des Welterbeantrages.
Das heißt, es reicht, wenn man sie in Stuttgart, Tübingen, Blaubeuren und Ulm zeigt?
Und am Vogelherd in Niederstotzingen. Wir haben fünf Standorte.
Bedauern Sie diese Streuung? Wer aus Peking oder New York anreist, muss ja erst einmal recherchieren, wo sich die Figuren gerade befinden.
Das war eine politische Entscheidung. In der Zeit der Großen Landesausstellung um das Jahr 2009 hätte man die Möglichkeit gehabt, nach einer anderen Lösung zu suchen. Doch die wäre mit einer großen Investition verbunden gewesen. Mittlerweile ist die Entscheidung gefallen, und man hat an fünf Standorten investiert. Das hat auch Vorteile. Sie kommen als interessierter Tourist nach Stuttgart und besuchen das Landesmuseum. Anschließend fahren Sie nach Tübingen, steigen hinauf zum Schloss, schauen sich die Funde an, trinken ein Glas Wein und kommen zum Schluss: Ich muss doch noch nach Ulm und Blaubeuren fahren. Dann übernachten Sie im Lonetal, denn Sie wollen unbedingt noch das schöne Mammut im Archäopark sehen. Für mich ist es nachvollziehbar, dass man nach Deutschland kommt und sagt: Ich schaue mir alle fünf Standorte an.
Was ändert sich für Sie als Forscher, wenn die Unesco die Höhlen auszeichnet?
Für mich ist es wichtig, dass die Forschung weitergeht. Es entspricht nicht der modernen Betrachtungsweise, dass alles auf Eis gelegt wird, wenn eine Kulturstätte auf der Welterbeliste steht.
Aber der Welterbestatus kollidiert doch mit mehreren Windkraftprojekten auf der Alb. Ist es nicht eine romantische Vorstellung, wenn man versucht, eine Fundregion derart zu konservieren? Die Landschaft hat sich in den letzten 40 000 Jahren doch ohnehin verändert.
Ich bin in erster Linie Wissenschaftler. Regenerative Energien wie die Windkraft begrüße ich persönlich sehr. Ein Windkraftwerk in der Nähe der Fundplätze ändert zunächst einmal nichts an deren wissenschaftlicher Bedeutung. Und doch belasten solche Bauwerke die Art und Weise, wie Menschen die Fundorte wahrnehmen. Wenn wir die Möglichkeit haben, ein Welterbe in einer schönen Landschaft zu erhalten, warum soll man das dann nicht tun? Das hat keine wissenschaftliche Relevanz, aber für die Bevölkerung und die Besucher der Fundregion ist es schöner, wenn sie ein Weltkulturerbe in einer schönen Landschaft haben. Vielleicht kann man mit dem Welterbetitel die Landschaft um die Fundplätze herum ja noch schöner gestalten. In der Region rechnet man damit, dass viele Touristen kommen, und das ist gut möglich. Man reist ja auch nach Frankreich, wo es schöne Fundplätze gibt, macht Urlaub dort und schaut sich die Kunst an. So etwas würde auch der hiesigen Region gut tun.
Spanien oder Frankreich empfangen die Gäste in großzügigen Besucherzentren. Die Alb hinkt da weit hinterher.
In den letzten Jahren hat man viel unternommen, um die Region touristisch noch attraktiver zu machen. Es gibt jedoch noch Luft nach oben. Hoffentlich können wir das noch besser machen.
Machen Sie eigentlich eine Feier, wenn der Antrag durchgeht?
Nein, wir machen ungefähr ein halbes Dutzend Feiern. Die Kollegen im Lonetal haben was vor, die in Blaubeuren, und die in Tübingen sowieso. Die Grabungen fanden ja fast alle unter der Ägide der Universität statt. Eine Universität mit Weltkulturerbe-Grabungen: Das wäre großartig.