Der Clown David Larible ist das Aushängeschild des Weltweihnachtszirkus in Stuttgart in diesem Jahr. Er ist ein Clown, der mehr will.

Stuttgart - Er sitzt da, deutet auf den Titel des Programmhefts. "Dieser Mann und ich sind dieselbe Person." Die Zuhörer lachen. Natürlich. Auf dem Foto sehen sie den Clown in seiner Maske, der aus einem Vorhangspalt hervorlugt, mit roter Knubbelnase, den blauen Lidschatten, dem schwarzen Punkt auf der Wange, der grau gemusterten Kappe. Vor ihnen sitzt ein 54-jähriger Italiener, kräftig, lockige dunkle Haare, fröhlich. Er erzählt den Journalisten von seinem Beruf und den Menschen, für die er arbeitet. Das Publikum, italienisch "Pubblico". Hier sitzt einer, aber man begegnet zweien. Dem Menschen. Und dem Clown.

 

Einen halben Tag später, im Hotel. Inzwischen hat Larible seine Arbeitsstätte für die nächsten vier Wochen inspiziert: das Zelt des Weltweihnachtscircus, der am Donnerstag startet. 2300 Zuschauer schauen ihm zu. Er hat vor 500 Leuten gearbeitet, aber auch schon vor 18.000. Er sagt "arbeiten", wie alle Artisten. Er tritt nicht auf. "Wir sind ja keine Schauspieler." Im Artisten steckt das Wort Kunst. Im Akrobaten muss der Akrobat drinstecken. Und im Clown der Clown.

David Larible hat keine gute Meinung über manche Kollegen. "Die meinen, sie müssten immer lustig sein, den ganzen Tag nur Spaß machen." Wer aber umgekehrt meine, der Clown sei nur in der Manege lustig und ohne Schminke ein deprimierter Zeitgenosse - der irre auch gewaltig, sagt David Larible, im Schweizer Zirkus Nock einst vom Jongleur und Akrobaten zum Clown geworden und bei Krone 1981 offiziell dazu berufen. Er nutzte seine Chance, gilt heute als einer der besten Clowns der Welt. "The Clown of the Clowns" wurde er genannt in seinen zwölf Jahren in Amerika beim Riesenzirkus Ringling Bros. and Barnum & Bailey, getoppt 1999 in Monte Carlo mit einem Goldenen Clown, dem Oscar der Branche.

"Der Clown ist ein Dichter in Aktion."

Henry Miller, amerikanischer Schriftsteller

Das Publikum muss mitspielen

David Larible hat Millers Beschreibung für sich übernommen. "Der Clown kann mit Gesten Poesie kreieren wie der Poet mit Worten", sagt er. Larible zeigt im Weltweihnachtscircus drei Nummern: auch die mit den Glöckchen, bei der sechs Zuschauer zur eingespielten Musik mit ihrem eben überreichten Instrument auf ein Zeichen hin bimmeln müssen. Er sucht sich stets die gleichen Typen aus: eine junge hübsche Frau, ein kesses Kind, eine gereifte Dame und drei Männer sind seine Mitspieler aus dem Publikum.

Später gibt David Larible den Maestro, der eine komische Oper inszeniert. Wieder mit Freiwilligen. Die spielen eine Prinzessin, ihren Eroberer und einen edlen Ritter mit Schwert. Er zeigt den Gästen, welche Szenen sie nachspielen sollen. Er arbeitet mit Übertreibung in Gestik und Mimik. Das kommt an und inspiriert die Mitspieler. Diese Nummer sei für ihn "wie ,My Way' für Frank Sinatra", sagt Larible - ernst und fröhlich zugleich. Und populär.

Doch seine Masche birgt ein Risiko: Larible ist auf die Unterstützung des Publikums angewiesen. Wenn er Freiwillige sucht, schauen viele Leute nach der Mücke am Trapez, oder sie binden sich die Schuhe. Larible sagt, schon bei der ersten seiner drei Nummern beobachte er die Menschen in den vorderen Reihen. Wenn er später herumgehe, spüre und sehe er, ob jemand für die Manege bereit sei. "Frauen sind zugänglicher", weiß er aus 30 Jahren Erfahrung. Sie zierten sich ein bisschen zum Schein, "wollen gebeten sein, sind dann aber selbstsicherer als Männer". Er spiele nicht nur den Clown, "ich bin auch Regisseur, Dramaturg und Psychologe".

"Jeder Mensch ist ein Clown. Aber nur wenige haben den Mut, es zu zeigen."

Charlie Rivel, spanischer Clown

Als Clown muss man die Menschen lieben

Larible sagt: "Es gibt einen Clown in jedem von uns. Aber nur Glückliche haben die Kapazität, das rauszulassen." Solche Menschen sind seine Mitspieler. "Ich mache Spaß, für das Publikum, für mich und meine Gäste." Ihre Reaktion und ihre Kreativität verleiht seinen Nummern Spontanität. Larible schafft es, ganz normale Menschen zu finden - die von ihm nicht bloßgestellt werden wie bei manchen seiner Kollegen. Er schafft es, dass diese Menschen sich selbst übertreffen, aus dieser besonderen Situation (wer ist schon jemals im Scheinwerferlicht vor 2500 Zuschauern gestanden?) nicht verstockt, verstört oder gar wütend und blamiert hervorgehen.

Es gilt als sein Erfolgsgeheimnis, dass seine Gäste die Manege, das Publikum und die Scheinwerfer vergessen. Manchmal aber, das gibt Larible zu, da verschätze er sich. "In einer von vielleicht 100 Vorstellungen bringe ich einen Zuschauer gleich wieder an seinen Platz." Aber ganz freundlich.

Der Clown David Larible hat Respekt vor den Menschen. Er ist den Menschen zugewandt, das ist seine Basis. Er findet es blöde, Leute auf Distanz zu halten, die ihm ihre Sympathie bekunden oder ihm danken wollen, die als Erinnerung ein Foto mit ihm oder ein Autogramm mitnehmen möchten. "Abweisen ist unsensibel", sagt er. "Wenn du die Leute nicht liebst, sollst du diesen Job nicht machen. Das Pubblicco fühlt und spürt, ob du echt bist. Wenn du ein Clown sein willst, musst du das Pubblicco und die Leute lieben." Das sei wie mit dem Arzt, der kein Blut sehen könne: "Der sollte sich auch einen anderen Beruf suchen." Viele Kollegen würden nach Erfolg streben und sich zelebrieren. "Und wenn sie berühmt sind, wollen sie ihre Ruhe. Das finde ich blöde. Das ist nicht intelligent."

Lacher sind für Larible nicht alles

Wo aber nun ist der Clown? Blöde Frage. Natürlich im Menschen drin. Er muss Gefühle wecken, nicht nur Lacher erzeugen, die Leute ihre Sorgen vergessen lassen. Eben die Seele berühren und nicht nur billige Zoten reißen. Emotionen durchs Zelt zu schicken, kann in einem kleinen Zelt funktionieren. Wenn aber das Zelt riesengroß ist? Für Larible ist das einfach. "Dann muss die Emotion eben größer sein." Die Basis dafür heißt: "Du musst geben, was du hast."

Das gilt für ihn seit 2006 bei Roncalli, das gilt auch in 62 Shows in Stuttgart, und das gilt anschließend im Bolschoi-Zrikus in Moskau. Dafür bekomme er tausendfach zurück, was er gegeben habe. "Der Clown gibt in der Manege aus seiner Tasche alles, was er hat. Jeder nimmt davon, was er braucht. Das Lachen ist nicht alles." Mit Gesten Poesie erzeugen, tausend Seelen anrühren, das ist es. Der Clown als handelnder Poet.

"In den Beruf des Clowns muss man sein ganzes Leben hineingeben."

Oleg Popov, russischer Clown

Ein Clown muss lustig und sensibel sein

Popovs Spruch passt wunderbar zu Laribles Arbeit: "Du musst als Clown dein ganzes Leben investieren." Wenn der Mensch Larible in seine Garderobe gehe, dann geschehe etwas: mit Hilfe des Kostüms und der Schminke werde der Clown David Larible geboren. Der stecke in ihm drin, er entstehe jeden Tag neu und werde wieder herausgelassen. "Der Clown muss lustig sein, aber auch sehr sensibel. Das eine geht nicht ohne das andere."

Es sei wie mit der Liebe und dem Respekt. Das eine gebe es ohne das andere nicht. Umgesetzt auf den Zirkus: "Da gibt es nicht nur Tempo und Rhythmus, Staunen und Verblüffen. Zirkus muss eine Mischung verschiedener Elemente haben und der Clown dabei die Balance halten." Er sei nicht nur der Spaßmacher in den Erholungspausen zwischen den Sensationen. Sondern der Gefühlsjongleur. Seine Bälle heißen Lachen, Poesie und Melancholie.

"Es bedurfte manchmal nur einer winzigen Geste, um Beifallsstürme zu erzeugen. Nur hieß es eben, diese Geste zu finden. Dafür hatte ich ja auch ein halbes Jahrhundert die Menschen beobachtet."

Grock, Schweizer Clown

"Die Geste muss auf die Millisekunde genau sein"

"Grock hat recht, wie immer", sagt Larible. "Die Geste muss auf die Millisekunde genau sein." Der Clown ist im Laufe des Gesprächs immer ruhiger und nachdenklicher geworden. Er nimmt sein Gegenüber ernst und pariert Fragen nicht mit Worthülsen oder erprobten Allgemeinplätzen. Er strahlt Menschenfreundlichkeit aus, nicht nur in der Manege. Oleg Popov sagte einmal, der wichtigste Charakterzug des Clowns sei die Güte.

Wegen des Clowns lacht das Publikum Tränen. Das tut es aber nur dann, wenn alles stimmt. "Die richtige Geste muss mit der richtigen Intensität kommen. Dein ganzes Leben geht an diese Geste, diesen Ausdruck", sagt Larible. Ob eine Geste einen großen Lacher auslöse oder peinliche Stille zur Folge habe, könne durch eine halbe Sekunde verursacht sein. Die halbe Sekunde, die die Geste zu früh oder zu spät kommt.

Viele Zuschauer merken erst im Nachhinein, was abgelaufen ist: Der Zirkus ist Magie. Und Larible ist einer der Zauberer. Er umarmt alle Menschen im Rund. Er macht Zuschauer, die sich amüsieren wollten, zu einem Teil des Zirkus. Es muss Magie stattgefunden haben, wenn Gestresste fröhlich und angerührt zugleich das Zelt verlassen. Sie haben gelacht - aber nicht über einen Menschen, sondern mit ihm. Mit einem Menschen, der selbst im Scheinwerferlicht steht, aber andere in den Mittelpunkt stellt.