Der österreichische Basejumper Felix Baumgartner will als erster Mensch im freien Fall die Schallmauer durchbrechen.

New Mexico/USA - Das Bild des Mannes, der aus dem Orbit springt, ist schon seit Monaten in den Köpfen, nun muss sein Versprechen noch eingelöst werden: Seit den spektakulären Aufnahmen des ersten Tests im März kann man jeden Schritt verfolgen, den Felix Baumgartner tut, um als erster Mensch im freien Fall Schallgeschwindigkeit zu erreichen. Der Österreicher will den Rekord des Amerikaners Joe Kittinger brechen. Der war 1960 aus 31 333 Metern von einem Ballon abgesprungen, um die ersten Fallschirme für Jetpiloten zu testen. Beim längsten Fallschirmsprung der Geschichte war Kittinger mit 988 Kilometer pro Stunde so schnell wie kein anderer mehr.

 

Am Dienstag nun wird Baumgartner von Roswell, New Mexico, aus in einer Kapsel starten, die von einem Heliumballon in die Stratosphäre getragen wird. Der Aufstieg wird Stunden dauern, und die Warterei in dem Druckanzug wird nicht die geringste Leistung sein, die Baumgartner sich abverlangt. In gut 36 Kilometer Höhe wird er seine Luke öffnen, einer zentimetergenau durchgeplanten Choreografie folgen, bis er an der Reling steht, unter sich die gewölbte blaue Erdkugel, über sich das Schwarz des Alls. Für Ehrfurcht wird in diesem Augenblick nicht viel Zeit sein – für Übermut auch nicht. Baumgartner wird sachte nach vorne kippen, um in die richtige Position für seinen Sprung zu kommen. Weil der Luftwiderstand in dieser Höhe fehlt, wird er sich nur schwer stabilisieren können. Er muss es dennoch schaffen, bevor er Überschallgeschwindigkeit erreicht. In so dünner Luft droht der gefürchtete flat spin – ein horizontales Trudeln, ähnlich einer CD im Abspielgerät, bei dem er schnell das Bewusstsein verlieren würde. Sollte es dazu kommen, soll ein kybernetisches System wie eine dritte Hand für den bewusstlosen Baumgartner den rettenden Fallschirm ziehen.

In 40 Sekunden von Null auf Tempo 690

Geht alles glatt, wird Baumgartner in 40 Sekunden auf 690 Kilometer pro Stunde beschleunigen. Den Berechnungen seines Teams zufolge könnte er sogar eine Geschwindigkeit von 1100 erreichen und schneller unterwegs sein als Schall in Luft. Was diese Beschleunigung in seinem Körper auslöst, traut sich keiner der Wissenschaftler vorherzusagen. „Manchmal muss man sich einfach den Fallschirm umschnallen, hochgehen und nachschauen“, sagt Baumgartner.

Er ist nicht der Erste, der den jahrzehntealten Rekord brechen will. Nick Piantanida fiel 1966 ins Koma, als sein Helm beim Sprung zerbarst. Er starb vier Monate später. 1988 wollte die französische Raumfahrtagentur mit Michel Fournier testen, ob ein menschlicher Körper zu einem Wiedereintritt ohne schützende Hülle in der Lage wäre. Weil das Projekt abgebrochen wurde, wagte Fournier 2003 und 2008 privat finanzierte Versuche, scheiterte jedoch. Laut der „New York Times“ verlor er allein beim ersten etwa 20 Millionen Dollar.

Es geht um Weltrekorde, aber auch um die Wissenschaft

Baumgartner gehört seit mehr als 20 Jahren zu den mehreren hundert Extremsportlern, die das Profil der Marke Red Bull schärfen. Er überzeugte den Mäzen Dietrich Mateschitz von seinem Traum. Das Timing im Vorfeld der ersten privaten Raumflüge ist perfekt. Seit fünf Jahren arbeiten nun bis zu 120 Menschen an dem Projekt. Den Druckanzug fertigte die David Clark Company, aus deren Werkstatt auch die Raumanzüge der Gemini- und Apollo-Astronauten stammten. Medizinisch betreut wird Baumgartner von Jonathan Clark, der die Erfahrung von sechs Shuttle-Missionen mit bringt. Zusammengestellt wurde das hochkarätige Team vom technischen Leiter Art Thompson, der an der Entwicklung des Stealth-Bombers mitarbeitete. Und nicht zuletzt ist jener Mann als Berater dabei, dessen Rekord es zu brechen gilt: Joe Kittinger. Über die Kosten für diesen gigantischen Aufwand wird geschwiegen.

Die exquisite Unterstützung bei der Erfüllung seines Lebenstraums kostet den 43-jährigen Österreicher, der aussieht, als wäre er einem Werbespot entsprungen, allerdings auch Freiheit: Vom Start weg wird sich Baumgartner den stets präsenten Kameras zeigen müssen – es wird ihm versagt sein, sich allein auf den Sprung zu konzentrieren. Immer wieder hat er dennoch betont, dass er bei allen wichtigen Entscheidungen mit am Tisch sitze: „Schließlich bin ich es, der das Ganze am Ende möglicherweise mit dem Leben bezahlt.“

Wie das Team betont, geht es nicht nur um Rekorde: „Eines Tages wird es so vielleicht möglich sein, Astronauten von nicht mehr funktionsfähigen Raumfähren sicher nach Hause zu bringen. Das klingt nach Science-Fiction, doch die Luftfahrt entwickelt sich in genau diese Richtung”, sagt Baumgartner. Man werde die Entwicklung neuer Evakuierungsabläufe für Piloten, Astronauten und auch Weltraumtouristen unterstützen. Auch wenn stets vom Nutzen für die Wissenschaft die Rede ist – interessiert sein wird wohl eher die Wirtschaft. „Was Felix macht, ist nichts anderes, als den Raumanzug kommender Generationen zu testen“, sagt Kittinger in einem der actionfilmgleich inszenierten Videos zu dem Projekt. „Wenn wir ins All zurückkehren, werden wir durch seinen Beitrag einen besseren Anzug haben als je zuvor.“

Basejumper, Bergretter und Hubschrauberpilot

Der Maschinenschlosser Felix Baumgartner beginnt 1996 mit dem sogenannten Basejumping: Er stürzt sich mit dem Fallschirm von „Objekten“. 1997 wird er Weltmeister in dieser Disziplin und gewinnt Red Bull als Sponsor. 1999 springt er in Kuala Lumpur von den Petronas Towers – Weltrekord. Im gleichen Jahr stürzt er sich von der Christusstatue in Rio de Janeiro – aus riskant niedriger Höhe. 2007 lässt er sich in Taipeh von einem der höchsten Gebäude der Welt 500 Meter in die Tiefe fallen.

In mehreren Interviews hat Baumgartner angekündigt, es künftig ruhiger angehen lassen zu wollen. Der 43-Jährige, der eigenen Angaben zufolge finanziell bereits ausgesorgt hat, will die Hälfte des Jahres in Amerika als Hubschrauberpilot und die andere Hälfte zu Hause in Österreich bei der Bergwacht arbeiten.