Sie haben sich das Wochenende über den Mund fusselig geredet: Sechs Studenten der Uni Stuttgart wagten den Weltrekord im Dauer-Debattieren. Der bisherige Rekord lag bei rund 44 Stunden.

Stuttgart - Als Nils Haneklaus am Freitagabend zum ersten großen Gegenargument ausholt, stecken seine Füße bereits in Badeschlappen. Wenn schon schlaflos im zweitägigen Dauerstreit, dann wenigstens auf komfortablem Untergrund. Gerade mal elf Minuten war da der Weltrekordversuch des Stuttgarter Debattierclubs jung, alles schien möglich, die Stimmung im Internationalen Zentrum in Stuttgart war überraschend unaufgeregt.

 

44,3 Stunden galt es zu überbieten. Solange debattierten 2011 Tübinger Studierende über das Thema „Muss sich Deutschland neu erfinden?“ und stellten einen Weltrekord im Dauerdebattieren auf. Die Studenten Eva-Maria Risse, Michael Saliba, Andreas C. Lazar, Khang On, Igor Gilitschenski und Nils Haneklaus wollten nun diesen Rekord brechen und den Triumph nach Stuttgart holen. Dabei waren die Regeln ähnlich strikt wie jene der Tübinger damals: Kurze Toiletten-Pausen, keine Vorbereitungszeit, kein Nickerchen. „Wird schon“, hatte Organisator Michael Saliba im Vorfeld versichert, der sich in den letzten Tagen vor allem mit viel Schlaf auf das lange Redegefecht vorbereitete.

Die Studenten hatten 48 Themen ausgesucht

Wieso tut man sich so etwas inmitten der Semesterferien an? Natürlich gehe es um den Ehrgeiz die Tübinger Kollegen zu schlagen, aber auch um den Reiz, die eigenen Grenzen zu testen und der Öffentlichkeit zu zeigen, dass Debattieren mehr sei, als ein mehr oder weniger spannender Schlagabtausch zwischen streitlustigen Studenten, erläuterte Saliba. „Und ja, ein bisschen verrückt sind wir wohl auch.“

48 Themen hatten die Studenten ausgewählt und sich in Dreier-Teams für ihre jeweilige Rolle als Regierung oder Opposition vorbereitet. Stierkampf-Verbot, Impfpflicht, Mehrfachehe – am Sonntagabend nach dem gelungenen Rekordversuch wusste niemand mehr genau, wann was gesagt wurde im Hin und Her des zeitlosen Debattenrauschs.

Per Live-Stream konnten Zuschauer die Redeschlacht mitverfolgen und sich mit Zwischenfragen im Chat direkt an den jeweiligen Redner wenden. Euphorisch schmetterte Haneklaus gerade gegen den Antrag der Regierung, eine Wahlpflicht einzuführen, da hob Netzbetreuer Alex die Hand. Warum er denn glaube, dass die Wähler wüssten, was gut für sie sei, wollte ein Internet-User wissen. Während Haneklaus antwortete, machten die ersten Energy-Drinks die Runde. Später gab es Obst, Müsli, Kuchen und Nüsse. Nur wenig Publikum war ins Internationale Zentrum gekommen, obwohl die Debattanten im Internet dafür geworben hatten. Die Zuschauer konnten die Vortragenden unterstützen, indem sie in kurzer Rede neue Impulse einbrachten und die Studenten eine kurze Verschnaufpause erhielten.

Ohne Bilder ist ein Argument lebloses Wissen

Debattieren ist in den letzten Jahren zu einem beliebten Team-Sport unter Studenten geworden, auch oder gerade weil die Schulung rhetorischer Fertigkeiten im Studium keinen festen Platz hat.

Ohne Bilder ist ein Argument lebloses Wissen, ohne fundierte Begründung eine Folge leerer Worthülsen. Anders gesagt: „Argumente müssen sexi sein“, erklärte Saliba. Das S stehe für statement, ex für explanation und i für illustration. Klar, dass so manches Argument im Morgengrauen nicht mehr ganz so „sexi“ daherkam, die Stimmung aber war stets gut.

48 Stunden und 15 Minuten debattierten die Stuttgarter Studenten und holten mit einem Plus von knapp vier Stunden gegenüber den Tübingern den Weltrekord im Dauerdebattieren. Und jetzt? „Gehen wir erstmal schlafen“, sagte Saliba erschöpft. Die Siegerparty musste warten.