Mal elfenhaft, mal kraftvoll schwebt Laura Miller beim Weltweihnachtscircus in Stuttgart hoch über der Manege. Nach einer Chemotherapie freut sich die britische Artistin über die „beste Saison ihres Lebens“.

Stuttgart - Jetzt stehen sie wieder an, die guten Neujahrsvorsätze. Wer noch nicht so recht daran glauben mag, dass er seine Träume verwirklichen kann, oder gerade in einem Tief steckt, dem könnte Laura Millers Lebensgeschichte einen heftigen Motivationsschub verleihen.

 

„Dieses Jahr war die beste Saison meines Lebens“, strahlt die Artistin. Erst war sie mit dem Schweizer National-Circus Knie auf Tournee, nun ist sie noch bis zum 6. Januar beim Weltweihnachtscircus zu sehen. Die 39-jährige Britin aus Chichester steht auf dem Cannstatter Wasen mit der Russin Anastasia Makeeva in der Manege. Die Nummer der beiden verbindet spektakuläre Luftakrobatik mit Elementen im Wasser. Die Nummer wurde in dieser Form zuvor nur zum 40-Jahr-Jubiläum des legendären Circus Festivals in Monte Carlo aufgeführt. Laura Miller ist glücklich, dass sie wieder als Artistin auftreten kann. Jeder Tag sei für sie ein Geschenk, sagt sie, „so kitschig das klingen mag“.

Therapie mit Kühlkappen zur Haarerhaltung

Dass die Britin ihr Leben heute mehr wertschätzt als früher, hat einen ernsten Hintergrund. Die Artistin hatte sich mit der Entwicklung einer eigenen Show 2003 einen Traum erfüllt und tourte durch die ganze Welt. Im Sommer 2012 bemerkte sie in der Karibik beim Kostümwechsel einen Knoten unter dem Arm und ging kurz darauf in England zum Arzt. „Dort haben sie alle möglichen Tests gemacht und mich erst mal beruhigt. Die Ärzte sagten, ich solle mir keine Sorgen machen, es sei wohl nur etwas Hormonelles, da ich ja erst 32 war.“

Drei Monate später wurde bei der Nachkontrolle eine Biopsie gemacht. „Im Oktober 2012 bekam ich die Diagnose Brustkrebs, die aggressivste Form. Es war ein Schock für alle, vor allem für mich“, schildert Laura den einschneidenden Moment. Als sie davon erzählt, wird sie auch heute noch sehr emotional: „Die Diagnose und die Behandlungen waren brutal, aber das Schlimmste war, als ich es meinem Partner Bruno und meiner Familie sagen musste.“

Danach ging alles sehr schnell, eine Woche nach der Diagnose wurde Laura operiert. Zwei weitere Operationen waren nötig. Darauf folgten sechs Monate Chemotherapie mit Kühlkappen, die der Haarerhaltung dienen, sowie einer medikamentösen Behandlung mit Herceptin, das bei besonders aggressiven Formen von Brustkrebs eingesetzt wird. Im Anschluss sechs Monate Bestrahlung.

Während der Behandlung nahm sie zwölf Kilo zu

„Die Chemo und Kühlkappen-Therapie waren brutal“, erinnert sie sich, „mein Kopf war jeweils vier Stunden lang eingefroren.“ Dies sei sehr schmerzhaft. Für diese Therapie hatte sich die Artistin entschieden, damit sie nicht alle Haare verliert.

In den ersten 15 Monaten der Behandlungen war kein Training möglich. Laura hatte all ihre Energie für die Therapien benötigt, zwölf Kilo zugenommen und war gezeichnet von den Behandlungen. „Oft habe ich mich im Spiegel nicht mehr erkannt. Als ich ein Selfie machte, traute ich meinen Augen nicht. Ich fragte Bruno, sehe ich so aus? Er war ehrlich und sagte mir, ja so siehst du momentan aus.“ Erst wollte Laura das Bild löschen, doch sie behielt es, und fortan diente es als Motivation, um sich selbst zu zeigen, wie weit sie gekommen war.

„Ich wusste oder hoffte immer, dass es nur vorübergehend ist“, sagt sie, „klar war ich oft traurig.“ Sie sei aber nur darauf fokussiert gewesen, wieder auftreten zu können. Im zweiten Jahr der Krebsbehandlungen konnte die Britin mit leichtem Training beginnen und ging mehrere Male pro Woche ins Fitnesscenter. „Anfangs war ich so erschöpft, als ich dort ankam, dass ich keine einzige Übung machen konnte.“ Sie blieb beharrlich, trainierte erst nur einige Minuten und konnte ihre Muskulatur über rund sieben Monate wieder aufbauen. Doch durch die letzte Operation zur Brustrekonstruktion wurde ein großer Teil der Arm- und Brustmuskulatur wieder zerstört, vor allem rechtsseitig, die sie bei ihrer Nummer am meisten benötigt.

Zehn Wochen nach der letzten Operation trat sie wieder auf

Was unmöglich schien, gelang ihr. Im Sommer 2014 – zehn Wochen nach ihrer letzten Operation und 22 Monate nach ihrer Brustkrebs Diagnose – trat sie wieder auf. „Ich würde das niemandem empfehlen und habe noch heute keine Ahnung, wie ich das geschafft habe. Denn nur drei Wochen vor dem Auftritt, konnte ich meinen rechten Arm nicht mal über den Kopf heben!“ Bei ihrem Comeback in Korsika zeigte sie nicht etwa eine einfache Nummer, sondern ihre anspruchsvollste Akrobatik wie jetzt in Stuttgart. Kurz darauf unterzeichnete sie einen Zweijahresvertrag beim Circus Flic Flac. Obwohl sie dort meist nur einen Auftritt pro Tag hatte, litt sie einige Monate unter großer Erschöpfung und kroch oft nur für den Auftritt aus dem Bett.

Heute geht es Laura Miller wieder sehr gut, und sie engagiert sich in Selbsthilfegruppen für junge Frauen mit Brustkrebs. „Es ist mir bewusst“, sagt sie, „dass der Wille manchmal nicht genügt und ich großes Glück habe, wieder gesund zu sein.“ Denn einige Freundinnen, die sie während der Behandlung kennenlernte, leben nicht mehr. Die Artistin mit der Luft- und Wassernummer will Menschen Mut machen und zeigen, dass Unglaubliches möglich ist. Auch wenn ein Schicksalsschlag alle Pläne zwischenzeitlich auf Eis legt, und man glaube, das Leben sei vorbei. „Jetzt fühle ich mich besser als je zuvor. Früher hätte ich gedacht, oh Gott, ich bin bald 40, doch heute ist jedes Jahr ein Segen!“